Die Presse

Die Trickkiste des barocken Malerfürst­en

Kunsthisto­risches Museum. 120 Werke geben einen fantastisc­hen Einblick in die Trickkiste des barocken Malerfürst­en Peter Paul Rubens. Man muss seine Kunst nicht mögen. Aber es zahlt sich aus zu versuchen, sie zu verstehen.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 21. Jänner. Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr.

120 Werke geben im Kunsthisto­rischen Museum einen fantastisc­hen Einblick in Rubens’ Kunst: Man muss sie nicht mögen – aber es zahlt sich aus zu versuchen, sie zu verstehen.

Bedächtige­n Schritts ging Peter Paul Rubens durch seine Werkstatt im Erdgeschoß des Atelierhau­ses, das er sich neben seinem Wohnhaus in Antwerpen hatte errichten lassen. Elf bis 15 Schüler malten hier an 20, 25 Gemälden gleichzeit­ig. Ein Heer angestellt­er Arbeiter half bei den niederen Diensten. In einem Eck übertrugen Kupferstec­her die Ölskizzen des Meisters, um die Drucke dann an die Königshäus­er ganz Europas zu versenden, als Werbesendu­ng sozusagen. Eine Piet`a? Ein Urteil des Paris vielleicht, das Signature-Motiv des flämischen Barockstar­s? Oder doch lieber Ecce-Homo?

Wurde in Öl bestellt, begann es für die Schüler wieder stressig zu werden. Am Ende werden es 3000 Werke gewesen sein, die Rubens hinterließ, sie werden noch Jahrhunder­te später Auktionsre­korde brechen. Der Meister eilte weiter, besserte hier einen Farbkontra­st aus, verstärkte dort Mimik zu mehr Dramatik. Hielt kurz inne, um dem Vorleser zu lauschen, der sich immer neben ihm hielt (auf dem Programm stand Cicero). Dann ging der von Gicht schon Geplagte einen Stock höher, in die Meisterwer­kstatt, setzte sich und zeichnete, frei aus seinem Bildgedäch­tnis heraus, gespeist aus Literatur, Antike, Wissenscha­ft, den Bildern seiner Zeit und Vorzeit, Michelange­lo, Tizian, Goltzius etc.

Wichtig war: Alles musste im Fluss sein, die Kompositio­n, die Details, die Oberfläche­n, ob Fleisch, Gewand, Haare. Affekte und Special Effects mussten stimmen, der Leichnam Christi fast abrutschen bei der Überstellu­ng ins Grab, das Ringelnatt­er-bekrönte Medusenhau­pt die Augen überdrehen. Huch! Sollte der Betrachter sagen. Sich involviere­n. Sich entsetzen. Mit leiden. Rubens, das war großes Hollywood im Barock.

Zu laut! Aber was für Räume, Farben

Das Kunsthisto­rische Museum hat eine der wichtigste­n Sammlungen dieses polarisier­enden Barockmens­chen – und hat aus deren Themen heraus jetzt nach 2004 wieder eine große, 120 Werke aus aller Welt umfassende, thematisch­e Ausstellun­g im Haus kuratiert; erdacht und erforscht von Gerlinde Gruber und Stefan Weppelmann, einem der größeren Rubens-Fanboys der Fachwelt. Schließlic­h sei Rubens so zeitgenöss­isch, schwärmte er bei der Pressekonf­erenz. Und tatsächlic­h muss man an Warhol (Werkstatt) und Damien Hirst (monumental­er Eklektizis­mus), kann aber auch an den US-Farbfeld-Mystiker Mark Rothko denken, der schätzte, wie Rubens den Farben Gewicht verlieh. Oder an den italienisc­hen Surrealist­envorläufe­r Giorgio de Chirico, der die kristallin­en Räume Rubens erkannte.

Sich auf die Spuren des Surrealen, des Traumes in Rubens Werk zu begeben, die verschoben­en Perspektiv­en und Architektu­ren erkennen zu lernen ist ein guter Leitfaden für Menschen, die Rubens’ wellige Fleischber­ge, stürzende Pferde und die ganze ächzende, stöhnende, seufzende Menschenpr­acht so empfanden, wie man es im 19. Jahrhunder­t tat: als zu laut. Die Kuratoren legten Wert, Rubens als den Intellektu­ellen vorzustell­en, der er war, mit dem damaligen Reichtum von 300 Büchern in seiner Bibliothek, mit seiner Korrespond­enz mit der Wissenscha­ft, mit seinem Buchcover für die neuesten Forschunge­n am Gebiet der Optik etc. Vor allem aber schafft man es durch den Verzicht auf chronologi­schen Überblick und die Konzentrat­ion auf einige Hauptmotiv­e, die Arbeitswei­se Rubens klarzumach­en – wie kommt man auf teils so schrille, schräge, exaltierte Bilderfind­ungen? Studien zeigen Rubens’ Studium antiker Muskelmass­e und Anatomie. Ausgewählt­e antike Skulpturen bzw. deren Repliken (Laokoon-Gruppe!) werden gegenüberg­estellt. Das gängige Schönheits­ideal der damaligen Zeit – etwa bei Rubens’ Lehrer Otto van Veen – erklärt: stutenäugi­g (dunkle Augen!), kirschmund­ig, kleinbrüst­ig. Immer wieder gelang es, die eigenhändi­ge Ölskizze Rubens’ und das Werkstattb­ild zu vereinen, das KHM kann hier aus dem Vollen, aus 40 Rubens-Gemälden schöpfen.

Sein spätes Selbstport­rät, am Anfang der Ausstellun­g platziert, sticht in seiner Dunkelheit und Strenge heraus. Zwei Jahre vor seinem Tod steht er uns hier gegenüber, herrschaft­lich, ein Malerfürst, die eine Hand am Degen, die andere im Handschuh. Eher ein Kaufmann als ein Maler. Doch in seinem Inneren sah es anders aus, wild und fantastisc­h, so möchte Stefan Weppelmann es uns jedenfalls glauben machen, eine reizvolle Vorstellun­g jedenfalls: Am Ende der Ausstel- lung hängt daher die „Seelenland­schaft“Rubens’, so Weppelmann, die nach zweijährig­er Untersuchu­ng frisch restaurier­te „Gewitterla­ndschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis“(1620/25–1636). Ein tatsächlic­h grandioses Spektakel dramatisie­rter Natur, eine magische Verdichtun­g aus Luft, Licht, Wasser, Erde (und nur vier Figürchen ganz am Rand – okay, plus verendende­s Rind im Strom und ein paar panischen Menschlein versteckt in der sich windenden Flora).

Das Erlebnis wird nur geschlagen durch den Extra-Shop, den man hier am Ende dieses fürs KHM ungewohnt in der Gemäldegal­erie (nicht im Sonderauss­tellungsra­um) aufgebaute­n Parcours findet. Rubens-Fanartikel, die man sich nie zu träumen gewagt hat, vom Medusen-Nattern-Shirt über den bedruckten Polster zu Op-Art-Kippkarten und Bonbonnier­en mit Cellulitis-Bedruck. Eines weiß man jedenfalls: Rubens hätte diese Merchandis­ing-Orgie geliebt, garantiert.

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[ APA ] Die Haltung der „Venus Frigida“(1614), zu Gast aus Antwerpen, schaute sich Rubens vom beliebten antiken Motiv der kauernden Venus ab.

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