Rückkehr zur Normalität, bitte
Leitartikel. Eine Rechtsregierung wird wohl großkoalitionäre Machtaufteilung, Kleinster-gemeinsamerNenner-Politik und Konfliktscheue beenden. Euphorie oder Panik als Reaktion wäre falsch.
Zwei Jahre sind genug. Zwei Jahre Wahlkampf reichen. Fast ein Jahr lang dauerte es, bis das Land einen Bundespräsidenten bekam. Dazwischen kamen uns ein Bundeskanzler und einige Minister abhanden. Das war 2016.
2017 begann Christian Kern mit einem Plan A und einem Ultimatum an die ÖVP, das Land neu zu regieren. Die Volkspartei gab zwar nach, neu regiert wurde dennoch nicht. Hinter dem Kanzleramt lief sich bereits Sebastian Kurz warm. Im Frühling warf Reinhold Mitterlehner selbst das Handtuch, obwohl es Kurz für ihn später hatte werfen wollen. Der neue ÖVP-Chef rief sofort die Neuwahl aus, die sich Kern nun schon früher gewünscht hätte. Ein von persönlichen Diffamierungen und emotionalen Auseinandersetzungen geprägter Wahlkampf begann, der für manche auch noch nicht beendet scheint. Nun dürfte eine schwarz-blaue Regierung gebildet werden, die sich lieber türkis-blau nennt.
Einmal hat sich das Land mit klarer Mehrheit für Beständigkeit in der Hofburg ausgesprochen, einmal hat sich das Land mit klarer Mehrheit für starke Veränderung entschieden. Das klingt nach ziemlich differenzierten Wählern.
Tatsächlich ist in diesen beiden Jahren in der Gesellschaft, in ihren analogen und virtuellen Diskussionsforen viel passiert: Der Ton ist gehässiger, härter geworden. Die Bereitschaft, andere Meinungen zumindest anzuhören, wenn schon nicht zu akzeptieren, schwindet und schwindet. Und daran sind nicht nur der böse Algorithmus und die falschen Freunde auf Facebook schuld.
Diese Polarisierung in den vergangenen beiden Jahren fällt auch deswegen so scharf aus, da sie wie aufgestauter Hass so lange unter der Oberfläche gehalten wurde. Die Praxis, mit der sich SPÖ und ÖVP – von kurzen Intermezzi abgesehen – dieses Land leider durchaus erfolgreich aufzuteilen versucht haben, die Praxis, sich in einer Regierung mit Flankenschutz der Sozialpartner nicht um Problemlösungen zu bemühen, sondern in gegenseitigem Kuhhandel nur „Erfolge“für die jeweils eigene Klientel, oder schlicht die eigenen Parteifreunde, zu erreichen, hat nicht nur die FPÖ immer wieder groß gemacht, sondern die gegenseitige Abneigung immer weiter verstärkt.
So gesehen sind diese teils hysterisch anmutenden Aussagen vieler Aktivisten, unter die sich viel zu viele Journalisten gemischt haben, vielleicht nur menschlich und nicht von Dauer. Und wir tun gut daran, auch in Zukunft zu streiten und Debatten mit deutlicher Sprache zu führen. Aber den rituellen, giftig geführten persönlichen Streit, das Untergangsszenario beim Erfolg der Gegner, sollten wir wieder sein lassen. Abrüsten nennen das nicht nur Pazifisten.
Schwarz-blau wird sich beweisen müssen, die Latte liegt hoch und niedrig zugleich: Die Erwartungen für Reformen im Windschatten einer gut laufenden Konjunktur sind enorm, obwohl der viel zitierte neue Stil mit einer FPÖ-Regierungsmannschaft nicht für Modestrecken in internationalen Illustrierten reichen wird. Das WendeNegativbeispiel mit entsprechender Personalauswahl, Korruptionsverdachtsfällen und viel internem Streit nach kurzer Zeit sollte Anleitung für Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache sein, wie man es nicht macht. Wenn der Mann tatsächlich das Innenressort mit seiner Exekutive, seinen enormen Mitteln und Möglichkeiten übernimmt und es nicht sensibel zu führen vermag, werden Kritiker und Gegner in ihrem Urteil voll bestätigt sein.
Anders formuliert: Es gibt weder Grund zur Panik noch zur Euphorie. Es gibt vorerst nur das Vertrauen der Wähler.