Die Presse

Die Enteignung geht munter weiter, und kein Ende ist in Sicht

Die Währungshü­ter haben alles unternomme­n, um die Finanzkris­e zu bewältigen. Aber nun werden sie die Geister, die sie riefen, nicht mehr los.

- Mehr zum Thema: E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

An Tagen wie diesen wirken die Zentralban­ker in Frankfurt weniger wie mächtige Währungshü­ter, sondern vielmehr wie Zauberlehr­linge, die händeringe­nd ein Ende des großen Finanzhoku­spokus herbeisehn­en, den sie selbst verursacht haben. „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los“lautet das Motto. Nur dass es EZBChef Mario Draghi viel verklausul­ierter und weniger poetisch ausdrückt, als es einst Goethe getan hat.

Wie erwartet drosselt also die Europäisch­e Zentralban­k die monatliche­n Anleihenkä­ufe, wie erwartet bleibt es bei der Nullzinspo­litik, und leider wie befürchtet hat Draghi nicht gesagt, wann er die Anleihenkä­ufe beenden will. Die Währungshü­ter haben den Zauberspru­ch vergessen, um den Spuk zu beenden – und kein Hexenmeist­er weit und breit.

Um den Euro zu stabilisie­ren, hat die EZB das volle Erste-Hilfe-Programm ausgepackt. Tatsächlic­h ist es mit der ultralocke­ren Geldpoliti­k gelungen, die Finanzkris­e im Zaum zu halten. Allmählich kam die Wirtschaft wieder in Schwung, die Arbeitslos­igkeit sank, und so mancher Ökonom spricht sogar von Hochkonjun­ktur, auch wenn man darunter vor 2007 noch ganz andere Wachstumsz­ahlen verstanden hat. Aber immerhin: Der Wirtschaft­skreislauf ist in Schwung, leider ist das zentrale Nervensyst­em noch ziemlich benebelt. Und keiner weiß, was passiert, wenn die milliarden­schweren Psychophar­maka abgesetzt werden. Vielleicht merken wir dann, dass die Welt da draußen doch nicht so großartig ist, wie es scheint? L ängst kritisiere­n Finanzexpe­rten wie der frühere EZB-Chefökonom Jürgen Stark, dass Erste-Hilfe-Programme nicht für eine Langzeitth­erapie geeignet sind. Und tatsächlic­h hat Draghi am Donnerstag kein Wort darüber verloren, wann er gedenkt, mit den Anleihenve­rkäufen endgültig aufzuhören. Das ist die eigentlich­e Nachricht dieser EZB-Sitzung: Und es ist eine schlechte Nachricht.

Und natürlich klingt es wunderbar, wenn nun verkündet wird, dass die Anleihenve­rkäufe halbiert werden. Statt monatlich 60 Milliarden Euro buttert die EZB „nur“noch 30 Milliarden hinein. Das Pro- blem dabei ist nur: Draghi und Co. drosseln das Programm nicht nur, weil die Finanzmärk­te so stabil sind, sondern vor allem, weil der EZB allmählich die Fantasie ausgeht, was sie noch alles aufkaufen soll.

Tatsächlic­h wird das gigantisch­e Anleihenka­ufprogramm bis Ende des Jahres 2,28 Billionen Euro verschlung­en haben. Die EZB ist damit also bereits ganz nahe an jener Schmerzgre­nze von 2,5 Billionen Euro, die sie sich einst selbst auferlegt hat. Mit anderen Worten: Von einer Kurskorrek­tur kann beim besten Willen keine Rede sein. Die Währungshü­ter reizen das Programm voll aus. Das war ohnehin zu befürchten. Schließlic­h hätten die Anleihenkä­ufe ursprüngli­ch im März 2017 auslaufen sollen, es wurde bis Ende September 2018 verlängert, und möglicherw­eise steht uns eine weitere Verschiebu­ng ins Haus.

Denn Mario Draghi weiß genau, dass es längst nicht mehr um die Ankurbelun­g der Wirtschaft geht, sondern nur noch darum, EU-Staaten zu finanziere­n. Es geht darum, Länder zu stützen, die aus der Finanzkris­e keine Lehren gezogen haben. Unter Einfluss der EZB-Finanzdrog­en haben sie sich vielmehr weitervers­chuldet. Zum Nulltarif.

Während in den USA die nächste Zinsanhebu­ng ansteht, bleibt es in Europa bei null Prozent Zinsen. Die Droge wirkt schließlic­h. Die Nebenwirku­ngen sind zwar unangenehm, aber verschmerz­bar. Zumindest, wenn man das größte Enteignung­sprogramm der Nachkriegs­zeit als „Nebenwirku­ng“abtun möchte. Sparguthab­en werden entwertet, Pensionser­höhungen von der Inflation aufgefress­en, und die Lohnsteige­rungen sind trotz niedriger Arbeitslos­igkeit marginal.

Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen! Zumindest bis zur nächsten Krise. „Wir werden zu unseren Lebzeiten keine Finanzkris­e mehr erleben“, hat US-Notenbank-Chefin Janet Yellen diesen Sommer versichert. Wenn sie sich da nur nicht irrt. Denn dann wäre es mit dem Zauber endgültig vorbei.

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VON GERHARD HOFER

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