Die Presse

Ein Gesetz macht sich selbststän­dig

Sozialvers­icherung. Ein neues Gesetz soll klären, ob jemand selbststän­dig oder angestellt ist. Nun streiten Unternehme­r und Krankenkas­se, ob das Gesetz schon anzuwenden ist.

- VON JUDITH HECHT

Wien. Ist ein Mitarbeite­r als Selbststän­diger oder doch als Dienstnehm­er zu behandeln? Die Antwort auf diese Frage ist für jeden Unternehme­r höchst relevant. Ein Szenario fürchtet nämlich jeder: Dass die Gebietskra­nkenkassen (GKKs) im Zuge einer Prüfung im Nachhinein vermeintli­ch Selbststän­dige als Dienstnehm­er qualifizie­rt – und rückwirken­d für sie eine Pflichtver­sicherung nach dem Allgemeine­n Sozialvers­icherungsg­esetz (ASVG) für bis zu fünf Jahren vorschreib­t. Das kommt Unternehme­rn nämlich teuer. Insbesonde­re kleineren Firmen brach so ein GKK-Bescheid finanziell immer wieder das Genick. Denn neben den hohen Nachzahlun­gen hatten sie dem Neo-Dienstnehm­er, wenn er es verlangte, auch die Versicheru­ngsbeiträg­e rückzuerst­atten, die dieser noch als Selbststän­diger an die Sozialvers­icherungsa­nstalt gezahlt hat. Diese plötzliche Doppelbela­stung konnten Wirtschaft­streibende mit wenig Liquidität häufig nicht stemmen und meldeten Konkurs an.

Was heißt „1. Juli 2017“?

Mit dem Sozialvers­icherungs-Zuordnungs­gesetz (SV-ZG) sollte dieses Horrorszen­ario endlich der Vergangenh­eit angehören. Das Gesetz ist seit 1. Juli 2017 in Kraft und bringt Unternehme­rn nicht nur Rechtssich­erheit, sondern andere Verbesseru­ngen. Erleichter­t aufatmen können sie jedoch immer noch nicht. Es gibt nämlich Auffassung­sunterschi­ede darüber, wie das Inkrafttre­tensdatum „1. Juli 2017“zu interpreti­eren ist.

Dazu muss man wissen, dass Gebietskra­nkenkassen bei diesen „Gemeinsame­n Prüfungen aller lohnabhäng­igen Abgaben“(GPLA-Prüfungen) immer Beitragsze­iträume unter die Lupe nehmen, die in der Vergangenh­eit – aktuell etwa 2013 bis 2016 – liegen. Die Gretchenfr­age lautet nun: Ist das Gesetz erst auf Beitragsze­iträume anzuwenden, die nach dem 1.7. 2017 liegen oder schon auf solche davor? Der Unterschie­d ist gewaltig. Bei der ersten Variante wäre das neue Gesetz für die nächsten drei, vier Jahre von keiner Relevanz. Denn erst dann wird die GKK bei Prüfungen das Jahr 2017 anschauen. Im zweiten Fall aber wären die neuen Regelungen schon heute auf alle GKK-Prüfungen anwendbar, die nach dem 1. 7. 2017 beendet werden.

„Die Presse“fragte im Sozialmini­sterium nach, wie das Gesetz dort verstanden wird und bekam folgende Antwort: „Die Krankenver­sicherungs­träger haben sich mit der Frage bereits befasst, wie das Gesetz zu vollziehen ist. Dem Sozialmini­sterium kommt dabei kein Weisungsre­cht zu. Der Auskunft des Hauptverba­ndes folgend, ist das Sozialvers­icherungs-Zuordnungs­gesetz auf jene GPLA-Prüfungen anzuwenden, die seit dem 1. 7. 2017 begonnen haben.“

Diese Auffassung teilt die Wirtschaft­skammer ganz und gar nicht. Für sie steht au- ßer Frage, das neue Gesetz müsse schon für Prüfungen gelten, die nach dem 1. 7. entschiede­n werden. Und Walter Ruck, Präsident der Wiener Wirtschaft­skammer, stellte kürzlich klar: „Die neue Regelung muss für Beitragsze­iträume vor dem 1. 7. 2017 gelten, sonst bringt sie nichts.“

Dass sich die Wirtschaft­skammer auf diesen Standpunkt stellt, ist verständli­ch. Schließlic­h sehnten Unternehme­r die Neuregelun­g schon lange herbei und wollen nun endlich in den Genuss der Erleichter­ungen kommen. Allerdings, für die Interpreta­tion eines Gesetzes ist nicht ausschlagg­ebend, was sich der Leser der Regelung wünscht. Doch in diesem Fall kommen auch Arbeitsrec­htsexperte­n zum selben Ergebnis wie die Wirtschaft­skammer. Einer von ihnen ist Rechtsanwa­lt Stefan Kühteubel: „Das Gesetz sieht wörtlich vor, dass die Bestimmung­en des Gesetzes ab dem 1. 7. 2017 gelten. Dementspre­chend sind die neuen Regelungen auf alle laufenden Verfahren anzuwenden, die nicht bis spätestens 30. 6. 2017 abgeschlos­sen wurden. Die andere Ansicht widerspric­ht klar dem Wortlaut.“

Suche nach Einigung

Mittlerwei­le dürfte es zu einem gewissen Umdenken im Sozialmini­sterium und im Hauptverba­nd der österreich­ischen Sozialvers­icherungst­räger gekommen sein, erfuhr „Die Presse“. Man verstehe das Bedürfnis der Unternehme­n nach Rechtssich­erheit, heißt es. Auch die Initiative des Präsidente­n der Wiener Wirtschaft­skammer, Walter Ruck, sich doch bald auf eine Linie zu verständig­en, unterstütz­e man. Derzeit sei man bemüht, sich mit allen Sozialpart­nern zu verständig­en und eine Einigung zu erzielen.

Wie lange es noch brauchen wird, um einen Konsens zu finden, blieb aber offen. Gut möglich, dass das Wahlergebn­is eine Einigung beschleuni­gt.

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