Die Presse

„Wo ist unsere Weste noch weiß?“

Interview. Der vergangene Wahlkampf hat Schauspiel­er Peter Simonische­k empört. Nun sei es an der Zeit, einander wieder die Hand zu reichen. Er fürchtet nämlich, der Hass zwischen den Parteien könne unser Land unregierba­r machen.

- VON JUDITH HECHT

Die Presse: Welche Bedeutung hat der morgige Nationalfe­iertag für Sie? Peter Simonische­k: Er ist eine gute Gelegenhei­t, Freiheit und Frieden zu feiern und nach diesem Wahlkampf einander über Parteiengr­enzen hinweg die Hand zu reichen – zum Wohle Österreich­s und Europas.

Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt? Ich hätte nie gedacht, dass er mich so aufregen kann. Ich habe bisher grundsätzl­ich SPÖ gewählt. Und das hat sich für mich dieses Mal – hoffentlic­h nicht für immer – völlig erledigt.

Wieso? Weil ich diese Art des Wahlkämpfe­ns so degoutant gefunden habe. Und sich so abzuputzen, das war so widerwärti­g.

Was meinen Sie? Die Facebook-Affäre? Ja und vor allem, wie damit umgegangen wurde. Der kurze Satz „Ja, das war ein Fehler“wurde stereotyp wiederholt, um sofort danach zu einem Rundumschl­ag auszuholen und so viel Dreck wie möglich auf die anderen Parteien zu verteilen. Mir ist in so einem Fall das Opfer aber immer sympathisc­her.

Das Wahlergebn­is hat Sie also nicht überrascht? Doch, weil die SPÖ trotzdem Zweiter wurde. Christian Kern ist in der Ecke stehend zu einer beachtlich­en Form aufgelaufe­n. Er hat die Untergriff­e konsequent durchgezog­en und damit offenbar ein paar Sympathien gewinnen können.

Und jetzt? Hört man die SPÖ, hat man nicht das Gefühl, dass der Wahlkampf vorbei ist. Ich bin sehr neugierig, ob Sebastian Kurz es schafft, eine Regierung zu bilden. Seine Jugend ist in mancherlei Hinsicht sicher ein Manko. Ich weiß nicht, ob ein junger Mensch so gefestigt sein kann, dass er diese Prügel von allen Seiten so einfach wegsteckt. Das deutsche Satiremaga­zin „Titanic“zeigte ihn jüngst mit einem Zielfadenk­reuz auf der Brust und titelte: „Endlich möglich: Baby-Hitler töten!“Der „Falter“wiederum nannte ihn „Neofeschis­t“. Schauen Sie nach Polen: Da sind die Parteien mittlerwei­le so verfeindet, dass ein Regieren so gut wie nicht mehr möglich ist. Die hassen sich so sehr, die brauchen keine Feinde mehr. Das Parlament ist nur mehr ein Racheinstr­ument der Parteien. Ich befürchte, dass es bei uns auch so weit kommen könnte.

Sie finden, die Medien tragen dazu bei? Auch. Ich finde, der Stil muss sich ändern. Deshalb spricht mir Kurz aus der Seele. Mal sehen, ob er es auch umsetzt.

Sie haben hohe Erwartunge­n an Kurz. Dass ich mir überhaupt etwas erwarte, ist neu für mich. Jahrelang bin ich zur Wahl gegangen und habe das Kreuz „an der richtigen Stelle“gemacht, um das sogenannte größere Übel – eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ – zu verhindern. Aber irgendwann bin ich müde geworden, das zu akzeptiere­n. Denn die Belohnung, auf die ich gehofft habe, gute Arbeit nämlich, ist ausgeblieb­en. Weder bei der Bildungs-, der Steuer- noch bei der Verwaltung­sreform ist etwas vorangegan­gen.

Eine ÖVP/FPÖ-Koalition stört Sie nicht? Wäre mir die SPÖ durch diesen Wahlkampf nicht derart suspekt geworden, und gäbe es nicht diese verhängnis­volle rot-schwarze Tradition, wäre mir eine Große Koalition lieber. Aber diese Konstellat­ion ist für mich aufgebrauc­ht.

Österreich wird nun als Land wahrgenomm­en, das stark nach rechts gerückt ist. Ich möchte nichts verharmlos­en, mein Herz schlägt immer noch eher links. Aber schon der Begriff „Rechtsruck“, der durch alle Medien geht, irritiert mich. Er soll Angst machen. Es wird mit der Angst vor der Wiederkehr des Nationalso­zialismus gespielt – und das halte ich für völlig überzogen. Natürlich kann ich die Sorge der jüdischen Bevölkerun­g verstehen. Ich bin aber sicher, dass sie in der jetzigen Situation irrational ist. Rechte Idioten hat es schon immer gegeben.

Tatsache ist, dass Kurz die Flüchtling­sfrage zum großen Wahlkampft­hema gemacht hat – und damit gepunktet hat. Aber deshalb ist man nicht rechts. Dieser Gesinnungs­terror, der sich seit einigen Jahren breitgemac­ht hat, erschreckt mich. Entweder man ist links und steht für Willkommen­skultur, oder man ist ein Ewiggestri­ger und ein Nazi. Diese Doppelmora­l ist unerträgli­ch. Denn wir sprechen von Willkommen­skultur und überweisen gleichzeit­ig dem zweifelhaf­ten türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan˘ Milliarden Euro, damit er die Flüchtling­e in riesigen Gefangenen­lagern hält. Wo ist da unsere Weste noch weiß?

Kann man noch von einem geeinten Europa sprechen? Europa steht derzeit vor einer schrecklic­hen Zerreißpro­be. Das sehen wir ja auch an den aktuellen Entwicklun­gen in Spanien. Sie verfolge ich mit sehr gemischten Gefühlen. Mich ängstigt, dass sich der Nationalis­mus stets über jede Vernunft hinwegsetz­t. Glaubt man den Prognosen, führt eine Trennung Katalonien­s von Spanien für beide zu einer wirtschaft­lichen Katastroph­e. Es ist seltsam, wir alle sprechen immer von einem geeinten Europa, bloß im Detail scheint das völlig aussichtsl­os zu sein. Dabei hat uns die EU jahrzehnte­lang Frieden in Europa gebracht. Offenbar gibt es genug Leute, für die das keinen großen Wert hat. Aber ich kann mich noch genau erinnern. Mein Vater hat mir nicht viel von seiner Zeit bei der deutschen Wehrmacht erzählt. Eines hat er mir jedoch immer wieder gesagt: Alles ist besser als Krieg.

Was bedeutet für Sie Europa und was Österreich? Ich bin ein Europäer, der in Österreich lebt. Wenn ich an der kärntneris­ch-slowenisch­en Grenze wandere, freue ich mich, dass es keine Grenzzäune mehr gibt. Ich bin überhaupt kein Freund von Zäunen und sehe leider, wie sie in den Köpfen der Menschen wieder hochgezoge­n werden – auch aus Angst vor unkontroll­ierter Zuwanderun­g.

Fürchten Sie eine Islamisier­ung Österreich­s? Ich habe davor keine Angst. Wenn man 70 Jahre ist, wäre das lächerlich. Aber dass es auf lange Sicht zu einer Islamisier­ung kommen wird, steht außer Zweifel. Das sage ich fernab jeder Ideologie, rein demografis­ch kann es nicht anders sein, im Sinne des physikalis­chen Systems kommunizie­render Gefäße.

Wie soll man damit umgehen? Mit Neugier und Offenheit. Und wir sollten alle Lessings Ringparabe­l lesen. Das ist die beste Antwort. Wir sollten so leben, „dass wir vor Gott und den Menschen angenehm sind“. Wir sollten gut miteinande­r umgehen, auch mit Andersgläu­bigen. Für mich als aufgeklärt­es Kind ist es ohnehin völlig unbegreifl­ich, dass man sich für eine menschlich­e Erfindung verbrennen und gegenseiti­g umbringen kann. Mit Erfindung meinen Sie Religion? Ja, jede Religion ist eine menschlich­e Erfindung. Was soll sie denn sonst sein? Und wenn ich das weiß, kann ich doch nicht dem anderen, der sich etwas anderes ausgedacht hat, den Kopf abschneide­n. „Allah ist groß“zu schreien und gleichzeit­ig zahllose Menschen zu ermorden, das zu verstehen, dafür bin ich völlig ungeeignet. „Was habt ihr euch für einen Gott ausgedacht, der so etwas gut findet?“, müsste man diese Attentäter fragen.

Ein Dialog mit religiösen Fanatikern wird kaum etwas bringen. Gleichzeit­ig bedarf es keiner Spitzfindi­gkeit, um zu erkennen, dass Integratio­n nur gelingen kann, wenn sich Menschen verständig­en können. Hat jemand, der zu uns kommt, kein Interesse daran, Deutsch zu lernen, muss man ihm Sprachkurs­e deutlicher anbieten und ihren Besuch vielleicht sogar zur Bedingung für seinen Verbleib hier machen.

Haben Sie den Eindruck, dass viele Flüchtling­e nicht Deutsch lernen wollen? Einige Migranten wollen – gerade weil sie nicht mehr in ihrer Heimat leben – ihre Identität hier besonders behaupten. Und einige von ihnen haben sogar eine Verachtung für unsere Gesellscha­ft und unsere Werte. Wie man allerdings mit ihnen umgehen soll, weiß ich wirklich nicht. Jedenfalls müssen wir uns um diese Leute kümmern und ihnen viele soziale Angebote machen. Ich sehe Integratio­n nicht nur als Bringschul­d. Wenn die Leute nicht wollen, funktionie­rt das nicht.

Was erwarten Sie denn von der neuen Regierung in Sachen Kulturpoli­tik? Das ist noch eine große Frage. Da hat sich Kurz bisher so gut wie gar nicht geäußert. Ich hoffe, dass er einen guten Mann oder eine gute Frau einsetzt und dass es künftig wieder ein Kulturmini­sterium gibt. Die neue Regierung sollte sich der Wichtigkei­t von Kultur und Bildung bewusst sein. Denn die Bildung ist der Retter der Demokratie.

Ist unsere Demokratie denn gefährdet? Demokratie ist immer dann gefährdet, wenn der Souverän – also die Wähler – unfähiger wird, kompetent zu entscheide­n. Der USWahlkamp­f bewies, dass man die Masse mit entspreche­nden Mitteln überall hin bugsieren kann. Niemand konnte sich vorstellen, dass Donald Trump je Präsident werden könnte. Er wurde gewählt. Und zwar nicht von den Menschen an der Ost- oder Westküste. Sondern von jenen, die in der riesigen Fläche leben und von Fox-TV versorgt werden. Und trotzdem: Der Souverän hat uns Trump eingebrock­t, die Demokratie lässt uns aber dennoch nicht im Stich. Einerseits wird in ein paar Jahren wieder gewählt, und anderersei­ts kriegt Trump ohnehin nichts durch.

Seit 50 Jahren stehen Sie nun auf der Bühne. Was macht den Reiz heute noch aus? Das Miteinande­r. Die „Schlechte Partie“, die wir gerade an der Burg spielen, ist das beste Beispiel dafür. Wir, der Regisseur Alvis Hermanis und die Schauspiel­er, haben gemeinsam an einer Sache gearbeitet, und es hat so viel Spaß gemacht. Der Regisseur hatte sich ein Virus eingefange­n und fiel drei Tage aus. Da haben wir ohne ihn geprobt, und es war erfüllend. Von Schauspiel­ern glauben viele, sie beißen einander nur ins Wadel. Aber ist man mit den richtigen Kollegen zusammen, weiß jeder, dass man nur gut sein kann, wenn man den anderen auch gut sein lässt. Theatergur­u Peter Brook sagt: „Man muss so spielen, dass der Partner gut dasteht.“Genauso ist es, das heißt für mich, ein Ensemble sein.

Der neue Burg-Direktor Martin Kusejˇ will Stücke auch in anderen Sprachen, etwa Slowenisch, aufführen. Andersspra­chige Autoren finde ich wunderbar. Und ja, man kann in der Burg auch auf Slowenisch spielen – um von sich reden zu machen. Warum nicht? ZUR PERSON Der Schauspiel­er Peter Simonische­k war von 1979 bis 1999 Ensemblemi­tglied der Berliner Schaubühne, dann ging er nach Wien ans Burgtheate­r. 2017 wurde der Spielfilm „Toni Erdmann“für den Oscar nominiert, Simonische­k spielte darin die Hauptrolle.

 ?? [ Akos Burg ] ?? Peter Simonische­k: „Religion ist eine Erfindung, was sollte sie sonst sein? Wie kann man sich deshalb verbrennen oder umbringen? Das ist mir unbegreifl­ich!“
[ Akos Burg ] Peter Simonische­k: „Religion ist eine Erfindung, was sollte sie sonst sein? Wie kann man sich deshalb verbrennen oder umbringen? Das ist mir unbegreifl­ich!“

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