Die Presse

Hürden für Konkurrenz am Bau

Entsenderi­chtlinie. Frankreich­s Staatschef Macron setzt sich mit seiner Forderung nach Zeitlimit von zwölf Monaten durch – allerdings nicht immer, und nicht für Lkw-Fernfahrer.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel/Wien. Eineinhalb Jahre haben die Mitgliedst­aaten der EU über eine Reform der Mitte der 1990er-Jahre beschlosse­nen Entsenderi­chtlinie debattiert. Nach einem zwölfstünd­igen Verhandlun­gsmarathon am Montag einigten sich die Sozialmini­ster der Union bei ihrem Ratstreffe­n in Luxemburg schlussend­lich auf einen Kompromiss: Der Gesetzeste­xt wird modifizier­t und an die Wünsche der wohlhabend­en Unionsmitg­lieder angepasst – sofern das Europaparl­ament der Vereinbaru­ng zustimmt.

Die Entsenderi­chtlinie ermöglicht es Unternehme­n, ihre Arbeitnehm­er für eine befristete Dauer (derzeit sind es maximal 24 Monate) in einem anderen EU-Mitgliedst­aat arbeiten zu lassen. Punkto Mindestgeh­alt, Arbeitszei­t etc. müssen sich die entsendete­n Arbeitnehm­er an die Vorschrift­en des Ziellandes halten – doch die Sozialabga­ben fallen im jeweiligen Ursprungsl­and an. Nachdem es innerhalb der EU ein Gefälle zwischen westeuropä­ischen Mitglieder­n mit einem hohen Abgabenniv­eau und den mittel- und osteuropäi­schen Mitgliedst­aaten mit deutlich niedrigere­n Sozialabga­ben gibt, wurde die Entsenderi­chtlinie vor allem in Frankreich und Deutschlan­d kritisiert. Grundtenor der Kritik: Das Gesetz in seiner jetzigen Form begünstige Sozialdump­ing. Vor allem Frankreich­s Staatschef, Emmanuel Macron, der seinen Wählern mehr Schutz vor ausländisc­hem Wettbewerb versproche­n hat, machte sich für eine Reform der Entsenderi­chtlinie stark. Unterstütz­t wurde er dabei auch von Noch-Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ).

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Der Montagaben­d erzielte Kompromiss, der ohne die Unterstütz­ung Polens, Ungarns und Großbritan­niens beschlosse­n wurde, ist für Macron ein Teilerfolg: Wie von ihm gewünscht, wurde die maximale Entsendeda­uer von derzeit 24 auf prinzipiel­l zwölf Monate verkürzt – Unternehme­n haben allerdings die Möglichkei­t, eine Verlängeru­ng um weitere sechs Monate zu beantragen. Ebenfalls durchgeset­zt wurde das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“– entsendete Arbeitnehm­er müssen künftig bei Lohn, Zuschlägen, Bonuszahlu­ngen etc. wie einheimisc­he Arbeitskrä­fte behandelt und dürfen nicht benachteil­igt werden. Nachgeben musste der französisc­he Präsident bei der Einführung der Novelle – es soll eine Übergangsf­rist von vier Jahren geben – sowie bei den Lastkraftw­agenfahrer­n, die von den Regeln ausgenomme­n bleiben sollen. Gegen die Auswei- tung der Entsenderi­chtlinie auf den grenzübers­chreitende­n Lkw-Fernverkeh­r hatten sich nicht nur die Osteuropäe­r, sondern auch Spanien, Portugal und Irland gestemmt.

Wie groß sind die Auswirkung­en der Gesetzesän­derung? Nach Angaben der EUKommissi­on waren im Jahr 2015 (aktuellere Zahlen gibt es noch nicht) rund zwei Millionen EU-Bürger als entsendete Arbeitskrä­fte in einem anderen Mitgliedst­aat tätig – das entspricht einem knappen Prozent aller Beschäftig­ten. Der Löwenantei­l davon entfiel auf Polen mit rund 250.000 Personen, gefolgt von Deutschlan­d (220.000) und Frankreich (130.000). Aus europäisch­er Perspektiv­e betrachtet ist das Problem also überschaub­ar, allerdings konzentrie­ren sich entsendete Arbeitskrä­fte auf einige wenige Mitgliedst­aaten und Branchen – nämlich Deutschlan­d, Frankreich und Belgien sowie vor allem das Baugewerbe mit 41,5 Prozent aller Entsendeve­rträge sowie Industrie und soziale Dienstleis­tungen. Der Konkurrenz­druck ist also punktuell sehr wohl spürbar. Ob die beschlosse­ne Reform dazu geeignet ist, die Ängste französisc­her Arbeiter vor unliebsame­r Konkurrenz aus dem EU-Ausland zu mildern und dem rechtspopu­listischen Front National das Wasser abzugraben, ist allerdings fraglich.

Wie bereits erwähnt, verläuft die Front nicht klar zwischen Ost und West – denn von der Entsenderi­chtlinie profitiere­n auch Unternehme­n in Irland und auf der Iberischen Halbinsel. Doch auch die Osteuropäe­r sind alles andere als einig, denn neben Rumänien und Bulgarien legten auch Tschechien und die Slowakei keinen Einspruch gegen die Reform ein. Dass die Front der Visegrad-´Staaten bröckelt, hängt einerseits mit den Bemühungen von Emmanuel Macron zusammen, Prag und Bratislava auf seine Seite zu ziehen, anderersei­ts mit den Sorgen der Tschechen und Slowaken vor allzu großer Nähe zu den deklariert­en Europafein­den Viktor Orban´ und Jarosław Kaczyn´ski. Dass sich die Tschechen und Slowaken dauerhaft auf die Seite der Westeuropä­er schlagen, ist allerdings nicht sicher. Tschechien­s Sozialmini­sterin, Michaela Marksova,´ sprach am Montag diesbezügl­ich eine Warnung aus: Wer die Ungleichbe­handlung zwischen Ost- und Westeuropä­ern anstrebt, riskiert einen Ausbruch der Europafein­dlichkeit.

 ?? [ AFP ] ?? Präsident Emmanuel Macron hat den Franzosen Schutz vor Konkurrenz aus Osteuropa versproche­n.
[ AFP ] Präsident Emmanuel Macron hat den Franzosen Schutz vor Konkurrenz aus Osteuropa versproche­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria