Nachbarschaftshilfe der Europäer auf dem Rücksitz der Weltpolitik
Naher Osten. Auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern kann die Union mittels ihrer Nachbarschaftspolitik nur marginal einwirken.
Brüssel. Der Befund der Europäischen Kommission, veröffentlicht am 18. Mai dieses Jahres, macht keine Umschweife: „Die EU hat ihre intensive Zusammenarbeit mit Israel über eine große Bandbreite an Sektoren fortgesetzt. Allerdings ist das volle Potenzial der Beziehung vom Fortschritt im Nahost-Friedensprozess abhängig“, heißt es im Bericht über die Reform der Europäischen Nachbarschaftspolitik (kurz ENP).
Klarer kann man das grundlegende Problem der Einbeziehung der beiden Kontrahenten dieses geopolitischen Schlüsselkonflikts in die Nachbarschaftspolitik kaum umreißen. Israel und die Palästinensergebiete liegen einerseits nicht nur geografisch vor der Haustür Europas. „Als Europäer sind wir Teil derselben Region. Sicherheit und Frieden im Mittelmeer, einschließlich des Nahen Ostens, bedeuten also auch Sicherheit, Frieden und Wohlstand für uns“, sagte Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außenund Sicherheitspolitik, im September am Rande der jährlichen Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York.
Andererseits aber passen Israel und die Palästinenser eben nicht wirklich in das politische Design der Nachbarschaftspolitik. Denn am Konflikt sind alle Großmächte, ob global oder regional, in der einen oder der anderen Form beteiligt. Und ehe es keinen dauerhaften Frieden gibt, stehen die Chancen auf den Aufbau fester staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen oder die Schaffung nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen nicht allzu gut.
„Ungeeignet für schnellen Wandel“
Gewissermaßen veranschaulichen sich hier auch die Webfehler der Nachbarschaftspolitik, welche Stefan Lehne, der frühere politische Direktor im Außenministerium, im Jahr 2014 vor ihrer Reform in einem Papier für den Brüsseler Thinktank Carnegie Europe zusammengefasst hat. „Die ENP umfasst 16 Länder im Nahen Osten, Nordafrika und Osteuropa, die bis auf ihre geografische Nähe zur EU wenig gemeinsam haben“, schrieb Lehne. Ihre Methodologie sei aus der Erfahrung der Union mit der Erweiterung abgeleitet, „doch der Beitritt zur EU ist nicht versprochen“. Dieser Zugang funktioniere nicht für Länder, die keine enge Beziehung zur EU wollen, „und die Abwesenheit des Zuckerbrots einer künftigen Mitgliedschaft frustriert jene, die das wollen“.
Die Reform der Nachbarschaftspolitik, die unter Kommissar Johannes Hahn ab 2015 zu greifen begonnen hat, versucht, diesen Problemen entgegenzuwirken. Doch gerade am Beispiel von Israel und Palästina wird der vierte Einwurf Lehnes deutlich: „Die Instrumente der ENP sind für ein langfristiges Engagement in einem stabilen Umfeld geschaffen und schlecht für den schnellen Wandel geeignet, der heute einen Großteil der EU-Nachbarschaft charakterisiert.“
Versöhnen sich Fatah und Hamas? Verschärft Israel die ohnehin schon harte Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten im Westjordanland? Versucht Jared Kushner, der politisch bisher völlig unerfahrene Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, einen neuen Anlauf für eine Lösung des Konflikts? Fragen wie diese beschränken den politischen Spielraum der Europäer, die eben nur einer von mehreren Akteuren sind.
Zumindest in zwei wesentlichen Bereichen versucht die Kommission, kraft der Mittel der Nachbarschaftspolitik vermittelnd einzuwirken. Das betrifft erstens die sogenannten Area-C-Gebiete im Westjordanland. Dort ist, dem Osloer Abkommen entsprechend, formal die Palästinenserbehörde zuständig, praktisch allerdings entscheiden weiterhin die Israelis, wer zum Beispiel bauen darf. Hier befinden sich die meisten der völkerrechtlich schwer umstrittenen israelischen Siedlungen. Zweitens wirken die Europäer hinter den Kulissen auf die israelische Regierung ein, auch tatsächlich alle Zoll- und Steuereinnahmen an die Palästinenserbehörde weiterzuleiten, wie sie dazu eigentlich verpflichtet sind. Hier gibt es nämlich immer wieder Probleme.
Palästinenserbehörde aufbauen
Darüber hinaus erstreckt sich das europäische, nachbarschaftspolitische Wirken gegenüber Israel vor allem in der Einbindung in die Forschungs- und Technologiepolitik der Union, gegenüber den Palästinensern wiederum in der Stärkung von Institutionen. „Die EU hat beträchtlich in den Aufbau der Palästinenserbehörde investiert, um Schlüsselreformen zu fördern, vor allem im Bereich der Verwaltung, Budgetkonsolidierung und des regulatorischen Rahmens“, heißt es im eingangs erwähnten Bericht vom Mai. „EU-Förderungen haben sich auch auf Investitionen fokussiert, die zu nachhaltigen Verbesserungen der Lebensbedingungen beitragen können, vor allem im Gazastreifen.“
Allerdings betont man in Brüssel, dass hinsichtlich dieser beiden Nachbarschaftspartner die Lösung des Nahostkonflikts im Vordergrund stehe. Man möchte vermeiden, eine reine Betriebsansiedlungspolitik für das Westjordanland zu betreiben, wo die wirtschaftlichen Grundlagen besser sind als in vielen souveränen arabischen Staaten. Denn das Grundproblem ist ein politisches, nicht ein ökonomisch-administratives: „Die EU bleibt fest einer ZweiStaaten-Lösung verpflichtet, die entscheidend für Frieden, die Stabilität und langfristige Entwicklung der Region ist.“