„Nordkorea wird nie auf Atombombe verzichten“
Interview. Der britische Ex-Botschafter in Pjöngjang erklärt, warum Verhandlungen nicht funktionieren und der Unmut in der Elite wächst.
Die Presse: Sie waren der erste britische Botschafter in Nordkorea. Damals versuchte man, über Verhandlungen und „Sonnenscheinpolitik“die Atomkrise zu lösen. Sie erlebten, wie das KimRegime „tickt“. Welche Lehren ziehen Sie daraus: Kann die aktuelle Atomkrise mit Nordkorea diplomatisch gelöst werden? David Slinn: Für eine diplomatische Lösung wäre eine Kooperation Nordkoreas notwendig. Die wird es nicht geben. Kim Jong-un wird niemals auf sein Atomprogramm verzichten: Es ist ein fixer Bestandteil der auf Autarkie ausgerichteten Juche-Ideologie. Genau dieses Argument hörte ich bereits in Pjöngjang immer und immer wieder von Regimemitgliedern. Seit Jahrzehnten wiederholt das Regime, Nordkorea brauche die Atombombe, um sich gegen die „bösartigen Imperialisten“zu schützen. Kim Jong-un ist in der Juche-Tretmühle gefangen. Er könnte nicht einmal abspringen, wenn er es wollte – und er will das gar nicht.
Sind also Donald Trumps martialischen Drohungen effektiver? Der US-Präsident sagt klar, alle Optionen seien auf dem Tisch, und das hat Sinn. Nordkorea kann mit „Soft Power“nichts anfangen, es erkennt nur „Hard Power“an. Pjöngjang würde die Ablehnung einer Militäroption als US-Schwäche deuten. Meiner Meinung nach führt kein Weg an einer Strategie der Abschreckung und Verteidigung vorbei. Dies ist nicht ideal, aber es hat auch im Kalten Krieg gewirkt: Es muss dadurch gar nicht zum Krieg kommen. Ich erwarte eine langwierige, oft angespannte politische Pattsituation.
Was ist Kim Jong-uns Ziel? Er selbst will vermutlich gar keinen Krieg, aber auch keine Integration in die internationale Gemeinschaft. Er braucht aber den Dauerkrisenzustand als Rechtfertigung für all das Leid seiner Bevölkerung: „Das Leben ist hart, weil die USA uns erwürgen wollen“, lautet das Narrativ des Regimes. Kim braucht die Bombe, um seine Nachbarländer zu schikanieren, sie einzuschüchtern. Und um „Freunde“und Feinde gegeneinander auszuspielen. Kim Il-sung trieb einen Keil zwischen China und die Sowjetunion, Kim Jong-il spielte die USA und Südkorea gegeneinander aus. Heute will Kim Jong-un die US-japanische-Allianz sowie das US-Bündnis mit Südkorea zerstören.
Wie ist das Verhältnis mit China? Ich höre, dass Chinas Staatschef, Xi Jinping, Kims Dauerprovokationen persönlich nimmt. China hat an Einfluss verloren, Pjöngjang hat sich aller Beamten entledigt, die einen guten Draht zu China hatten. Kim testet, wie weit er gehen kann.
Was ist Chinas Plan? Die Chinesen sind pragmatisch. Ihre rote Linie sind destabilisieren- in Pjöngjang und war bis 2006 dort tätig. Er diente unter anderem in Afghanistan und am Balkan. 2015 ließ er sich pensionieren, heute forscht und lehrt er am Centre for International Policy Studies an der Uni in Ottawa. de Flüchtlingsströme, US-Truppen an ihrer Grenze, der Verlust Nordkoreas als „Pufferzone“und keine Kontrolle des Handels mit nordkoreanischen Rohstoffen. Sollte Peking endgültig den Einfluss über Nordkorea verlieren, würde es sich für einen Regimewechsel in Pjöngjang einsetzen. Derzeit wird viel nachgedacht. Wünschenswert wäre eine Politik der Geheimdiplomatie zwischen den USA und China, um Vertrauen aufzubauen und Zukunftsszenarien zu entwickeln. Leider ist das Misstrauen zu groß.
Stimmen Berichte über Wirtschaftsöffnung in Nordkorea? Anerkannte österreichische Experten würden mir jetzt widersprechen, aber ich kann mit Gewissheit sagen: Es gibt keine wirtschaftliche Öffnung in Nordkorea. Einer sorgfältig ausgewählten Gruppe wird nun erlaubt, Geld zu verdienen. Der Deal ist: etwas mehr Freiheit für bedingungslose Loyalität. Diese Personen dürfen einen Teil des verdienten Geldes behalten, den Rest bekommt das Regime. Von Öffnung im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung kann keine Rede sein. Man will nichts riskieren: „Sehen Sie sich doch an, was diesem freundlichen Herrn Gorbatschow passiert ist“, hörte ich oft.
Gibt es Zeichen von Unzufriedenheit unter den Nordkoreanern? Ich habe selbst miterlebt, wie innerhalb der privilegierten Klassen der Unmut wuchs. Damals tauchten die ersten Gerüchte über verbotene, aus Südkorea eingeschleuste DVDs mit südkoreanischen Filmen auf. Es hieß, das Regime würde dies sofort stoppen. Zwölf Jahre sind vergangen, genau das Gegenteil ist passiert: Das Regime ist machtlos. Man schaut sich USB-Sticks mit südkoreanischen, chinesischen, westlichen Filmen gemeinsam mit Freunden an, sie werden weitergereicht, kopiert. Wenn man erwischt wird, kommt man mit Bestechung davon. Dadurch verbreitet sich das Bewusstsein, dass das System korrupt ist.
Trifft das vor allem auf junge Nordkoreaner zu? Ja, das ist die Post-Hungersnot-Generation: Sie hat nie die verhältnismäßig „besseren“Zeit der Kim-Ilsung-Ära miterlebt, hegt also keine Nostalgie nach der „alten, sozialistischen Welt“. Die Jungen haben Laptops, Handys, sie haben Erfahrungen in horizontaler Kommunikation. Wir müssen Nordkoreanern helfen, die Frage „Warum“zu stellen. Eine Möglichkeit wäre, USBSticks mit objektiven Infos zur Lage ihres Landes ins Land zu schmuggeln – mit UNO-Dokumenten oder Berichten über die Wirtschaftslage. Wenn sie in die Hände von Personen gelangen, die ohnehin zweifeln, wie werden sie dann reagieren? Das ist doch eine große Chance für den Westen.