Toren Afrikas
tiert nur eine kleine Nomenklatura. Bürokratie und Korruption beherrschen das politische Leben und hemmen wirtschaftliche Entwicklungen. Das Ergebnis: Hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter jüngeren Menschen, die als Folge nichts anderes wollen, als nach Europa zu migrieren.
Die EU hielt dennoch an den Staatsführungen Nordafrikas fest, unter anderem deshalb, weil sie mithalfen, das langsam wachsende Problem der aus Afrika kommenden zahlreichen Migranten in den Griff zu bekommen. Vor allem Marokko spielt seither eine führende Rolle als Wächter für die EU.
„Zu viel Menschenrechte“
Ein besonderer Fall ist Libyen. Jahrelang waren die Beziehungen der EU mit Tripolis wegen Gaddafis Rolle beim Lockerbie-Bombenanschlag (eine mithilfe Libyens an Bord geschmuggelte Bombe hatte 1988 einen Jumbojet der PanAm über Schottland zum Absturz gebracht) eingefroren. 2004 wurde mit Gaddafi wieder offiziell geredet, doch seine Missachtung der Menschenrechte und sein diktatorisches Verhalten riefen Kritik hervor. Dass ihm das nicht passte, sprach Gaddafi ganz offen aus. 2010 sagte er in einer Rede beim Afrika-Gipfel: „Europa redet zu viel über Menschenrechte. Afrika aber braucht keine Politik, nur Wirtschaft.“
Im Dezember 2010 brachen in Tunesien heftige Proteste gegen die Regierung aus, der Arabische Frühling begann und griff bald auf andere Staaten über. Die EU distanzierte sich schnell von den einstigen Verbündeten und verlangte demokratische Reformen. Die Bilanz dieses Frühlings ist ernüchternd: Lediglich Tunesien schaffte halbwegs den Übergang in eine demokratische Zukunft, wenn auch die wirtschaftliche Lage kaum besser wurde. An Algeriens gerontokratischer Führung sind die Proteste weitgehend vorübergegangen, ebenso an
Europas zu den nordafrikanischen Staaten (hier: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten) gehen weit in der Geschichte zurück. Entsprechend früh begannen auch die ersten Kontakte mit der EWG. Trotz Wirtschaftskooperationen und enger werdender Beziehungen wurde diesen Ländern nie die Perspektive eines Beitritts angeboten. Mit dem Arabischen Frühling und dem immer virulenter werdenden Flüchtlingsthema hat Brüssel die Schwerpunkte der Nachbarschaftspolitik zu diesen Ländern geändert: Finanzielle Hilfe wird verstärkt an Reformen und an die Bereitschaft gebunden, in der Migrationspolitik zu kooperieren. Marokko, wo der König durch einige rasche Reformen den Demonstranten den Wind aus den Segeln nehmen konnte. Und auch in Ägypten, wo das Volk einen Muslimbruder zum Präsidenten machte, war es 2013 wieder mit der Demokratie vorbei: Das Militär übernahm die Macht.
Seit damals werden EU-Hilfen und Abkommen mehr als früher an Reformen in dem Land gebunden. Doch bald rückte das Flüchtlingsthema in den Vordergrund, und Brüssel wertet Beziehungen und Unterstützung für Nordafrika seither vor allem unter dem Aspekt der Migrationspolitik: Gibt es Rücknahmeabkommen, besteht Bereitschaft für die Schaffung von Auffangzentren? Das Problem für Brüssel: Nordafrika ist kein homogener Block, jedes einzelne Land hat unterschiedliche Interessen in Europa – und umgekehrt. Dazu kommt, dass diese Länder untereinander oft zerstritten sind, wie das Beispiel Marokko und Algerien zeigt.
Der aktuelle Stand der Beziehungen: Mit Marokko funktioniert die EU-Kooperation derzeit ganz gut, wohl auch, weil das Land in der Eindämmung der Flüchtlingsströme sehr effektiv ist. Wirtschaftlich gab es vor einigen Monaten ein schweres Zerwürfnis, weil die EU nach Rabats Meinung die Handelsabkommen vor allem im Agrarbereich und in der Fischerei nach Gutdünken interpretiere, so der Vorwurf.
In Algerien versucht die EU wiederum, dringend notwendige Wirtschaftsreformen anzutreiben und verspricht Hilfe bei der Modernisierung. Wie in allen nordafrikanischen Ländern ist auch hier eines der Hauptprobleme die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit. Mit Ägypten wurde erst vor einigen Wochen im Zuge des Assoziationsrates zwischen den beiden Staaten eine engere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit für die nächsten drei Jahre fixiert. Ziel dieser Partnerschaft ist wirtschaftliche und soziale Stabilität im Land am Nil.
Das große Problemland ist Libyen. Zwar wurde dort während des Arabischen Frühlings das Gaddafi-Regime mit internationaler Hilfe, vor allem Frankreichs, hinweggefegt. Aber nicht das Volk übernahm die Geschicke des Landes, sondern einzelne Milizen mit jeweiligen Eigeninteressen. Bis heute. Daher hat die EU derzeit fast nur politisch-militärische Abkommen abgeschlossen, und diese stehen durchwegs unter dem Flüchtlingsaspekt. So erhält Tripolis viel Geld für den Aufbau einer effektiveren Küstenwache. Doch angesichts der Tatsache, dass sich das Herrschaftsgebiet der libyschen Regierung gerade um die Hauptstadt erstreckt, ist dies eine extrem fragile Politik.