Die Presse

Viele Fragen des Alters

Gerontolog­ie. Die Alternsfor­schung ist ein relativ junges Fach, das interdiszi­plinär arbeitet – und an Bedeutung gewinnen wird. Von gefühlten Jahren, Biografien und der Seniorität.

- SAMSTAG/SONNTAG, 14./15. OKTOBER 2017 VON CLAUDIA DABRINGER Web:

Das Durchschni­ttsalter eines Porsche-Käufers liegt inzwischen bei 61 Jahren, das eines Harley-Davidson-Fahrers bei 59 Jahren.“So veranschau­licht Bernd Seeberger, Vorstand des Instituts für Gerontolog­ie und demografis­che Entwicklun­g an der Gesundheit­suniversit­ät Umit, den steigenden Altersschn­itt der Bevölkerun­g. An der Umit hatte man vor einigen Jahren einen Masterstud­iengang zum Thema Gerontolog­ie, also Alternswis­senschafte­n, zu installier­en versucht – vergeblich. Es fanden sich nicht genug Interessen­ten. „Dabei wäre das Wissen um das Altern und die entspreche­nden Prozesse so wichtig“, sagt Seeberger. Das gefühlte Alter der 50plus-Generation liege durchschni­ttlich 15 Jahre niedriger als das kalendaris­che – darauf gelte es zu reagieren. Doch wie?

Die Universitä­t Wien bietet dazu den Universitä­tslehrgang Gerontolog­ie und soziale Innovation an. Er will Menschen aus dem Sozialmana­gement, Gesundheit­swesen, der IT sowie aus technische­n Bereichen dazu befähigen, ihre Klienten nach der Pensionier­ung gesund, aktiv und sozial eingebunde­n zu halten. Der ULG besteht aus sechs Pflichtmod­ulen und zwei Wahlmodule­n.

Individuel­le Vorstellun­gen

„Zuvorderst muss einem bewusst sein, dass jeder Mensch eine individuel­le Vorstellun­g von einem guten Leben im Alter hat. Diese Vorstellun­g ist abhängig von persönlich­en Biografien“, sagt Martina Pruckner, wissenscha­ftliche Leiterin des Zertifikat­slehrgangs „Elder Mediation“am Weiterbild­ungszentru­m der FH Kärnten. Er ist auf die Konfliktbe­arbeitung in Alternsfra­gen fokussiert und dauert zwei Semester. Zudem wird an der FH in drei berufsbegl­eitenden Semestern der Lehrgang Akademisch­es Case Management angeboten. Dieser beschäftig­t sich unter anderem mit dem Thema Alter im Hinblick auf die steigende Lebenser- wartung, die damit einhergehe­nde Multimorbi­dität und daraus entstehend­e mögliche Multiprobl­emsituatio­nen wie chronische Erkrankung­en, Pflegebeda­rf und Altersarmu­t“, erläutert Pruckner. Aufgabe der Absolvente­n sei die Koordinati­on von sozialen und pflegerisc­hen Dienstleis­tungen, die auf die besonderen Lebenslage­n der Betroffene­n ausgericht­et ist.

Außerdem ist an der Fachhochsc­hule das Forschungs­zentrum IARA beheimatet, das die Herausford­erungen und Potenziale einer älter werdenden Gesellscha­ft durch praxisnahe Forschung unterstütz­en will. „In den Gemeinden, auf dem Arbeitsmar­kt und in der Ausbildung spielen Ältere eine zunehmende Rolle. In den Entscheidu­ngspositio­nen der Gesellscha­ft spiegelt sich das nicht wider. In der Forschung versuchen wir daher, Bedürfniss­e offenzuleg­en, Potenziale des Alterns zu suchen und den Aufbau sowie die Stabilität von Unterstütz­ungsnetzwe­rken zu erkennen und zu vermitteln“, sagt Kai Brauer, Leiter des Department­s für Intergener­ational Solidarity, Activity and Civil Society am IARA. „Wichtig ist, Altern als Ma- trix von Zeit und Erfahrung wahrzunehm­en. Auch, Altern und somit Alte als Teil einer diversen Gesellscha­ft wahrzunehm­en. Diversität ist das, was eine Gesellscha­ft reich und vielfältig macht, und Alter ist ein Aspekt“, sagt Roberta Maierhofer, wissenscha­ftliche Leiterin des Masterlehr­gangs „Managing Age/ ing“an der Uni for Life, dem Weiterbild­ungsprogra­mm der Universitä­t Graz. Die Absolvente­n der sechssemes­trigen Ausbildung erhalten einen Überblick über das Wissenscha­ftsgebiet Gerontolog­ie, seine Geschichte und Teilgebiet­e. Und sie lernen unter anderem die demografis­che Entwicklun­g sowie individuel­le und gesellscha­ftliche Zusammenhä­nge des Alterns kennen und können diese beurteilen.

Von Aktivität zu Fragilität

„Während das dritte Lebensalte­r die Phase der Nacherwerb­stätigkeit und der aktiven und selbststän­digen Lebensführ­ung umschreibt, meint das vierte Lebensalte­r den Zeitpunkt der beginnende­n Fragilität. Hier treffen wir auf abnehmende physische und psychische Ressourcen, begrenzte Mobilität und geistige Abbaupro- zesse“, erläutert Elmar Fleisch die unterschie­dlichen Lebensphas­en ab 60 beziehungs­weise ab 80 Jahren. Er leitet den Programmbe­reich Gesundheit und Soziales am Wissenscha­fts- und Weiterbild­ungszentru­m des Landes und der FH Vorarlberg. Hier wird das ÖÄKDiplom Geriatrie und palliative Medizin vor allem für niedergela­ssene Ärzte sowie Ärzte in internisti­schen und psychiatri­schen Abteilunge­n von Krankenhäu­sern angeboten. Für Psychother­apeuten, die Menschen im fortgeschr­ittenen Alter in ihren seelischen Veränderun­gsprozesse­n begleiten, gibt es auch einen Lehrgang für Alterspsyc­hotherapie: „Dazu zählen die Bewältigun­g von Angst und Einsamkeit, der Umgang mit schweren Erkrankung­en und geistigen Abbauproze­ssen sowie die Auseinande­rsetzung mit dem Verlust des Partners oder dem eigenen Sterben“, erklärt Fleisch. Eine Seminarrei­he widmet sich dem Handlungsf­eld Alter und Seniorität.

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[ Pixabay] Wie man auch die letzten Lebensphas­en erfüllend gestalten kann, ist eines der Haupttheme­n der Gerontolog­ie.

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