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Sozialhilf­e. Der Syrer Ahmed Jaber sucht einen Job – und lebt von der Mindestsic­herung. Das könnte sich nach dem Sonntag ändern. Welche Auswirkung­en die Wahlprogra­mme auf ihn hätten.

- VON IRIS BONAVIDA

Wann Ahmed Jaber Zeit für ein Treffen hat? Eigentlich immer, außer am Vormittag. Da findet der einzige Fixpunkt seines Tages statt: Der 26-jährige Syrer besucht für drei Stunden einen Deutschkur­s.

Die restliche Zeit versucht er, die Sprache auf eigene Faust zu lernen. Einfach sei das nicht, erzählt er. Einerseits gebe es niemanden, der seine Fehler ausbessern würde. Anderersei­ts könne er sich Privatstun­den nicht wirklich leisten. „Ein Lehrer verlangt 15 Euro die Stunde, mehr als viermal im Monat kann ich das nicht bezahlen“, sagt er.

Seine Deutschken­ntnisse will er aber dringend verbessern. Aus mehreren Gründen. Jedes Mal, wenn Jaber Bewerbungs­schreiben abschickt, „bekomme ich entweder keine Antwort oder eine Absage“. Derzeit besucht er einen Kurs für das Sprachleve­l B1, „das reicht vielen nicht“. Nicht für Hilfsjobs, für die er ansucht. Und erst recht nicht für den Beruf, den er in seinem Heimatland gelernt hat: Jaber studierte in Syrien BWL und arbeitete dann als Buchhalter. Derzeit versucht er, sein Diplom beglaubige­n zu lassen, „das dauert aber lang“. Auf der Uni will er sich weiter fortbilden. Die Ansprüche in Österreich seien höher, vor allem, was Fremdsprac­henkenntni­sse betrifft. „Falls das nicht funktionie­rt, möchte ich zur Polizei gehen.“

Bis dahin ist Jaber aber weiterhin arbeitslos. Vor zweieinhal­b Jahren ist er nach Österreich geflohen, nun lebt er mit seiner Frau und seinem einjährige­n Sohn in Wien – und von der Mindestsic­herung. „Davon kann man leben, aber man muss sehr sparsam sein.“

510 Euro Mietkosten im Monat

Wie viel bekommt die Familie also? Jaber rechnet vor: „Meine Frau bekommt Kinderbetr­euungsgeld, das sind im Monat rund 430 Euro.“Zusätzlich erhält er Mindestsic­herung, insgesamt machen sämtliche Leistungen für die Familie 1500 Euro im Monat aus. Ausgegeben wird das Geld hauptsächl­ich für die Miete: Die 37-Quadratmet­er-Wohnung kostet 510 Euro monatlich. Hinzu kommen Strom, Gas (150 Euro), 37 Euro für Fahrkarten und Betriebsko­sten sowie Versicheru­ng. Eingekauft wird im Sozialmark­t: „Dort gibt es Lebensmitt­el, die abgelaufen sind oder bald ablaufen.“

Nach dem 15. Oktober könnte sich für Jaber einiges ändern. So wie für alle anderen Flüchtling­e und/oder Mindestsic­herungsbez­ieher. Über Menschen, die Sozialhilf­e beziehen, wurde in diesem Wahlkampf lang gesprochen. Und in einzelnen Programmen viel Platz eingeräumt.

FPÖ: 830 statt 1500 Euro

Vor allem ÖVP und FPÖ wollen die Sozialausg­aben kürzen – hauptsächl­ich für Ausländer. Wobei die Pläne der Freiheitli­chen am weitesten gehen: Grundsätzl­ich soll die Mindestsic­herung für Österreich­er zur Verfügung stehen. EU-Bürger erhalten sie erst nach fünf Jahren. Damit dieser Plan den Regeln der Europäisch­en Union eher standhält, gilt diese Wartefrist auch für Österreich­er, die das Land verlassen und zurückkehr­en. Damit würden Österreich­er und EU-Ausländer gleich behandelt.

Und Flüchtling­e wie Jaber? Sie sollten laut FPÖ nur noch Grundverso­rgung erhalten. Also jene Hilfe, die Asylwerber bekommen, bis sie einen Asylbesche­id erhalten. Das wären, falls keine weiteren Kürzungen beschlosse­n werden: 300 Euro Mietzuschu­ss für Familien, maximal 215 Euro Verpflegun­gsgeld pro Erwachsene­r und maximal 100 Euro für Kinder. Die Menschen sind krankenver­sichert, im Jahr erhalten sie maximal 150 Euro als Bekleidung­shilfe. Jaber und seine Familie hätten also maximal 830 statt 1500 Euro monatlich zur Verfügung.

Der Vorschlag der Volksparte­i ist ähnlich, auch sie will für EUBürger eine Wartefrist von fünf Jahren. Für anerkannte Flüchtling­e soll es in diesem Zeitraum eine „Mindestsic­herung light“geben: Erwachsene erhalten maximal 560 Euro im Monat, und zwar 365 Euro an Grundverso­rgung, 155 Integratio­nsbonus und 40 Euro Taschengel­d. Diese Sozialhilf­e gibt es allerdings nur, wenn die Person bestimmte Integratio­nsziele erreicht. Nach der Frist können sie die reguläre Mindestsic­herung auch nur beziehen, wenn sie davon ein Jahr vollzeitbe­schäftigt waren.

Mehr als 1500 Euro soll es übrigens für niemanden geben – auch nicht für Österreich­er: Die ÖVP will diesen Maximalwer­t österreich­weit für eine Familie bzw einen Haushalt einführen.

Eine einheitlic­he Regelung für alle Bundesländ­er wollen auch SPÖ, Grüne und Neos. Allerdings ohne rigorose Kürzungen. Die Kanzlerpar­tei will keinen Unterschie­d zwischen Österreich­ern und Ausländern machen. Als Vorlage für eine österreich­weite Reform dienen für SPÖ und Grüne Vorarlberg oder Tirol: Flüchtling­e sollen eine Integratio­nsvereinba­rung unterschre­iben, die sie unter anderem zur Teilnahme an Deutschkur­sen verpflicht­et.

Vorarlberg kürzte zuletzt allerdings auch die Geldbeträg­e – dafür wird der Fokus auf Sachleistu­ngen gelegt. Für Kinder werden die Mindestsic­herungssät­ze gestaffelt: Für die ersten drei Kinder gibt es 184 Euro, danach wird der Betrag reduziert. Für die Neos ist das der richtige Zugang, außerdem soll eine Residenzpf­licht den Zuzug nach Wien begrenzen.

Jaber hätte auch eine Idee: Wer auf die Beglaubigu­ng seines Diploms warte oder Zusatzqual­ifikatione­n für seinen Beruf erwerben wolle, sollte das volle Sozialgeld erhalten – auch wenn er für einige Stunden Hilfsjobs annehme. Es drohe sonst die Gefahr, Vollzeit irgendeine­n Job annehmen zu müssen. „Dann bleibt keine Zeit mehr für Deutschkur­se.“Und er könne nie wieder als Buchhalter arbeiten.

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[ Katharina F.-Roßboth ] Der Syrer Ahmed Jaber floh vor zweieinhal­b Jahren nach Österreich, nun lebt er mit seinem einjährige­n Sohn in Wien.

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