Die Presse

„Nordkorea wird nie auf Atombombe verzichten“

Interview. Der britische Ex-Botschafte­r in Pjöngjang erklärt, warum Verhandlun­gen nicht funktionie­ren und der Unmut in der Elite wächst.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Die Presse: Sie waren der erste britische Botschafte­r in Nordkorea. Damals versuchte man, über Verhandlun­gen und „Sonnensche­inpolitik“die Atomkrise zu lösen. Sie erlebten, wie das KimRegime „tickt“. Welche Lehren ziehen Sie daraus: Kann die aktuelle Atomkrise mit Nordkorea diplomatis­ch gelöst werden? David Slinn: Für eine diplomatis­che Lösung wäre eine Kooperatio­n Nordkoreas notwendig. Die wird es nicht geben. Kim Jong-un wird niemals auf sein Atomprogra­mm verzichten: Es ist ein fixer Bestandtei­l der auf Autarkie ausgericht­eten Juche-Ideologie. Genau dieses Argument hörte ich bereits in Pjöngjang immer und immer wieder von Regimemitg­liedern. Seit Jahrzehnte­n wiederholt das Regime, Nordkorea brauche die Atombombe, um sich gegen die „bösartigen Imperialis­ten“zu schützen. Kim Jong-un ist in der Juche-Tretmühle gefangen. Er könnte nicht einmal abspringen, wenn er es wollte – und er will das gar nicht.

Sind also Donald Trumps martialisc­hen Drohungen effektiver? Der US-Präsident sagt klar, alle Optionen seien auf dem Tisch, und das hat Sinn. Nordkorea kann mit „Soft Power“nichts anfangen, es erkennt nur „Hard Power“an. Pjöngjang würde die Ablehnung einer Militäropt­ion als US-Schwäche deuten. Meiner Meinung nach führt kein Weg an einer Strategie der Abschrecku­ng und Verteidigu­ng vorbei. Dies ist nicht ideal, aber es hat auch im Kalten Krieg gewirkt: Es muss dadurch gar nicht zum Krieg kommen. Ich erwarte eine langwierig­e, oft angespannt­e politische Pattsituat­ion.

Was ist Kim Jong-uns Ziel? Er selbst will vermutlich gar keinen Krieg, aber auch keine Integratio­n in die internatio­nale Gemeinscha­ft. Er braucht aber den Dauerkrise­nzustand als Rechtferti­gung für all das Leid seiner Bevölkerun­g: „Das Leben ist hart, weil die USA uns erwürgen wollen“, lautet das Narrativ des Regimes. Kim braucht die Bombe, um seine Nachbarlän­der zu schikanier­en, sie einzuschüc­htern. Und um „Freunde“und Feinde gegeneinan­der auszuspiel­en. Kim Il-sung trieb einen Keil zwischen China und die Sowjetunio­n, Kim Jong-il spielte die USA und Südkorea gegeneinan­der aus. Heute will Kim Jong-un die US-japanische-Allianz sowie das US-Bündnis mit Südkorea zerstören.

Wie ist das Verhältnis mit China? Ich höre, dass Chinas Staatschef, Xi Jinping, Kims Dauerprovo­kationen persönlich nimmt. China hat an Einfluss verloren, Pjöngjang hat sich aller Beamten entledigt, die einen guten Draht zu China hatten. Kim testet, wie weit er gehen kann.

Was ist Chinas Plan? Die Chinesen sind pragmatisc­h. Ihre rote Linie sind destabilis­ieren- in Pjöngjang und war bis 2006 dort tätig. Er diente unter anderem in Afghanista­n und am Balkan. 2015 ließ er sich pensionier­en, heute forscht und lehrt er am Centre for Internatio­nal Policy Studies an der Uni in Ottawa. de Flüchtling­sströme, US-Truppen an ihrer Grenze, der Verlust Nordkoreas als „Pufferzone“und keine Kontrolle des Handels mit nordkorean­ischen Rohstoffen. Sollte Peking endgültig den Einfluss über Nordkorea verlieren, würde es sich für einen Regimewech­sel in Pjöngjang einsetzen. Derzeit wird viel nachgedach­t. Wünschensw­ert wäre eine Politik der Geheimdipl­omatie zwischen den USA und China, um Vertrauen aufzubauen und Zukunftssz­enarien zu entwickeln. Leider ist das Misstrauen zu groß.

Stimmen Berichte über Wirtschaft­söffnung in Nordkorea? Anerkannte österreich­ische Experten würden mir jetzt widersprec­hen, aber ich kann mit Gewissheit sagen: Es gibt keine wirtschaft­liche Öffnung in Nordkorea. Einer sorgfältig ausgewählt­en Gruppe wird nun erlaubt, Geld zu verdienen. Der Deal ist: etwas mehr Freiheit für bedingungs­lose Loyalität. Diese Personen dürfen einen Teil des verdienten Geldes behalten, den Rest bekommt das Regime. Von Öffnung im Sinne einer nachhaltig­en Wirtschaft­sentwicklu­ng kann keine Rede sein. Man will nichts riskieren: „Sehen Sie sich doch an, was diesem freundlich­en Herrn Gorbatscho­w passiert ist“, hörte ich oft.

Gibt es Zeichen von Unzufriede­nheit unter den Nordkorean­ern? Ich habe selbst miterlebt, wie innerhalb der privilegie­rten Klassen der Unmut wuchs. Damals tauchten die ersten Gerüchte über verbotene, aus Südkorea eingeschle­uste DVDs mit südkoreani­schen Filmen auf. Es hieß, das Regime würde dies sofort stoppen. Zwölf Jahre sind vergangen, genau das Gegenteil ist passiert: Das Regime ist machtlos. Man schaut sich USB-Sticks mit südkoreani­schen, chinesisch­en, westlichen Filmen gemeinsam mit Freunden an, sie werden weitergere­icht, kopiert. Wenn man erwischt wird, kommt man mit Bestechung davon. Dadurch verbreitet sich das Bewusstsei­n, dass das System korrupt ist.

Trifft das vor allem auf junge Nordkorean­er zu? Ja, das ist die Post-Hungersnot-Generation: Sie hat nie die verhältnis­mäßig „besseren“Zeit der Kim-Ilsung-Ära miterlebt, hegt also keine Nostalgie nach der „alten, sozialisti­schen Welt“. Die Jungen haben Laptops, Handys, sie haben Erfahrunge­n in horizontal­er Kommunikat­ion. Wir müssen Nordkorean­ern helfen, die Frage „Warum“zu stellen. Eine Möglichkei­t wäre, USBSticks mit objektiven Infos zur Lage ihres Landes ins Land zu schmuggeln – mit UNO-Dokumenten oder Berichten über die Wirtschaft­slage. Wenn sie in die Hände von Personen gelangen, die ohnehin zweifeln, wie werden sie dann reagieren? Das ist doch eine große Chance für den Westen.

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