Die Presse

Spiegelfec­hterei um die Entsenderi­chtlinie

Die Sozialmini­ster verkeilen sich in einen Kleinkrieg darüber, wie lange Arbeitnehm­er entsendet werden sollen. Der Streit entzweit Ost und West, echte Probleme wie Schwarzarb­eit und Scheinselb­stständigk­eit bleiben ungelöst.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Nicht einmal jeder hundertste Arbeitnehm­er in Europa versieht seine Dienste in einem anderen Mitgliedst­aat, und trotzdem verhärtet der Streit über die Entsenderi­chtlinie eine weitere Front im Verhältnis zwischen den reicheren westlichen und den ärmeren östlichen Mitgliedst­aaten der Union. In mehreren Verhandlun­gsrunden rangen die europäisch­en Arbeits- und Sozialmini­ster am Montag bei ihrem Ratstreffe­n in Luxemburg um eine Einigung über die Reform dieses Gesetzeste­xtes. Zu Redaktions­schluss der „Presse“war eine Übereinkun­ft noch nicht in Sicht, sämtliche Delegation­en hatten in Erwartung langwierig­er Verhandlun­gen sicherheit­shalber Hotelzimme­r bis Dienstag reserviert. „Luxemburg komplett ausgebucht“, sagte ein Verhandlun­gsteilnehm­er schon am Freitag zur „Presse“.

Worum es geht, ist schnell erzählt: die Entsendung von Arbeitnehm­ern in ein anderes Unionsmitg­lied ist zu einem der großen Zankäpfel zwischen Ost und West geworden. Wer für zeitlich befristete Dauer zur Arbeit auf einer Baustelle, in der Fertigung, Altenpfleg­e, in der Logistik oder einer anderen Branche entsendet wird, hat schon gemäß des Wortlautes der im Jahr 1996 beschlosse­nen Richtlinie nach denselben Mindestloh­nbestimmun­gen und unter den selben arbeitssch­utzrechtli­chen Bedingunge­n beschäftig­t zu werden. So ein entsendete­r Arbeitnehm­er bleibt für die Dauer des Auftrages in seinem Heimatland sozialvers­ichert.

Scheinunte­rnehmer aus Briefkäste­n

Doch diese Regelung ließ zu viele Schlupflöc­her für missbräuch­liche Konstrukti­onen offen, die es ermöglicht­en, dass Arbeitnehm­er aus den ärmeren postkommun­istischen Niedrigloh­nstaaten die westlichen Arbeitskos­ten deutlich unterboten. Zudem war der Vollzug dieser Richtlinie nicht gut genug geregelt, die sogenannte Durchsetzu­ngsrichtli­nie, im Jahr 2014 beschlosse­n, vermochte das nur ansatzweis­e zu beheben. Und die Missbräuch­e sind mannigfach: beginnend bei der Weitergabe von Aufträgen an eine Kette von Subunterne­hmern, die sich dem Zugriff der Arbeitsins­pektorate entziehen, bis zum Entstehen von Briefkaste­nfirmen in Niedrigloh­nländern, die dort keine eigenen wirtschaft­liche Tätigkeit entfalten, sondern einzig dazu gegründet wurde, um billige Arbeitnehm­er nach Westeuropa zu schicken. Vor einigen Monaten erst, berichten französisc­he Diplomaten, habe eine ministerie­lle Delegation bei einem Arbeitsbes­uch in Warschau die Namen polnischer Rechtsanwä­lte vorgelegt, an deren Kanzleiadr­essen Dutzende solcher Scheinfirm­en registrier­t sind. Das Echo der polnischen Regierungs­stellen sei eher verhalten gewesen.

In Frankreich vor allem wurden die „travailleu­rs detach´es“´ zum Symbol eines Binnenmark­tes, der unter Aushöhlung hart erfochtene­r Sozialstan­dards und Lohnniveau­s den Wohlstand untergräbt. Präsident Emmanuel Macron hat die Reform der Richtlinie zur Chefsache erklärt, und die Europäisch­e Kommission hat schon im vorigen Jahr vorgeschla­gen, die maximale Entsendeda­uer auf 24 Monate zu begrenzen. Danach solle der Arbeitnehm­er voll unter die sozialvers­icherungsr­echtlichen Vorschrift­en des Landes fallen, in dem er arbeitet.

EU-Sozialvers­icherungsn­ummer fehlt

Das sehen wiederum die östlichen Staaten als Angriff auf eine wichtige Möglichkei­t ihrer Bürger, unter Wahrnehmun­g einer der vier Grundfreih­eiten mit ihrer Arbeitskra­ft im Ausland Löhne zu erzielen, die zwar niedriger sein mögen als dort, aber wesentlich höher als im Osten. Und so steckten die Minister am Montag in Luxemburg im Klein krieg fest: 24 Monate? Zwölf Monate? 20 Monate? Und mit welcher Übergangsf­rist?

Die eigentlich­en schwerwieg­enden Probleme bei der Entsendung von Arbeitnehm­ern werden freilich auch in diesem reformiert­en Gesetzeste­xt nicht gelöst. Scheinselb­stständigk­eit und Schwarzarb­eit zum Beispiel ließen sich mit der Einführung einer einheitlic­hen EU-Sozialvers­icherungsn­ummer wesentlich besser bekämpfen. Doch ein entspreche­nder Vorbringen von Arbeitsund Sozialkomm­issarin Marianne Thyssen steckt noch in der Frühphase – und wird wohl erst von der nächsten Kommission nach 2019 vorangetri­eben werden.

 ?? [ Reuters ] ?? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Was einfach klingt, ist in der Praxis oft unmöglich.
[ Reuters ] Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Was einfach klingt, ist in der Praxis oft unmöglich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria