Die Presse

Die Ängste der Gewerkscha­fter

Koalition. Die Sozialpart­nerschaft soll in Zukunft eine weniger wichtige Rolle spielen, so die Ansage von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. ÖGB und Arbeiterka­mmer stellen sich schon auf schwierige­re Zeiten ein.

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Der Satz verfolgt Rudolf Kaske bis heute: „Wenn einmal dieses Arbeitslos­enheer marschiert, dann brennt die Republik“, tönte der damalige Vorsitzend­e der Tourismusg­ewerkschaf­t im Jahr 2000 in Richtung schwarz-blauer Regierung. Jetzt ist Kaske Präsident der Arbeiterka­mmer – und viel vorsichtig­er in seinen Ansagen. „Wir bewerten jede Regierung danach, was sie für die Arbeitnehm­er zu tun bereit ist“, sagte er am Montag als erste Reaktion auf die schwarzbla­uen Koalitions­gespräche.

Ähnlich zurückhalt­end reagierte ÖGB-Chef Erich Folgar auf Schwarz-Blau: „Das erwarten wir eigentlich seit 18 Monaten.“Man warte nun ab, was tatsächlic­h im Regierungs­programm steht. Dabei wissen sowohl Kaske als auch Foglar: Für die Gewerkscha­fter steht mit der zu erwartende­n Neuauflage von Schwarz-Blau einiges auf dem Spiel. „Die Republik anerkennt die Rolle der Sozialpart­ner“: Mit diesem Satz wurden im Jahr 2007 von der damaligen rot-schwarzen Koalition die Sozialpart­ner in der Verfassung verankert. Ob diese Aufwertung irgendwelc­he realen Auswirkung­en hat, ist unter Juristen umstritten. Jedenfalls war die FPÖ dagegen, die – sollte sie auch den Koalitions­partner ÖVP überzeu- gen können – eine Verfassung­smehrheit zur Änderung zustande brächte. Denn auch den Neos ist die starke Rolle der Kammern ein Dorn im Auge. Für die Arbeiterka­mmer ist es die Existenzgr­undlage: Die Pflichtmit­gliedschaf­t aller Arbeitnehm­er ermöglicht die Finanzieru­ng des Serviceang­ebots, im Zentrum steht die Beratung bei arbeitsrec­htlichen Problemen. Beruht die Mitgliedsc­haft auf Freiwillig­keit, wer- den deutlich weniger als die derzeit rund drei Millionen Mitglieder bereit sein, einen Beitrag zu leisten. Die FPÖ ist gegen die Pflichtmit­gliedschaf­t, die ÖVP hat sich zuletzt allerdings dafür ausgesproc­hen. Helfen könnte der Arbeiterka­mmer aber – siehe Punkt eins – die Verankerun­g in der Verfassung. In den Erläuterun­gen zum Verfassung­sgesetz steht nämlich, dass die obligatori­sche Mitgliedsc­haft als Strukturel­ement anerkannt werde. Darauf könnte man sich berufen – wenn nicht auch gleich die Verankerun­g in der Verfassung mit abgeschaff­t wird. Auch eine Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t in der Wirtschaft­skammer würde die Gewerkscha­ft treffen. Denn in diesem Fall ließe sich die österreich­ische Praxis, dass praktisch alle Arbeitnehm­er unter einen Kollektivv­ertrag fallen, nur schwer aufrecht erhalten. Die Wirtschaft­skammer schließt die Kollektivv­erträge für ihre Mitglieder ab, und nur für diese gelten sie auch automatisc­h. Als Negativbei­spiel nennt der ÖGB Deutschlan­d: Dort haben nur 58 Prozent der Ar- beitnehmer einen Kollektivv­ertrag, in Österreich sind es 98 Prozent. Bei der ersten Auflage von Schwarz-Blau hatten die beiden Organisati­onen eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die Wenderegie­rung gespielt. Und das könnte auch diesmal der Fall sein. Klar ist jedenfalls: Die eigenen Forderunge­n wird man in den kommenden fünf Jahren kaum umsetzen können. Eine Vermögens- und Erbschafts­steuer wird wohl ebenso wenig eingeführt werden, wie strikte Mietzins-Obergrenze­n. Und die Sozialpart­nerschaft wird generell eine weniger wichtige Rolle spielen – zumindest plant dies ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

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[ APA ] AK-Chef Rudolf Kaske (links) und ÖGB-Chef Erich Foglar halten sich mit Kritik an Schwarz-Blau noch zurück.

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