Die Presse

Die tiefen Falten des Spätmurxis­ten Armin Thurnher

Artikulati­on von Hass muss im Rahmen der Meinungsfr­eiheit zulässig sein.

- VON GEORG VETTER Georg Vetter ist Rechtsanwa­lt und Präsident des Clubs unabhängig­er Liberaler. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wenn der Herausgebe­r einer Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“seine Neigung zum Wortwitz auslebt und den Bundeskanz­ler in spe einen „Neofeschis­ten“nennt, dann muss die Frustratio­n im linken Lager schon gewaltig sein. Das Zurückgrei­fen auf billige Tricks sprachlich­er Assoziatio­nen bietet einen journalist­ischen Vorgeschma­ck auf jene Gewaltausb­rüche, die uns auf der Straße noch bevorstehe­n, wenn eine den Spätsozial­isten nicht genehme Koalition die Regierungs­geschäfte übernehmen sollte.

Mit der antifaschi­stischen Codierung einer faschistoi­den Zuschreibu­ng sollen jene Hundertsch­aften angesproch­en und aufgehetzt werden, deren Hass massiv aufgeboten werden kann. Der biedere Bürger erinnert sich noch mit Schaudern an jene Plakate, mit denen diese elementare Kraft zum Habenkönne­n angeboten wurde.

Möglicherw­eise machte der enttarnte Wahlkampf der SPÖ dieser Strategie einen Strich durch die Rechnung. Konnte man in Österreich im Namen des Antifaschi­smus bisher jede Hetze folgenlos unter die Leute bringen, könnte die Welt plötzlich eine andere sein.

Seit dem Auffliegen der gefälschte­n Facebook-Seiten samt antisemiti­schen Hasspostin­gs hat man eher das Gefühl, dass die meisten Hakenkreuz­e im Land von Jungmarxis­ten geschmiert werden, um die eigene Ideologie zu legitimier­en. Die Faschismus­keule mutiert zum Bumerang, der auch um einen 31-Jährigen einen großen Bogen macht. Den Hass will keiner haben – auch den linken nicht.

Linker Schrumpfun­gsprozess

Die Avantgarde des gepflegten Klassenkam­pfes wird sich damit abzufinden haben, dass die linke Reichshälf­te per demokratis­chem Prozess auf ein knappes Reichsdrit­tel reduziert wurde. Monarchisc­h gesprochen, versteht sich. Nunmehr sind Analysefäh­igkeiten wieder gefragt. Das „gendergetr­iebene WapplerInn­entum“als eine Ursache des grünen Desasters auszumache­n spricht sehr für den alten Herrn und das Mehr an Aufarbeitu­ngskompete­nz. Bürgerlich­e hätten kaum die Courage, so treffsiche­r zu formuliere­n.

Moralische Aristokrat­ie

Die Trauerarbe­it mit Jugendneid und autoritäre­n Stereotype­n zu mischen zeugt hingegen von bedenklich­en Blockaden. Selbst Goethe als unschuldig­en Zeugen für das bunte Gemisch aus schwerer Enttäuschu­ng und letztem Rest an Kampfeslus­t heranzuzie­hen erscheint deplatzier­t.

Die linke Elite mit ihrem Überlegenh­eitsanspru­ch hat sich immer für etwas Besseres gehalten. Als moralische Aristokrat­ie erschien es ihr auch immer unbedenkli­ch, Richter über die Bourgeoisi­e zu spielen. Dass dieses Spiel ewig so weitergehe­n sollte, wurde als selbstvers­tändlich angenommen. Umso schmerzhaf­ter ist der tiefe Fall, wenn der Herausgebe­r des faltenreic­hen Stadtmagaz­ins auf der Linie der verbalen Aggressivi­tät herummurxt und sich einer menschenve­rachtenden Rhetorik bedient. Deshalb ein Zuruf im guten alten Juso-Jargon: „Armin, hau Dich mit Deiner menschenve­rachtenden Rhetorik über die Häuser!“

Verfehlt wäre allerdings, Muna Duzdars Meldestell­e „Gegen Hass im Netz“in Anspruch zu nehmen und den „Neofeschis­ten“-Artikel zur Anzeige zu bringen. Die Artikulati­on von Hass, der nicht direkt auf Gewalt zielt, muss im Rahmen der Meinungsfr­eiheit zulässig sein. Hier helfen keine staatliche­n Überwachun­gsmaßnahme­n und schon gar keine Strafgeset­ze. Gegen Hass im Netz hilft nicht weniger Meinungsfr­eiheit, sondern nur das Gegenteil: mehr Meinungsfr­eiheit. Auch in diesem Fall sollte man die vermeintli­chen Meister der linguistis­chen Schnalzere­ien mit ihren eigenen Waffen schlagen.

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