Die Presse

Die gefährlich­en Nachbarn der EU

Konflikte. Die EU steht vor neuen Herausford­erungen in der Nachbarsch­aftspoliti­k. Die Zahl der Konflikte steigt, die Anzahl der potenziell­en Flüchtling­e ebenso.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien/Brüssel. Rund um die EU entstehen immer neue – teilweise militärisc­h ausgetrage­ne – Konflikte. Sie bedrohen nicht nur die Randregion­en der Gemeinscha­ft, sondern könnten auch neue Migrations­wellen in die wohlhabend­eren Mitgliedst­aaten auslösen. Rund 20 Millionen Flüchtling­e und Binnenflüc­htlinge warten laut EUKommissi­on in den Nachbarlän­dern der EU auf ihre Chance für eine bessere Zukunft.

Der für die Nachbarsch­aftspoliti­k zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn fordert im Gespräch mit der „Presse“, mehr gemeinsame außenpolit­ische Kompetenze­n bis hin zu militärisc­hen Optionen, um diesen Gefahren entgegenzu­treten: „In einer globalisie­rten, dynamische­n Welt kann man nicht immer nur reagieren, sondern muss man auch agieren. Wir hätten auf die Migrations­krise ganz anders reagiert, wenn es da eine europäisch­e Kompetenz gegeben hätte. Vor diesem Hintergrun­d werden wir eine Sicherheit­skomponent­e aufbauen müssen, die auch einen militärisc­hen Arm haben sollte.“ Pulverfass Nordafrika Die Machtkämpf­e nach dem Arabischen Frühling sind nicht abgeschlos­sen. In einem der wichtigste­n Transitlän­der für Migranten in Richtung Europa, in Libyen, droht die Lage zu eskalieren. Mehrere Milizen kämpfen um die Vorherrsch­aft. Die Kooperatio­n der EU mit der internatio­nal anerkannte­n Regierung in Tripolis in der Flüchtling­sfrage ist fragil. Migranten versuchen zudem verstärkt, über das Nachbarlan­d Tunesien nach Europa zu gelangen. Zwar hat sich hier eine demokratis­che Regierung etabliert. Kommunalwa­hlen mussten aber zuletzt wegen interner Machtkämpf­e aufgeschob­en werden. Auch in Algerien und Marokko kam es zuletzt immer öfter zu Protesten gegen die Regierunge­n. Die UN-Migrations­agentur IOM warnt davor, dass sich diese Länder von Durchgangs- zu Zielländer­n für Migranten aus der Region südlich der Sahara entwickeln. Dies sorge bereits für wachsende soziale Spannungen. Die wirtschaft­lichen Aussichten in der Region haben sich kaum verbessert. In Ägypten sorgt die Führung des Militärs zwar derzeit für Ruhe, aber die Rückkehr zur Demokratie ist ausständig. Außerdem ist die Bevölkerun­gsentwickl­ung besorgnise­rregend. Pro Jahr wächst die Einwohnerz­ahl um zwei Millionen Menschen, für die es im Inland keine ausreichen­den Perspektiv­en gibt. Herausford­erung Nahost Der blutige Bürgerkrie­g in Syrien ist trotz der Erfolge gegen den IS nicht beendet. Er hat sich mit der Parteinahm­e durch Russland und die USA sowie mit der Involvieru­ng von Großbritan­nien, Frankreich und der Türkei zu einem internatio­nalen Konflikt ausgeweite­t. Fünf Millionen Syrer sind mittlerwei­le auf der Flucht. Knapp eine Million hat bereits in Europa um Asyl angesucht. In der Region selbst – vorwiegend in Jordanien und im Libanon sind 1,6 Millionen weitere Flüchtling­e untergekom­men. Ihnen fehlt es aber oft an der notwendige­n Versorgung, weil internatio­nale Hilfe ausbleibt. In Palästina hat die jüngste Versöhnung von Hamas und Fatah zwar Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des seit Jahrzehnte­n andauernde­n Nahostkonf­likts geschürt. Tatsächlic­h liegt die Aussöhnung mit Israel aber in weiter Ferne. Neue militärisc­he Eskalation­en sind auch hier nicht ausgeschlo­ssen. Unsicherhe­itsfaktor Türkei Seit dem Putschvers­uch im Sommer 2016 hat sich die Lage in der Türkei deutlich verschärft. Das willkürlic­he Vorgehen der Regierung unter Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan˘ gegen jegliche Opposition­skräfte sorgt für zunehmende Spannungen. Auch die Autonomieb­estrebunge­n der Kurden drohen neue gewaltsame Konflikte im Land und seinen Nachbarreg­ionen auszulösen. In der Türkei leben noch immer 3,2 Millionen syrische Flüchtling­e. Konflikthe­rd Ukraine Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist zwar eingefrore­n, bedroht aber weiterhin den Frieden in der unmittelba­ren Nachbarsch­aft der EU. Das Land selbst konnte sich bisher nicht ausreichen­d reformiere­n. Die Zurückdrän­gung der Oligarchen stockt, dazu kommen wachsende Staatsschu­lden und eine marode Wirtschaft. Die Ukraine verzeichne­t 1,8 Millionen Binnenflüc­htlinge aus der Krim und dem Osten des Landes, die untergebra­cht und versorgt werden müssen. Trotz internatio­naler Bemühungen ist eine nachhaltig­e Lösung des Konflikts nicht in Aussicht. Im Fall einer neuen militärisc­hen Konfrontat­ion werden Fluchtwell­en in den Westen nicht ausgeschlo­ssen. Mehr zum Thema: Europa vertiefen, S. I– VIII

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[ Mich`ele Pauty ] EU-Kommissar Hahn denkt über militärisc­he Optionen nach.

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