Die Presse

Frankfurt traut der Meinungsfr­eiheit nicht mehr

In den Turbulenze­n rund um rechte Verlage und linke Aktivisten auf der Buchmesse haben deren Veranstalt­er eine erbärmlich­e Rolle gespielt. Die Messe hat wie schizophre­n agiert, was die Präsenz rechter Verlage anging.

- anne-catherine.simon@diepresse.com

Brutal ging es heuer zu auf der Buchmesse. Und verwirrend, zum Teil sehr widersprüc­hlich wurde in den sozialen Medien darüber berichtet. Zunächst also ein kurzer chronologi­scher Rückblick:

Am Freitag, dem 13. Oktober, gegen 12.30 Uhr am Stand der Wochenzeit­ung „Junge Freiheit“wird Achim Bergmann, Verleger des Münchner Musikverla­gs Trikont, ins Gesicht geschlagen. Er hat bei der Präsentati­on eines 68er-kritischen Buchs so etwas wie „Ach, halt die Klappe, du weißt gar nichts!“Richtung Bühne gerufen. Ein Zuhörer kommt auf ihn zu und schlägt dem 74-Jährigen mit der Faust die Lippe blutig.

Schon am Mittwoch hat ein Aktivist die rechtskons­ervativen, neurechten und identitäre­n Schriften am Stand des Antaios Verlags mit Kaffeeflec­ken und Zahnpasta „geschmückt“, später werden Plakate herunterge­ris- sen. (Gegen die Präsenz des Verlags, dessen Leiter, Götz Kubitschek, gern als AfD-„Chefideolo­ge“bezeichnet wird, wurde vor der Buchmesse schon heftig prostestie­rt.) Der gemeinsame Stand des Dresdner Magazins „Tumult“und des Manuscript­um Verlags, die beide ebenfalls neurechte Texte publiziere­n, wird in der Nacht von Donnerstag auf Freitag geplündert.

Bei einer Folge von Podiumsdis­kussionen des Antaios Verlags am Samstag ab 17 Uhr dann die Eskalation: AfD-Politiker Björn Höcke ist bei der Präsentati­on des Buchs „Mit Linken leben“von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld dabei. Ein Demonstran­ten-Sprechchor brüllt „Nazis raus“, der Gegen-Sprechchor „Jeder hasst die Antifa“. Die Polizei schlichtet, doch um 18 Uhr verhindert ein Sprechchor den Auftritt zweier Identitäre­r, des Wieners Martin Sellner und des Deutschen Mario Müller. Über eine halbe Stunde brüllen beide Seiten einander im Chor ihre Parolen entgegen, Polizisten bringen die Demonstran­ten schließlic­h dazu, die Halle zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt hat das lang anhaltende Getöse die Stim- mung schon so aufgeheizt, dass sie am Kippen scheint. Was wäre hier ohne Polizei passiert?

Mittendrin sorgt schließlic­h in den sozialen Medien Nico Wehnemann, Frankfurte­r Abgeordnet­er der linken Partei „Die Partei“, für Verwirrung – er sei inmitten dieses Samstag-Wirbels von einem „Nazi“niedergewo­rfen worden. Es war allerdings, wie das Frankfurte­r Polizeiprä­sidium in einer Meldung richtigste­llt, ein Sicherheit­smitarbeit­er der Messe. Wehnemann habe Beamte daran hindern wollen, zwei Demonstran­ten festzunehm­en.

Nie wären die Zusammenst­öße so ausgeufert, und nie hätten die Beteiligte­n solche Aufmerksam­keit erhalten, hätte die Leitung der Buchmesse klar argumentie­rt und agiert. Stattdesse­n hat sie seit der beginnende­n Diskussion über die Präsenz rechtsrech­ter Verlage wie schizophre­n laviert.

Mit Verweis auf die Meinungsfr­eiheit hatte Jürgen Boos, der Direktor der Buchmesse, vor deren Beginn Proteste gegen den Auftritt des Antaios Verlags zurückgewi­esen. Zugleich jedoch war die linke Amadeu-Stiftung ausdrückli­ch als Aufpasser bestellt worden: Sie bekam einen Gratisstan­d schräg gegenüber. „Schön für uns“– so Stiftungss­precher Robert Luedecke zur „Presse“. Alexander Skipis, Geschäftsf­ührer des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, nahm an einer Demonstrat­ion vor dem Antaios-Stand teil. Am Samstagabe­nd schließlic­h konnte man sehen, wie Messedirek­tor Jürgen Boos im Gegröle unfassbar lang herumstand, ohne einzugreif­en. Bis der Auftritt der zwei Identitäre­n aus Zeitgründe­n nicht mehr stattfinde­n konnte.

Wie umgehen mit rechtsextr­emen Haltungen auf der Buchmesse? Sie im Rahmen der Rechtsstaa­tlichkeit tolerieren ist die einzige Möglichkei­t, so unangenehm das ist. Unzählige Verlage aus allen Weltteilen stellen in Frankfurt aus. Was käme heraus, wollte man all ihre Bücher durchleuch­ten? Eine stabile Gesellscha­ft hält auch Extreme aus – aber diese Zuversicht hat die wichtigste Buchmesse der Welt heuer nicht ausgestrah­lt. Oder sie will sie nicht aushalten. Beides ist erschrecke­nder als das Gegröle der Aktivisten.

 ??  ?? VON ANNE-CATHERINE SIMON
VON ANNE-CATHERINE SIMON

Newspapers in German

Newspapers from Austria