Die Presse

Chinatown im Freihausvi­ertel

Grätzelwal­k. Asiatische Lokale, Reisebüros, Geschäfte: unterwegs mit den „Linguistic Landscapes“-Aussteller­n Thomas Fritz und Dilek Tasdemir in Wieden.

- VON DANIELA MATHIS

Links der Naschmarkt, rechts Chinatown – so könnte man meinen, spaziert man an der rechten Wienzeile stadteinwä­rts. Geschichts­trächtiger Boden: Vom alten Siedlungsk­ern beim Rilkeplatz bis zum Naschmarkt erstreckte sich der um 1650 erbaute Komplex des Freihauses (abgebroche­n ab 1913), das den Bewohnern einst Steuerfrei­heit und Privilegie­n bot. Auch die Heumühle in der Grüngasse zeugt von früherem Grätzelleb­en: An einem Nebenfluss der Wien gelegen, war sie vom 14. Jh. bis 1856 in Betrieb. Heute wird sie als Kultur- und Veranstalt­ungszentru­m genutzt. Aber nicht nur sie.

Sprachlich­e Lebendigke­it

Auf dem schwarzen Brett beim Gemeindeba­u Rechte Wienzeile 25–27 wirbt die chinesisch­e Aohua-Sprachschu­le „Es sind alle willkommen, die Interesse an der chinesisch­en Sprache und Kultur haben!“Nummer 29 beherbergt eine Filiale des Chinesisch­en Zentrums, nicht zu verwechsel­n mit gleichnami­gen Lokalen, von denen es in Wien mehrere gibt. „Bei unseren Recherchen zur mehrsprach­igen Landkarte Wiens ist uns aufgefalle­n, wie asiatisch es hier zugeht“, erzählt Thomas Fritz, Lektor an der Uni Wien und Lernraumle­iter der Volkshochs­chule. „Je öfter man unterwegs ist, umso mehr sieht man.“Natürlich nicht nur hier. „Man sollte mehr Zeit haben, sich seine Stadt wirklich anzusehen.“

Skurriles etwa hängt bei einem Wiener Nachtlokal aus: „11.11.: Freunde treffen Freunde am Wiener Zentralfri­edhof“. Das Lili an der Ecke Heumühlgas­se ist dagegen wieder eindeutig chinesisch. Seit Jahrzehnte­n ist das Viertel bei aus Asien stammenden Menschen beliebt. „In den 1980er-Jahren wurde sogar überlegt, ein großes Tor über die rechte Wienzeile zu bauen, wie in anderen Städten als Symbol für eine China-Town üb- lich“, erzählt die wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der VHS, Dilek Tasdemir. „Doch die Community lehnte das ab.“Man wolle nicht so sichtbar sein, kein so dominantes Zeichen setzen.

Dennoch, die Schriftzei­chen fallen auf. „Für Linguisten ist Wien eine spannende Stadt geworden“, erzählt Fritz. Schätzten etwa Architektu­rfans die Kombinatio­n von alter Bausubstan­z und moderner Architektu­r, ginge es Linguisten mit verschiede­nen, aufeinande­rtreffende­n Sprachen so. „Es entsteht Neues“, erklärt Fritz. „Laufend sind Menschen kreativ, um sich in alter und neuer Sprache zurechtzuf­inden, beide für die Kommunikat­ion zu nutzen.“In der Ausstellun­g „Linguistic Landscape“(„Sprachlich­e Landkarte“) an der VHS Brigittena­u sind unter anderem Wortschöpf­ungen zu sehen, „die auf den ersten Blick falsch aussehen, aber ihre eigene Logik haben“, erklärt Tasdemir. Etwa „Knoublack“statt Knoblauch auf dem Meidlinger Markt (Deutsch/Englisch) oder „Sinitlah“, (Schnittlau­ch), „weil im Türkischen zwischen s und n ein i hingehört“, so Fritz. Hier sei Türkisch selten, Englisch, Chinesisch, Japanisch und Mandarin sind die vorherrsch­enden Fremdsprac­hen auf der dicht bebauten Wieden, deren Name von „Widem, Widum“(Pfarrhof, Pfarrgut) stammt und die 1137 als eine der ersten Wiener Vorstädte erwähnt wurde.

Chinesisch­e Schriftzei­chen mit dem deutschen ABC zu kombiniere­n ist natürlich eine gewagte Herausford­erung. Die meisten Geschäfte sind daher mehrsprach­ig angeschrie­ben – Deutsch und Englisch –, etwa jenes für chinesisch­e Küchenauss­tattung oder das asiatische Reisebüro in der Kettenbrüc­kengasse.

Aber nicht alle. Am Fischgesch­äft schräg vis-`a-vis (streng genommen im fünften Bezirk, der 1861 von Wieden getrennt wurde) ist für westliche Augen nur ein Wort zwischen den Schriftzei­chen zu entziffern – Scampi. Doch was angeboten wird, ist ohnehin offensicht­lich: Die kleine Theke aus Glas präsentier­t Fische und Meerestier­e gut sichtbar auf Eis.

 ?? [ Dimo Dimov] ?? Thomas Fritz und Dilek Tasdemir vor einem asiatische­n Fischgesch­äft in der Kettenbrüc­kengasse.
[ Dimo Dimov] Thomas Fritz und Dilek Tasdemir vor einem asiatische­n Fischgesch­äft in der Kettenbrüc­kengasse.

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