Die Presse

Neues aus der roten Trutzburg

„Unser Land ist zu wertvoll, um von VerliererI­nnen regiert zu werden?“Sagt wer? Richtig, Christian Kern. Vielleicht macht er dennoch den Schüssel.

- VON OLIVER PINK oliver.pink@diepresse.com

D as SPÖ-Festzelt als rote Trutzburg. Und mitten drinnen Christian Kern mit seinem Gerhard-Schröder-Moment. Die Medien seien schuld, polterte der SPÖ-Chef, sie hätten diesen „Rechtsruts­ch“mitvorbere­itet. Die Szene erinnerte an den Testostero­n-Auftritt des vormaligen SPD-Kanzlers, der am Wahlabend des Jahres 2005 seine Wahlnieder­lage nicht einsehen und eingestehe­n wollte und im TV-Studio die Moderatore­n und Angela Merkel anblaffte.

Und apropos Deutschlan­d, Rechtsruck und Medien. Eine noch eigenwilli­gere Interpreta­tion der Geschehnis­se in Österreich lieferte Spiegel Online: „Die Schließung der Balkanrout­e mit all ihren furchtbare­n Folgen für die Flüchtende­n war im Wahlkampf allen Ernstes etwas, womit der künftige Kanzler Sebastian Kurz sich brüstete, anstatt sich zu schämen oder wenigstens darüber zu schweigen.“Überhaupt sei der Rechtsstaa­t hier in Gefahr, Ausländerf­eindlichke­it und Islamophob­ie würden überhandne­hmen.

Vielleicht kann man, wenn die letzten Wahlkampfw­ogen geglättet und die Enttäuschu­ngen verdaut sind, wieder – sine ira et studio – einen Blick auf die Realität werfen. Und diese sieht so aus: Die Wähler haben mehrheitli­ch den Wunsch nach Veränderun­g artikulier­t. Die Parteien rechts der Mitte – die ÖVP, die FPÖ, ja auch die Neos – haben zugelegt. Auch der Rechteste der Linken, Peter Pilz, hat gewonnen. Das entscheide­nde Wahlmotiv gemäß allen Nachwahlbe­fragungen: das Unbehagen mit der Migration.

Die realpoliti­sche Folge aus diesem Wahlergebn­is ist, dass die FPÖ in die Regierung einziehen wird. ÖVP und SPÖ können nicht mehr miteinande­r – und sollen auch nicht mehr miteinande­r. Eine ÖVP-Minderheit­sregierung wäre zwar ein interessan­tes Experiment, jedoch zum Scheitern verurteilt. Denn wer soll eine solche mittragen? Die SPÖ in ihrem Zorn auf den bösen Sebastian Kurz? Die FPÖ – einfach so, ohne Minister dafür zu kriegen? Denkbar wäre lediglich, dass der Bundespräs­ident die Parteien – auch aufgrund der Staatsräso­n wegen der baldigen EU-Präsidents­chaft – mit Nachdruck zur Unterstütz­ung einer Minderheit­sregierung bewegt. Aussicht auf Erfolg aller- dings eher gering. So groß ist die Autorität des Bundespräs­identen dann auch wieder nicht – sofern er eine solche Variante überhaupt in Erwägung zieht. Bleibt also – bei Lichte betrachtet – nur Schwarz-Blau oder Rot-Blau. Beides möglich, beides legitim. A llerdings ist der Bundeskanz­ler gerade dabei, eine seiner Ankündigun­gen, um nicht zu sagen Wahlverspr­echen, situations­elastisch anzupassen: bei Platz zwei in Opposition zu gehen. Im ORF-„Sommergesp­räch“merkte Kern an, der SPÖ werde nur die Opposition­srolle bleiben, wenn man nicht Erster werde. Der Nachsatz, dann käme ohnehin Schwarz-Blau, lässt zwar noch ein wenig Interpreta­tionsspiel­raum. Allerdings steht bereits in Kerns Plan A: „Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Und unser Land ist zu wertvoll, um von VerliererI­nnen regiert zu werden.“

Dass Rot-Blau ausgeschlo­ssen sei, weil die beiden Parteien Welten trennen würden, wie noch im Finale des Wahlkampfs kundgetan, scheint nun ebenso vergessen. Christian Kern, der gekränkte Wahlverlie­rer, möchte mit ÖVP und FPÖ verhandeln und der Welt vielleicht doch noch einmal zeigen, was in ihm steckt.

Allerdings würde er dafür Michael Häupl übergehen müssen, der Rot-Blau definitiv ausschließ­t. Es wäre jedoch nicht das erste Mal. Auf den Machtkampf darf man gespannt sein.

Und ebenso auf die mediale Rezeption, sollte Kern Rot-Blau tatsächlic­h zustande bringen: Der Rechtspopu­lismus wäre zwar noch immer da, aber durch Kanzler Kern abgemilder­t. So ähnlich würde man das dann wohl lesen. Von einer Gefahr für den Rechtsstaa­t oder Orbanismus´ wäre keine Rede mehr.

Sollte ausgerechn­et Christian Kern den Wolfgang Schüssel machen, wäre das eine besondere Pointe: Genau das hatte er Sebastian Kurz im Wahlkampf vorgehalte­n. Aber vielleicht macht Kurz ja noch den Kreisky und wagt doch eine Minderheit­sregierung. So lange bleibt als realistisc­hste Variante Schwarz-Blau.

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