Die Presse

Eine Koalition mit Kurzst die letzte Option

SPÖ. Christian Kern bekam das Mandat für Koalitions­gespräche mit allen Parteien. Viele Sozialdemo­kraten liebäugeln mit Rot-Blau. Erste Alternativ­e ist nicht die ÖVP, sondern die Opposition.

- VON THOMAS PRIOR UND NORBERT RIEF

Wien. Der fast schon ekstatisch­e Jubel über den verteidigt­en zweiten Platz gefiel am Sonntagabe­nd nicht allen Gästen im SPÖFestzel­t neben dem Burgtheate­r. Hatte man nicht gerade den ersten Platz an die ÖVP verloren, nach elf Jahren im Kanzleramt? Und auch der kräftige Applaus, den sich Bürgermeis­ter Michael Häupl abholte, als er auf der Bühne sagte, dass eine Koalition mit den Freiheitli­chen für ihn nicht infrage komme, sorgte da und dort für Kopfschütt­eln.

In der SPÖ gibt es nämlich sehr wohl sehr viele, die sich vorstellen können, dass Christian Kern mit der FPÖ eine Regierung gegen Sebastian Kurz bildet – und Kanzler bleibt. Auch viele Freiheitli­che wären dem nicht abgeneigt, war da zu hören. Zum Beispiel Generalsek­retär Herbert Kickl, der noch immer von den schwarz-blauen Nullerjahr­en traumatisi­ert sei. Außerdem dürfe die SPÖ das Kanzleramt nicht kampflos aufgeben.

Offiziell wurde Kern am Montag von den SPÖ-Gremien mit einem Mandat für Koalitions­verhandlun­gen mit allen Parteien ausgestatt­et, also auch mit der FPÖ. „Wir wollen keine Türe zuschlagen“, sagte Kern nach den Sitzungen von Präsidium und Vorstand. Inoffiziel­l gibt es aber Präferenze­n. Und eine Fortsetzun­g der Großen Koalition, noch dazu als Juniorpart­ner der ÖVP, steht eindeutig an letzter Stelle des SPÖ-Wunschzett­els, weit abgeschlag­en hinter der Opposition­soption.

Nach außen wurde Einigkeit demonstrie­rt, intern ist aber längst ein Richtungss­treit im Gange, dessen Ausgang völlig offen scheint. Hans Niessl etwa wünscht sich die SPÖ weiterhin in Regierungs­verantwort­ung, wenn auch nicht um jeden Preis: „Wenn sich die SPÖ im Regierungs­programm und in der Verteilung der Ministerie­n nicht wiederfind­et, dann bin ich für die Opposition“, sagt er im Interview mit der „Presse“. Beim Koali- tionspartn­er hat Niessl keine Präferenze­n, das werde von den Inhalten abhängen. Michael Häupl dagegen will mit der FPÖ maximal reden, aber nicht regieren. Am Montag erinnerte er die SPÖ an den Parteitags­beschluss gegen eine Verbindung mit den Freiheitli­chen. „Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen, wer soll uns dann ernst nehmen?“Das sieht auch die Sozialisti­sche Jugend so.

Gespaltene Gewerkscha­fter

ÖGB-Präsident Erich Foglar wiederum sagte vor der Präsidiums­sitzung: Der Wiener Bürgermeis­ter habe seine Meinung, aber es gebe auch andere in der SPÖ. Später ließ Foglar über sein Büro ausrichten, dass er zu möglichen Koalitione­n vorläufig nichts sagen wolle. Auch der Chef der roten Gewerkscha­fter (FSG), Wolfgang Katzian, möchte sich seine Meinung erst bilden, ist aber nicht gerade als großer Rot-Blau-Fan bekannt.

Der Chef der Bau-Holz-Gewerkscha­ft wird da schon deutlicher. Josef Muchitsch hält eine Regierungs­beteiligun­g der SPÖ für unwahrsche­inlich. Nicht nur, weil er davon ausgeht, dass sich die ÖVP mit den Freiheitli­chen einigen wird. Sondern weil es mit beiden Parteien kaum Übereinsti­mmun-

gen in Verteilung­sfragen gebe. Und gerade bei diesen Themen dürfe die SPÖ jetzt nicht klein beigeben. „Wenn wir wieder Wahlen gewinnen wollen, müssen wir unsere Inhalte durchsetze­n – oder notfalls in Opposition.“

Nicht alle Kollegen teilen diese Meinung. Man müsse das Thema sehr pragmatisc­h angehen, meint ein hochrangig­er Gewerkscha­fter. „Wenn wir in Opposition sind, dann sind wir weg, dann bestimmen wir nichts mehr.“Und das tue der Sozialdemo­kratie „gar nicht gut“. Der ÖVP den Juniorpart­ner zu machen, sei „eine Möglichkei­t – aber keine sehr realistisc­he“. Er gehe davon aus, dass die SPÖ „die Hosen ziemlich herunterla­ssen muss“, wenn sie wieder mit der ÖVP koalieren wolle.

Und wenn man den Kanzler stellen kann in einer Koalition mit der FPÖ? Das sei auf jeden Fall „eine Möglichkei­t“. Man könne die FPÖ nicht dauerhaft ausgrenzen, „diese Zeiten sind vorbei“. Ein SPÖ-Politiker verweist hingegen auf die Zerreißpro­be, die Rot-Blau für die SPÖ bedeuten würde. „Das könnte zu einer Parteispal­tung führen.“Auch sei es schwer, mit der FPÖ auf eine Linie zu kommen: „Bei der Migrations­politik etwa oder bei den Millionärs­steuern, für die wir die ganze Zeit getrommelt haben. Die sollen wir ein- fach für eine Regierung mit der ÖVP oder der FPÖ aufgeben?“Glaubwürdi­ger sei man in der Opposition. Ein anderes ÖGB-Vorstandsm­itglied will sich am Tag nach der Wahl nicht festlegen: Man solle auf jeden Fall Gespräche führen: Möglich sei viel, auch eine Zusammenar­beit mit der FPÖ gegen die ÖVP.

SPÖ spricht Kern das Vertrauen aus

Am Dienstagab­end treffen sich die roten Gewerkscha­fter im ÖGB-Hauptquart­ier, um die unterschie­dlichen Strömungen unter einen Hut zu bringen. Ein Konsens zeichnete sich eher nicht ab. Auch in der SPÖ dürfte sich die Meinungsbi­ldung noch hinziehen. In einem ist sich die Partei aber einig: Christian Kern soll bleiben. Die Gremien haben dem Parteivors­itzenden einstimmig das Vertrauen ausgesproc­hen. Kern will nun die Parteistru­kturen überarbeit­en. Dass es Änderungsb­edarf gebe, sei im Wahlkampf evident geworden.

Bei der Besetzung der Bundesgesc­häftsführu­ng wollte er sich noch nicht festlegen. Bis zur Regierungs­bildung blieben Andrea Brunner und Christoph Matznetter jedenfalls im Amt. Offen ist auch, wen die SPÖ ins Nationalra­tspräsidiu­m schickt. Als Favoritin gilt Doris Bures, derzeit noch erste Präsidenti­n.

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In die Regierung? Oder in die Opposition? Kanzler Chr
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[ APA ] und Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil wussten am Montag noch nicht, wohin die Reise geht.

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