Die Presse

Jazz der verträumte­n Silben

Wiener Konzerthau­s. Von Ella Fitzgerald bis Leonard Cohen und Bob Marley: Sängerin Dianne Reeves bezirzte mit heterogene­r Songauswah­l und flexibler Intonation.

- VON SAMIR H. KÖCK

Auf die Bühne schwebte sie in einem floralen, seidigen Ensemble. Um eine Illusion von Intimität zu schenken, stand dort bereits ein Tischchen mit Blumen und Weingläser­n für sie bereit. Allein, Dianne Reeves, 60 Jahre alt, aber noch von ziemlich jugendlich­er Aura, hat derlei Requisiten gar nicht nötig, schafft sie doch mit der ungeheuren Bandbreite ihrer Stimme alle Formen von Distanz und Nähe, die ihr essenziell scheinen.

Diesmal führte sie sich mit der Johnny-Mathis-Ballade „The Twelfth of Never“ein. War dessen Originalve­rsion von zuckrigen Violinen verklebt, so setzten Reeves und ihre vierköpfig­e Band auf eine kitschfrei­e Anmutung. Was angesichts des Textes, der eine Liebe beschwört, die hält, „bis die Glockenblu­men zu blühen vergessen“, gar nicht so leicht fiel. Die Bitterstof­fe, die die Reeves großzügig in ihre Interpreta­tion einfließen ließ, zeugten davon, dass sie selbst in naiven Liedern danach forscht, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt. Für sie ist es zweifellos dieser Liebe genannte Magnetismu­s, der auch in Zeiten größter existenzie­ller Konflikte passieren kann. Und sei es, dass man ihm nachhelfen müsse. Etwa indem man eine Zeile wie „Hold me close, melt my heart like April snow“mit rarer Dringlichk­eit intoniert.

Ihre Scats wirken nie sportlich

Irgendwann verlor sich Reeves in verträumte­m Silbengesa­ng, nahm die Hörer zügig mit ins Gestaltlos­e. Simple Lieder wurden zu epischen Improvisat­ionen. Das Wunderbare an ihren Scats ist dabei, dass sie nie so sportlich wirken wie jene von Ella Fitzgerald, deren 100. Geburtstag Reeves auf ihrer aktuellen Tournee zelebriert. An diesem Abend etwa mit einer samtigen Lesart von Gershwins „The Man I Love“, das sie größtentei­ls allein mit ihrem Bassisten bestritt. Nur der brasiliani­sche Gitarrist Romero Lubambo, den sie als „brother from another mother“bezeichnet­e, durfte hier einige zusätzlich­e sphärische Klänge absetzen. Samtig fiel auch die Reverenz aus, die Reeves nicht viel später exotischen Kolleginne­n von Celia Cruz bis Miriam Makeba erwies. Den Leonard-Cohen-Klassiker „Suzanne“, ein Hohelied auf den Verzicht, legt sie überrasche­nd jazzig an. Als sie die berühmten Worte „And you know that she will trust you for you’ve touched her perfect body with your mind“sang, klang sie fast wie Joni Mitchell. Was nicht überrascht, hat doch Reeves nie Berührungs­ängste vor anderen Genres gehabt. Egal, ob Pop, Folk, Funk oder Fusion.

Dass sie auch Reggae mag, zeigte sie mit einer innigen Version von Bob Marleys „Waiting in Vain“. Den Rhythmus deutete der Schlagzeug­er da nur sachte an, damit Reeves den sehnsuchts­vollen Text so richtig auskosten konnte. Eine Stimmung erotischer Konspirati­on herrscht im kunstvoll brüchig dargebrach­ten „Our Love Is Here To Stay“. Dessen Nachklang bezauberte letztlich länger als die vordergrün­dig groovige Zugabe „Mista“.

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