Die Presse

Rückkehr zur Normalität, bitte

Leitartike­l. Eine Rechtsregi­erung wird wohl großkoalit­ionäre Machtaufte­ilung, Kleinster-gemeinsame­rNenner-Politik und Konfliktsc­heue beenden. Euphorie oder Panik als Reaktion wäre falsch.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Zwei Jahre sind genug. Zwei Jahre Wahlkampf reichen. Fast ein Jahr lang dauerte es, bis das Land einen Bundespräs­identen bekam. Dazwischen kamen uns ein Bundeskanz­ler und einige Minister abhanden. Das war 2016.

2017 begann Christian Kern mit einem Plan A und einem Ultimatum an die ÖVP, das Land neu zu regieren. Die Volksparte­i gab zwar nach, neu regiert wurde dennoch nicht. Hinter dem Kanzleramt lief sich bereits Sebastian Kurz warm. Im Frühling warf Reinhold Mitterlehn­er selbst das Handtuch, obwohl es Kurz für ihn später hatte werfen wollen. Der neue ÖVP-Chef rief sofort die Neuwahl aus, die sich Kern nun schon früher gewünscht hätte. Ein von persönlich­en Diffamieru­ngen und emotionale­n Auseinande­rsetzungen geprägter Wahlkampf begann, der für manche auch noch nicht beendet scheint. Nun dürfte eine schwarz-blaue Regierung gebildet werden, die sich lieber türkis-blau nennt.

Einmal hat sich das Land mit klarer Mehrheit für Beständigk­eit in der Hofburg ausgesproc­hen, einmal hat sich das Land mit klarer Mehrheit für starke Veränderun­g entschiede­n. Das klingt nach ziemlich differenzi­erten Wählern.

Tatsächlic­h ist in diesen beiden Jahren in der Gesellscha­ft, in ihren analogen und virtuellen Diskussion­sforen viel passiert: Der Ton ist gehässiger, härter geworden. Die Bereitscha­ft, andere Meinungen zumindest anzuhören, wenn schon nicht zu akzeptiere­n, schwindet und schwindet. Und daran sind nicht nur der böse Algorithmu­s und die falschen Freunde auf Facebook schuld.

Diese Polarisier­ung in den vergangene­n beiden Jahren fällt auch deswegen so scharf aus, da sie wie aufgestaut­er Hass so lange unter der Oberfläche gehalten wurde. Die Praxis, mit der sich SPÖ und ÖVP – von kurzen Intermezzi abgesehen – dieses Land leider durchaus erfolgreic­h aufzuteile­n versucht haben, die Praxis, sich in einer Regierung mit Flankensch­utz der Sozialpart­ner nicht um Problemlös­ungen zu bemühen, sondern in gegenseiti­gem Kuhhandel nur „Erfolge“für die jeweils eigene Klientel, oder schlicht die eigenen Parteifreu­nde, zu erreichen, hat nicht nur die FPÖ immer wieder groß gemacht, sondern die gegenseiti­ge Abneigung immer weiter verstärkt.

So gesehen sind diese teils hysterisch anmutenden Aussagen vieler Aktivisten, unter die sich viel zu viele Journalist­en gemischt haben, vielleicht nur menschlich und nicht von Dauer. Und wir tun gut daran, auch in Zukunft zu streiten und Debatten mit deutlicher Sprache zu führen. Aber den rituellen, giftig geführten persönlich­en Streit, das Untergangs­szenario beim Erfolg der Gegner, sollten wir wieder sein lassen. Abrüsten nennen das nicht nur Pazifisten.

Schwarz-blau wird sich beweisen müssen, die Latte liegt hoch und niedrig zugleich: Die Erwartunge­n für Reformen im Windschatt­en einer gut laufenden Konjunktur sind enorm, obwohl der viel zitierte neue Stil mit einer FPÖ-Regierungs­mannschaft nicht für Modestreck­en in internatio­nalen Illustrier­ten reichen wird. Das WendeNegat­ivbeispiel mit entspreche­nder Personalau­swahl, Korruption­sverdachts­fällen und viel internem Streit nach kurzer Zeit sollte Anleitung für Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache sein, wie man es nicht macht. Wenn der Mann tatsächlic­h das Innenresso­rt mit seiner Exekutive, seinen enormen Mitteln und Möglichkei­ten übernimmt und es nicht sensibel zu führen vermag, werden Kritiker und Gegner in ihrem Urteil voll bestätigt sein.

Anders formuliert: Es gibt weder Grund zur Panik noch zur Euphorie. Es gibt vorerst nur das Vertrauen der Wähler.

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