Ein Gesetz macht sich selbstständig
Sozialversicherung. Ein neues Gesetz soll klären, ob jemand selbstständig oder angestellt ist. Nun streiten Unternehmer und Krankenkasse, ob das Gesetz schon anzuwenden ist.
Wien. Ist ein Mitarbeiter als Selbstständiger oder doch als Dienstnehmer zu behandeln? Die Antwort auf diese Frage ist für jeden Unternehmer höchst relevant. Ein Szenario fürchtet nämlich jeder: Dass die Gebietskrankenkassen (GKKs) im Zuge einer Prüfung im Nachhinein vermeintlich Selbstständige als Dienstnehmer qualifiziert – und rückwirkend für sie eine Pflichtversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für bis zu fünf Jahren vorschreibt. Das kommt Unternehmern nämlich teuer. Insbesondere kleineren Firmen brach so ein GKK-Bescheid finanziell immer wieder das Genick. Denn neben den hohen Nachzahlungen hatten sie dem Neo-Dienstnehmer, wenn er es verlangte, auch die Versicherungsbeiträge rückzuerstatten, die dieser noch als Selbstständiger an die Sozialversicherungsanstalt gezahlt hat. Diese plötzliche Doppelbelastung konnten Wirtschaftstreibende mit wenig Liquidität häufig nicht stemmen und meldeten Konkurs an.
Was heißt „1. Juli 2017“?
Mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz (SV-ZG) sollte dieses Horrorszenario endlich der Vergangenheit angehören. Das Gesetz ist seit 1. Juli 2017 in Kraft und bringt Unternehmern nicht nur Rechtssicherheit, sondern andere Verbesserungen. Erleichtert aufatmen können sie jedoch immer noch nicht. Es gibt nämlich Auffassungsunterschiede darüber, wie das Inkrafttretensdatum „1. Juli 2017“zu interpretieren ist.
Dazu muss man wissen, dass Gebietskrankenkassen bei diesen „Gemeinsamen Prüfungen aller lohnabhängigen Abgaben“(GPLA-Prüfungen) immer Beitragszeiträume unter die Lupe nehmen, die in der Vergangenheit – aktuell etwa 2013 bis 2016 – liegen. Die Gretchenfrage lautet nun: Ist das Gesetz erst auf Beitragszeiträume anzuwenden, die nach dem 1.7. 2017 liegen oder schon auf solche davor? Der Unterschied ist gewaltig. Bei der ersten Variante wäre das neue Gesetz für die nächsten drei, vier Jahre von keiner Relevanz. Denn erst dann wird die GKK bei Prüfungen das Jahr 2017 anschauen. Im zweiten Fall aber wären die neuen Regelungen schon heute auf alle GKK-Prüfungen anwendbar, die nach dem 1. 7. 2017 beendet werden.
„Die Presse“fragte im Sozialministerium nach, wie das Gesetz dort verstanden wird und bekam folgende Antwort: „Die Krankenversicherungsträger haben sich mit der Frage bereits befasst, wie das Gesetz zu vollziehen ist. Dem Sozialministerium kommt dabei kein Weisungsrecht zu. Der Auskunft des Hauptverbandes folgend, ist das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz auf jene GPLA-Prüfungen anzuwenden, die seit dem 1. 7. 2017 begonnen haben.“
Diese Auffassung teilt die Wirtschaftskammer ganz und gar nicht. Für sie steht au- ßer Frage, das neue Gesetz müsse schon für Prüfungen gelten, die nach dem 1. 7. entschieden werden. Und Walter Ruck, Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, stellte kürzlich klar: „Die neue Regelung muss für Beitragszeiträume vor dem 1. 7. 2017 gelten, sonst bringt sie nichts.“
Dass sich die Wirtschaftskammer auf diesen Standpunkt stellt, ist verständlich. Schließlich sehnten Unternehmer die Neuregelung schon lange herbei und wollen nun endlich in den Genuss der Erleichterungen kommen. Allerdings, für die Interpretation eines Gesetzes ist nicht ausschlaggebend, was sich der Leser der Regelung wünscht. Doch in diesem Fall kommen auch Arbeitsrechtsexperten zum selben Ergebnis wie die Wirtschaftskammer. Einer von ihnen ist Rechtsanwalt Stefan Kühteubel: „Das Gesetz sieht wörtlich vor, dass die Bestimmungen des Gesetzes ab dem 1. 7. 2017 gelten. Dementsprechend sind die neuen Regelungen auf alle laufenden Verfahren anzuwenden, die nicht bis spätestens 30. 6. 2017 abgeschlossen wurden. Die andere Ansicht widerspricht klar dem Wortlaut.“
Suche nach Einigung
Mittlerweile dürfte es zu einem gewissen Umdenken im Sozialministerium und im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gekommen sein, erfuhr „Die Presse“. Man verstehe das Bedürfnis der Unternehmen nach Rechtssicherheit, heißt es. Auch die Initiative des Präsidenten der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck, sich doch bald auf eine Linie zu verständigen, unterstütze man. Derzeit sei man bemüht, sich mit allen Sozialpartnern zu verständigen und eine Einigung zu erzielen.
Wie lange es noch brauchen wird, um einen Konsens zu finden, blieb aber offen. Gut möglich, dass das Wahlergebnis eine Einigung beschleunigt.