Wie kommunistisch Chinas KP wirklich ist
Analyse. Rote Propaganda und Raubtierkapitalismus – wie passt das zusammen? Am Mittwoch tritt die Kommunistische Partei zu ihrem alle fünf Jahre tagenden Kongress zusammen. Ihre Ideologie dient allein dem Machterhalt.
Peking. Über den Begriff Kommunismus kann Zhu nur lachen. Seit mehr als 30 Jahren schuftet er auf Baustellen, schleppt Betonplatten, baut Straßen, Schienentrassen und Brücken. Zhu zeigt auf seine rechte Schulter. Sie hängt schief. Vor vier Jahren fiel er vom Gerüst und brach sich die Rippen. Die Knochen wuchsen falsch zusammen. Krankengeld? Gab es nicht. Sobald er wieder auf den Füßen war, musste er zurück auf den Bau.
Der 56-Jährige gehört einem Bautrupp an, der das Pekinger In-Viertel Sanlitun aufhübscht. „Wenn bunte Blumen vor dem Parteitag Kommunismus bedeuten, ja, dann haben wir ihn“, sagt Zhu. „Mir hat er aber nichts gebracht.“Für den 19. Kongress der Kommunistischen Partei (KP), der am Mittwoch beginnt, hat sich Peking herausgeputzt. 2287 Gesandte aus allen Landesteilen sind nach Peking gekommen, um Führung und politische Schwerpunkte der nächsten fünf Jahre zu bestimmen.
Auf dem sozialistischen Pfad
Seit 68 Jahren regiert die KP das bevölkerungsreichste Land der Welt. Offiziell definiert sich die Volksrepublik weiter als Arbeiterund Bauernstaat. Zugleich zählt Peking die meisten Milliardäre der Welt. Kommunistische Parolen und Raubtierkapitalismus – wie passt das zusammen? Antworten liefert Wang Yiwei. Der 45-Jährige ist Direktor des Zentrums für Europäische Studien an der Pekinger Renmin-Universität. China befinde sich noch immer auf dem sozialistischen Pfad. Es habe den Kommunismus nur noch nicht erreicht. Das Ziel werde aber weiter verfolgt. Die vielen Luxusautos auf Pekings Straßen? Sie seien kein Problem. „Schließlich muss erst ein gewisser Wohlstand geschaffen werden, um umverteilen zu können.“
Auch Pekings Buchgeschäfte geben Antworten. Sie sind derzeit voller Werke, auf denen groß Staats- und Parteichef Xi Jinping prangt. Vor einigen Wochen veröffentlichte der Parteiverlag ein Buch mit Xis Vorstellungen über den sozialistischen Aufbau. Eins der bereits erreichten Ziele: die Bekämpfung der Armut. Noch vor 30 Jahren gab es in China mehr als eine Milliarde Menschen unter der Armutsgrenze, heute sind es weniger als 50 Millionen. Bis 2021 wer- de es niemanden mehr geben, der in China hungert, lautet das Ziel. Kommunismus eben.
Zugleich steigen Löhne und Vermögen rasant. Die KP pumpt Milliarden in bestimmte Schlüsseltechnologien: Raumfahrt, Elektromobilität, Flugzeugindustrie, Digitaltechnologie. Planwirtschaft wie aus dem Bilderbuch. Nur dass diese Industrien in China, anders als in Staaten des einstigen Ostblocks, technisch auf dem modernsten Stand und weltweit konkurrenzfähig sind. Das Volk scheint es der Führung zu danken.
Die KP erlebt seit Jahren einen Mitgliederzuwachs. Einer Studie des Berliner China-Instituts Merics zufolge bewarben sich in den vergangenen Jahren durchschnittlich 20 Millionen Menschen pro Jahr um eine Mitgliedschaft. Allein seit 2005 sei die Partei um 26 Prozent gewachsen. Mit knapp 90 Millionen Mitgliedern ist Chinas KP eine der größten Parteien der Welt.
Eine Schmiede für die Elite
Doch die meisten Neuzugänge traten der Partei nicht aus Überzeugung, sondern aus Karrieregründen bei, stellt die gleiche Studie fest. Ideologische Vorgaben der Parteizentrale sind ihnen gleichgültig. Viel wichtiger seien für sie die Beziehungsnetze, „die sich in Chinas Verwaltung und Wirtschaft für Parteimitglieder erschließen“. Die Partei – eine Kaderschmiede für die Elite?
Die Partei spreche zwar weiter von Kommunismus, meint daher Willy Lam, Politologe an der Chinese University of Hong Kong. Doch in Wahrheit gehe es ihr allein um Machterhalt. Chinas KP sei eine autoritäre Organisation im leninistischen Stil, die ihre Bürger in Schach halte und Kritiker unterdrücke. Für stabil hält er dieses System nicht. Das eindeutigste Indiz dafür sei, dass Reiche ihr Vermögen ins Ausland verlagerten. „Das ist sicherlich nicht Kommunismus im Marxschen Sinne.“