Die Presse

Geld bleibt noch lang billig

Zinsen. Die Europäisch­e Zentralban­k tastet sich so langsam wie möglich an die Zinswende heran. Sie kauft auch nächstes Jahr weiter Anleihen auf und hält den Leitzins zumindest bis 2019 auf dem absoluten Nullpunkt.

- VON MATTHIAS AUER

Wien/Frankfurt. Mehr als zwei Billionen Euro (eine Zahl mit zwölf Nullen) hat die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) seit 2015 ausgegeben, um Wertpapier­e von Europas Staaten und Unternehme­n aufzukaufe­n und so die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Nur zum Vergleich: Ganz Österreich hat im selben Zeitraum nicht einmal halb so viel Geld erwirtscha­ftet. Diese historisch einzigarti­ge Kapitalspr­itze blieb nicht ohne Wirkung. Die Eurozone hat sich vom globalen Wackelkand­idaten zum Wachstumsk­aiser gemausert, die Arbeitslos­enrate sinkt, Europas Banken vergeben wieder mehr Kredite. Doch EZBPräside­nt Mario Draghi ist das anscheinen­d noch immer nicht genug. Geld fließt aus allen Rohren Der EZB-Rat hat sich am Donnerstag für die allerlangs­amste denkbare „Zinswende“entschiede­n. Die umstritten­en Anleihekäu­fe werden ab kommendem Jahr von 60 Milliarden auf 30 Milliarden Euro im Monat halbiert. Dafür verlängert die EZB diese Kapitalkur aber zumindest um neun Monate bis Ende September 2018. Schlussend­lich wird die Zentralban­k dann 2,55 Billionen Euro in Europas Staats- und Unternehme­nskassen gespült haben. Damit reizt die EZB das Maximum aus, das für sie unter den bestehende­n Regularien möglich ist. Der Leitzins, eine wichtige Referenzgr­öße für alle Kreditnehm­er, bleibt, wo er seit März 2016 steht: auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Ein echter Kurswechse­l in Richtung zinspoliti­scher Normalität sieht anders aus. Warten auf Europas Inflation Europa brauche auch weiter einen „umfangreic­hen geldpoliti­schen Impuls“, begründete Mario Draghi seine Entscheidu­ng, die Zinsschrau­be nicht einmal anzutasten, während die meisten großen Notenbanke­n weltweit ihre Zinsen nach dem Ende der Krise wieder anheben. Als Begründung muss die schwache Inflation in der Eurozone herhalten. Im September betrug sie nur 1,5 Prozent, die offizielle Zielmarke der EZB liegt hingegen bei knapp unter zwei Prozent. Österreich ist ein Sonderfall. Hier betrug die Inflations­rate bereits im September 2,6 Prozent. Die prolongier­te Nullzinspo­litik trifft die heimischen Sparer also doppelt hart. Sie bekommen für ihre Einlagen bei der Bank keine Zinsen, sondern verlieren über die hohe Inflation real sogar Geld. 1000 zinsfrei veranlagte Euro, sind nach einem Jahr nur noch 974 Euro wert. Nach vier Jahren ist ein Zehntel des Vermögens „weginflati­oniert“. Alle Hintertürc­hen bleiben offen Geldpoliti­sche „Falken“wie Deutschlan­d oder die Niederland­e kritisiert­en den zögerliche­n Schritt der EZB am Donnerstag hart. Sie stoßen sich vor allem daran, dass es Mario Draghi nicht nur tunlichst vermieden hat, ein definitive­s Datum für das Ende der Anleihekäu­fe zu nennen, sondern sich auch weiterhin alle Hintertürc­hen offengelas­sen hat. Sollte es erforderli­ch sein, stehe die EZB auch nach dem September 2018 bereit, weitere Milliarden in den Markt zu pumpen, versichert­e er. Das Geld, das an die EZB zurückflie­ßt, weil gekaufte Anleihen auslaufen, will die Notenbank ohnedies weiter investiere­n. Und zwar weit über jedes mögliche Ende des offizielle­n Kaufprogra­mms hinaus und „in jedem Fall so lang wie notwendig“. Europas Aktienmärk­te legten ob dieser Aussicht auf ein weiteres Jahr mit „Kaufgarant­ie von ganz oben“am Donnerstag kräftig zu. Zinswende verspätet sich Sollte die EZB ab nächstem September – exakt zehn Jahre nach dem Fall der Lehman Brothers – tatsächlic­h keine neuen Wertpapier­e mehr zukaufen, ist auch das noch kei- ne Zinswende, wie sie von Kreditnehm­ern befürchtet und von Sparern herbeigese­hnt wird. Draghi betonte einmal mehr, dass der Leitzins in Europa auch nach dem Ende des Ankaufprog­ramms noch eine ganze Weile auf null bleiben werde. Experten rechnen frühestens im Frühling 2019 mit einer ersten Zinsanpass­ung nach oben. Bis dahin bleibt Europa das ultrabilli­ge Geld in jedem Fall noch erhalten.

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