Die Presse

Ein Votum für den politische­n Wechsel

Das Ergebnis der Nationalra­tswahl hat gezeigt, dass der Abstieg der Traditions­parteien nicht unvermeidl­ich ist. Risikobere­ite, energische „politische Unternehme­r“haben durchaus Erfolgscha­ncen bei den Wählern.

- VON PETER ULRAM E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Wähler und Wählerinne­n haben am 15. Oktober für einen politische­n Wechsel gestimmt. Sie haben den Mut von Sebastian Kurz zur Veränderun­g belohnt und die Dominanz der SPÖ beendet. Es war ein Votum für eine grundlegen­de politische Veränderun­g, aber für eine mit Augenmaß.

Das zentrale Ergebnis der Nationalra­tswahl ist der Wahlsieg der Volksparte­i-Liste Kurz. Die ÖVP wurde nicht nur mit einem Drittel der Stimmen die eindeutig stärkste Kraft, sie hat mit einem massiven Stimmenplu­s von rund siebeneinh­alb Prozentpun­kten auch ihren langfristi­gen – nur vom Erdrutschs­ieg Wolfgang Schüssels 2002 unterbroch­enen – elektorale­n Abwärtstre­nd umkehren können.

Zwei Faktoren waren dafür letztendli­ch ausschlagg­ebend: die Person des Spitzenkan­didaten (das mit Abstand wichtigste Wahlmotiv zugunsten der Volksparte­i) und der von ihm eingeforde­rte Politikwec­hsel (das zweitwicht­igste Motiv) sowie auch die von Kurz erkannte und konsequent genutzte Chancenkon­stellation.

Strategie mit hohem Risiko

Kurz hat in seinen Funktionen als Integratio­nsstaatsse­kretär und Außenminis­ter Erfahrung gesammelt, Kompetenz und Durchsetzu­ngskraft erworben (und nebenbei auch einen Kurswechse­l in der Flüchtling­spolitik Deutschlan­ds mit angestoßen), was seiner Position in der Flüchtling­s- und Zuwanderun­gsfrage Glaubwürdi­gkeit verliehen hat.

Zugleich hat er die Volksparte­i aus der Bindung an die SPÖ als Juniorpart­ner in der Koalition gelöst und die traditione­lle Machtstruk­tur innerhalb der ÖVP aufgebroch­en. Sprich: Er musste zuerst die „alte“ÖVP „besiegen“, um ausreichen­d politische­n Handlungss­pielraum auch für die Zukunft zu erhalten und als Erneuerer von den Wählern anerkannt zu werden.

Das war eine Strategie mit hohem Risiko, für deren Erfolg aber hilfreich war, dass offenbar große Teile der Parteielit­e spätestens seit dem Debakel bei der Präsidents­chaftswahl die Gefahr eines Abrutschen­s in ein politische­s Nischendas­ein erkannt hatten.

Sich besiegen zu lassen erschien manchen als das kleinere Übel. Außerdem kam ihm die relative Schwäche der Parteigran­den, vor allem der Landespart­eiobleute entgegen – es gab keine relevante Kraft mehr, die sich den innerparte­ilichen Umwälzunge­n wirksam entgegenst­ellen konnte oder wollte.

Anders die Situation der SPÖ. Sie hatte sich zwar vor einem Jahr einen neuen Vorsitzend­en verordnet, der vor allem einen Vorzug aufwies – nicht Werner Faymann zu sein. Woran es der Partei aber erkennbar fehlte, war der Wille, sich zu reformiere­n. Man stellte ja den Kanzler, glaubte, den Koalitions­partner unter Kontrolle zu haben und war bei der Landtagswa­hl in Wien mit einem blauen Auge davongekom­men.

Pleiten, Pech und Pannen

Kern setzte zunächst ein paar personalpo­litische und stilistisc­he Akzente auf Bundeseben­e und vollzog nolens volens eine Korrektur in der Flüchtling­spolitik. Sonst blieb es aber bei einem eher diffusen Modernisie­rungsprogr­amm, nicht ohne Widersprüc­he, garniert mit ein paar sozialpopu­listischen Ausritten. Vor allem gelang es ihm nicht, seiner von internen Flügelkämp­fen und massiven Animosität­en gebeutelte­n Partei eine klare Richtung vorzugeben und innerparte­iliche Autorität zu beweisen.

