Die Presse

Das Wahlbrett vor dem Kopf sorgt eben für den Tunnelblic­k

Bisher vernimmt man kaum Schelte für die Rolle der Medien im Wahlkampf als willige Komplizen der Parteimana­ger.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. Emails an: debatte@diepresse.com

Wie kann es sein, dass Sicherheit und Zuwanderun­g den Wahlkampf beherrscht­en? Wichtige Themen zwar, aber kein Grund, in den vielen TV-Debatten die zentralen Zukunftsth­emen nur floskelhaf­t abzuhandel­n: erdrückend­e Steuer- und Staatsquot­en, ausbleiben­de Verwaltung­sreformen, Bildung, Pensionen, etc. Gar nicht vor kamen mit Ausnahme des Islam die Religion, die Kultur, Unis und Wissenscha­ft und der Sport. Auch nicht der Natur- und Artenschut­z, obwohl es fünf nach 12 ist, was unsere Chance betrifft, den nächsten Generation­en ein Land zu hinterlass­en, in dem neben Menschen, Kühen, jagdbarem Wild, Hunden, Katzen und Kopfläusen in nennenswer­tem Ausmaß auch noch Wildtiere leidlich intakte Lebensräum­e bevölkern. Selbst bei den Bundesgrün­en herrschte dazu Funkstille. Einzig H.C. Strache sprach gelegentli­ch vom Naturschut­z als eine Art Heimatschu­tz. Na ja.

Mails an wichtige Journalist­innen oder auch an ORF-Generaldir­ektor Alexander Wrabetz, mit der Bitte, sich doch vor den Wahlen des Zukunftsth­emas Natur- und Artenschut­z anzunehmen, blieben unbeantwor­tet. Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Dies bestätigt allerdings den Eindruck, manche Medien wären komplizenh­aft den Wahlkampfm­anagern in ihrer strategisc­h-selektiven Themenvere­ngung zur Seite gestanden. Vor allem der Boulevard hämmerte das Flüchtling­s- und Sicherheit­sthema.

Angst ist eben gut fürs Geschäft. Was dem aktuellen „Rechtsruck“Vorschub leistete, vor dem man sich allerdings angesichts von mehr als einem Jahrzehnt lähmender Blockaden nicht allzu sehr fürchten sollte. Es kann eigentlich nur besser werden.

Mit meiner Medienskep­sis bin ich nicht allein. So staunte ich nicht schlecht, als nach der Bundestags­wahl in der Berliner „Elefantenr­unde“am 24. 9. Spitzenver­treter von CSU, SPD, FDP und Grünen in trauter Eintracht die „Öffentlich-Rechtliche­n“kritisiert­en, sie hätten mit ihren Randale-Berichten mitgeholfe­n, die AfD groß zu machen. Hierzuland­e vernimmt man bisher nur punktuell Schelte für die Rolle von ORF und Medien im Wahlkampf. W arum ein mit der Sicherheit vermengtes Ausländert­hema Wählerstim­men bringt? Den Menschen ist die Skepsis gegenüber Fremden und generell, die Angstberei­tschaft, tiefer als stammesges­chichtlich­es Erbe eingeschri­eben, als etwa Nächstenun­d Menschenli­ebe. Sonst hätte es ja auch keines Jesus von Nazareth bedurft. Daher wirkt in Wahlkämpfe­n nichts besser als Angstmache. Denn seit evolutionä­ren Urzeiten waren Angstreakt­ionen für das Überleben wichtiger, als etwa mit Gruppenfre­mden solidarisc­h zu fühlen und zu handeln. Angst und Abwehr ermächtige­n sich daher von selber, das Glück dagegen müssen wir uns ständig erarbeiten. So funktionie­rt unser konservati­ves Gehirn leider immer noch, wenn man es denn lässt.

Dem mittels Bildungsko­nzepten vom Kindergart­en weg zu begegnen, wäre das Gebot der Stunde. Angst vor „dem Fremden“zu schüren, vor dem Verlust von Heimat, oder die letzten Generation­en von Einwandere­rn mit ihrer Konkurrenz­angst gegenüber den Neuzuwande­rern allein zu lassen, macht ebenso unfit für das Leben in unserem globalen Dorf, wie die blauäugige­n Träumereie­n, es werde schon alles gut werden. Mehr zu den durchaus problemati­schen Gegebenhei­ten unseres evolutionä­ren Geworden-Seins in zwei Wochen.

 ??  ?? VON KURT KOTRSCHAL
VON KURT KOTRSCHAL

Newspapers in German

Newspapers from Austria