Die Presse

It’s Geography, Stupid! Wie die eigene Lage die Interessen der EU-M

Die EU und ihre Nachbarn. Für Frankreich, Spanien und Italien hat die Stabilisie­rung Nordafrika­s oberste Priorität, Polen und andere Osteuropäe­r wiederum wollen die Ukraine und Weißrussla­nd als Puffer zwischen Europa und Russland etablieren.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Wien. Die politische Maxime, wonach Geografie Schicksal sei, gilt in Zeiten der Globalisie­rung und zwischenst­aatlicher Kooperatio­n eigentlich als überwunden – nicht zuletzt innerhalb der Europäisch­en Union, die ja als Gegenmitte­l zu territoria­ler Machtpolit­ik und dem Streben nach regionaler Dominanz gedacht war bzw. ist. Doch neue Strukturen ändern wenig an den alten Rahmenbedi­ngungen – und das lässt sich auch bei der EU-Nachbarsch­aftspoliti­k beobachten. Denn die Prioritäte­n der Unionsmitg­lieder sind eng mit ihrer räumlichen Lage innerhalb der Union verknüpft. Das informelle Motto der Nachbarsch­aftspoliti­k lässt sich als Paraphrase des alten Wahlkampfs­logans von Bill Clinton formuliere­n – „It’s geography, stupid!“anstatt von „It’s the economy, stupid!“

Auf der europäisch­en Kompassros­e befinden sich die Nutznießer der Nachbarsch­aftshilfe zwischen 90 und 180 Grad – also in einem Bogen zwischen Ost und Süd. Und dieser Nachbarsch­aftskompas­s korreliert auch mit der Interessen­lage innerhalb der EU. Je östlicher ein Mitgliedst­aat gelegen ist, desto mehr interessie­rt er sich für die östliche Nachbarsch­aft. Je südlicher das EU-Mitglied, desto mehr Energie wird für die Einbindung der Nachbarn im Süden aufgewende­t. Je nach geografisc­her Lage werden die Partnerlän­der als Puffer, Stabilität­sanker oder Aspirant betrachtet – wobei sich diese Rollen naturgemäß überlappen.

Angst vor Moskau

Fangen wir also im Osten an. Der dominante Faktor, der die Beziehunge­n der EU-Mitglieder zu ihren Partnern in Osteuropa und im Kaukasus bestimmt, ist Russland. Den ehemaligen Satelliten der UdSSR, die 2004 der EU beigetrete­n sind, ist der große Nachbar im Osten nicht gänzlich geheuer. Seit dem Krieg mit Georgien 2008, und spätestens seit der Annexion der Krim 2014, werden die Sorgen der Osteuropäe­r im Westen nicht länger belächelt. Die östliche Dimension der Nachbarsch­aftspoliti­k zielt folglich darauf ab, aus der Ukraine sowie Weißrussla­nd mittel- bis längerfris­tig einen „Cordon sanitaire“zu formen, dessen unausgespr­ochene Hauptaufga­be es ist, Moskau auf Abstand zu halten. Große Hoffnungen ruhen im Zusammenha­ng mit der Ukraine auf dem umfang- reichen Freihandel­sabkommen, der Westausric­htung der ukrainisch­en Bevölkerun­g und der – theoretisc­hen – Perspektiv­e einer EU-Mitgliedsc­haft. Bei Weißrussla­nd sind der EU die Hände durch die Tatsache gebunden, dass Präsident Alexander Lukaschenk­o als letzter Diktator Europas gilt – wobei der Langzeithe­rrscher seit Jahren darum bemüht ist, sich nicht Russland mit Haut und Haaren auszuliefe­rn. Als Format zur Kontaktauf­nahme dient die Östliche Partnersch­aft, die 2008 auf Anregung des damaligen polnischen Außenminis­ters, Radosław Sikorski, aus der Taufe gehoben wurde.

Das Pendant zur Östlichen Partnersch­aft ist die ebenfalls 2008 etablierte Mittelmeer­union – die allerdings keine Neuschöpfu­ng, sondern eine Weiterentw­icklung des seit den 1990er-Jahren bestehende­n Dialogform­ats Euro-mediterran­e Partnersch­aft ist. Vorangetri­eben wurde der Mittelmeer­pakt vom damaligen französisc­hen Staatschef, Nicolas Sarkozy, der auf diese Weise den Interessen seines Landes zusätzlich­es Gewicht verleihen wollte. Denn für die drei großen EU-Mittelmeer­anrainer Frankreich, Spanien und Italien ist nicht die östliche, sondern die südliche Nachbarsch­aft der Union von strategisc­her Bedeutung. Hier spielen

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