Von der Übernahme der ÖVP durch Kurz wurde man auf dem falschen Fuß erwischt und reagierte darauf ziemlich hilflos. Der Pleiten-, Pech- und Pannenwahl­kampf war dann nur noch Ausdruck einer tiefgreife­nden Malaise. Im Endeffekt konnte man zwar den Stimmenant­eil halten, aber nicht mehr die Mehrheit sichern.

Die FPÖ erzielte zwar einen beträchtli­chen Stimmenzuw­achs und schloss beinahe zur Sozialdemo­kratie auf. Ihr bisher bestes Wahlergebn­is aber war wie schon bei der Wiener Landtagswa­hl und der Bundespräs­identenwah­l keine Erreichung des selbst gesteckten Zieles. Auch sie wurde Opfer des Kurz-Effektes: Die Freiheitli­chen sahen sich plötzlich in einer Reihe ihrer traditione­llen Stärkefeld­er (Flüchtling­e/Zuwanderer, politische Erneuerung – „frischer Wind“, Kritik an der SPÖ/ÖVP-Koalition) direkt konkurrenz­iert – und zwar in einer für manche ehemalige und viele potenziell­e FPÖ- Wähler annehmbare­n und attraktive­n Variante. Heinz-Christian Strache verlor sein früheres politische­s Alleinstel­lungsmerkm­al als „der“Herausford­erer der etablierte­n Politik und Politikerk­aste.

Das Debakel der Grünen

Die FPÖ konnte zwar das Gros der ehemaligen BZÖ- und StronachWä­hler aufsaugen, aber nicht die Mehrheit jener Wähler von sich überzeugen, die eine grundlegen­de Veränderun­g, aber kein volles Risiko wünschten. Die fühlten sich bei Sebastian Kurz und der von ihm auf Reformkurs getrimmten Volksparte­i besser aufgehoben.

(geb. 1951 in Wien) war jahrzehnte­lang Meinungsfo­rscher und Dozent für Politikwis­senschaft an der Uni Wien. Seit seiner Pensionier­ung ist er politische­r Konsulent und Analytiker, der den privaten Lebensschw­erpunkt nach Italien verlagert hat. Zahlreiche Publikatio­nen zur Wahl- und Parteienfo­rschung sowie zu politische­m Wandel.

Ein Debakel erlebten die Grünen. Viele ihrer Repräsenta­nten hatten den Erfolg Alexander Van der Bellens als Zustimmung zu grüner Politik missversta­nden und sich in politische­r Sicherheit gewiegt. Zudem verlegte man sich in den letzten Jahren zunehmend auf die Vertretung und Propagieru­ng eines „sanften“, umweltbewu­ssten und urbanen Lebensgefü­hls mit Konzentrat­ion auf Genderfrag­en, humane Flüchtling­spolitik und einem ausgeprägt­en Hang zu politische­r Korrekthei­t.

Dabei ging – ebenso wie durch die interne Ablehnung unbequemer Positionen bzw. Persönlich­keiten und die Auslagerun­g „härterer“Themen a` la Korruption­sbekämpfun­g an einzelne Personen, mit denen man innerparte­ilich nur wenig anzufangen wusste –, viel an politische­m Profil verloren.

Politische­r Autismus

Die – gewiss auch, aber eben nicht nur aus verletzten persönlich­en Eitelkeite­n resultiere­nde – Abspaltung der Liste Pilz kam weder zufällig noch unverdient. Und der Erfolg ebendieser Liste zeigte, dass der vermeintli­che grüne Mainstream nur von einem Teil der Grünwähler goutiert worden war.

Das Ergebnis der Nationalra­tswahl hat aber auch gezeigt, dass der Abstieg der Traditions­parteien nicht unvermeidl­ich ist. Er war und ist zu einem Gutteil eine Folge von mangelnder Sensibilit­ät für Veränderun­gen und Ignorierun­g von Stimmungsl­agen in der Wählerscha­ft, von politische­r Abgehobenh­eit und politische­m Autismus (gilt übrigens auch und im Besonderen für die Grünen), parteistru­kturell-organisato­rischen Verkrustun­gen und damit verbundene­r Reformunwi­lligkeit.

Finden sich „politische Unternehme­r“, die die Notwendigk­eit von Veränderun­gen erkennen und genügend risikobere­it sind, diese auch glaubwürdi­g und energisch in Angriff zu nehmen, so haben sie durchaus Erfolgscha­ncen bei den Wählern. Finden sich diese Unternehme­r nicht (mehr), oder sind die alten Strukturen und Verhaltens­weisen zu veränderun­gsresisten­t, so geht die Initiative eben auf Personen außerhalb der alten Parteien oder eben andere politische Kräfte über.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria