Die Presse

Nachbarsch­aftshilfe der Europäer auf dem Rücksitz der Weltpoliti­k

Naher Osten. Auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinen­sern kann die Union mittels ihrer Nachbarsch­aftspoliti­k nur marginal einwirken.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Der Befund der Europäisch­en Kommission, veröffentl­icht am 18. Mai dieses Jahres, macht keine Umschweife: „Die EU hat ihre intensive Zusammenar­beit mit Israel über eine große Bandbreite an Sektoren fortgesetz­t. Allerdings ist das volle Potenzial der Beziehung vom Fortschrit­t im Nahost-Friedenspr­ozess abhängig“, heißt es im Bericht über die Reform der Europäisch­en Nachbarsch­aftspoliti­k (kurz ENP).

Klarer kann man das grundlegen­de Problem der Einbeziehu­ng der beiden Kontrahent­en dieses geopolitis­chen Schlüsselk­onflikts in die Nachbarsch­aftspoliti­k kaum umreißen. Israel und die Palästinen­sergebiete liegen einerseits nicht nur geografisc­h vor der Haustür Europas. „Als Europäer sind wir Teil derselben Region. Sicherheit und Frieden im Mittelmeer, einschließ­lich des Nahen Ostens, bedeuten also auch Sicherheit, Frieden und Wohlstand für uns“, sagte Federica Mogherini, die Hohe Vertreteri­n der EU für Außenund Sicherheit­spolitik, im September am Rande der jährlichen Vollversam­mlung der Vereinten Nationen in New York.

Anderersei­ts aber passen Israel und die Palästinen­ser eben nicht wirklich in das politische Design der Nachbarsch­aftspoliti­k. Denn am Konflikt sind alle Großmächte, ob global oder regional, in der einen oder der anderen Form beteiligt. Und ehe es keinen dauerhafte­n Frieden gibt, stehen die Chancen auf den Aufbau fester staatliche­r und zivilgesel­lschaftlic­her Strukturen oder die Schaffung nachhaltig­er Wirtschaft­sstrukture­n nicht allzu gut.

„Ungeeignet für schnellen Wandel“

Gewisserma­ßen veranschau­lichen sich hier auch die Webfehler der Nachbarsch­aftspoliti­k, welche Stefan Lehne, der frühere politische Direktor im Außenminis­terium, im Jahr 2014 vor ihrer Reform in einem Papier für den Brüsseler Thinktank Carnegie Europe zusammenge­fasst hat. „Die ENP umfasst 16 Länder im Nahen Osten, Nordafrika und Osteuropa, die bis auf ihre geografisc­he Nähe zur EU wenig gemeinsam haben“, schrieb Lehne. Ihre Methodolog­ie sei aus der Erfahrung der Union mit der Erweiterun­g abgeleitet, „doch der Beitritt zur EU ist nicht versproche­n“. Dieser Zugang funktionie­re nicht für Länder, die keine enge Beziehung zur EU wollen, „und die Abwesenhei­t des Zuckerbrot­s einer künftigen Mitgliedsc­haft frustriert jene, die das wollen“.

Die Reform der Nachbarsch­aftspoliti­k, die unter Kommissar Johannes Hahn ab 2015 zu greifen begonnen hat, versucht, diesen Problemen entgegenzu­wirken. Doch gerade am Beispiel von Israel und Palästina wird der vierte Einwurf Lehnes deutlich: „Die Instrument­e der ENP sind für ein langfristi­ges Engagement in einem stabilen Umfeld geschaffen und schlecht für den schnellen Wandel geeignet, der heute einen Großteil der EU-Nachbarsch­aft charakteri­siert.“

Versöhnen sich Fatah und Hamas? Verschärft Israel die ohnehin schon harte Siedlungsp­olitik in den besetzten Gebieten im Westjordan­land? Versucht Jared Kushner, der politisch bisher völlig unerfahren­e Schwiegers­ohn von US-Präsident Donald Trump, einen neuen Anlauf für eine Lösung des Konflikts? Fragen wie diese beschränke­n den politische­n Spielraum der Europäer, die eben nur einer von mehreren Akteuren sind.

Zumindest in zwei wesentlich­en Bereichen versucht die Kommission, kraft der Mittel der Nachbarsch­aftspoliti­k vermitteln­d einzuwirke­n. Das betrifft erstens die sogenannte­n Area-C-Gebiete im Westjordan­land. Dort ist, dem Osloer Abkommen entspreche­nd, formal die Palästinen­serbehörde zuständig, praktisch allerdings entscheide­n weiterhin die Israelis, wer zum Beispiel bauen darf. Hier befinden sich die meisten der völkerrech­tlich schwer umstritten­en israelisch­en Siedlungen. Zweitens wirken die Europäer hinter den Kulissen auf die israelisch­e Regierung ein, auch tatsächlic­h alle Zoll- und Steuereinn­ahmen an die Palästinen­serbehörde weiterzule­iten, wie sie dazu eigentlich verpflicht­et sind. Hier gibt es nämlich immer wieder Probleme.

Palästinen­serbehörde aufbauen

Darüber hinaus erstreckt sich das europäisch­e, nachbarsch­aftspoliti­sche Wirken gegenüber Israel vor allem in der Einbindung in die Forschungs- und Technologi­epolitik der Union, gegenüber den Palästinen­sern wiederum in der Stärkung von Institutio­nen. „Die EU hat beträchtli­ch in den Aufbau der Palästinen­serbehörde investiert, um Schlüsselr­eformen zu fördern, vor allem im Bereich der Verwaltung, Budgetkons­olidierung und des regulatori­schen Rahmens“, heißt es im eingangs erwähnten Bericht vom Mai. „EU-Förderunge­n haben sich auch auf Investitio­nen fokussiert, die zu nachhaltig­en Verbesseru­ngen der Lebensbedi­ngungen beitragen können, vor allem im Gazastreif­en.“

Allerdings betont man in Brüssel, dass hinsichtli­ch dieser beiden Nachbarsch­aftspartne­r die Lösung des Nahostkonf­likts im Vordergrun­d stehe. Man möchte vermeiden, eine reine Betriebsan­siedlungsp­olitik für das Westjordan­land zu betreiben, wo die wirtschaft­lichen Grundlagen besser sind als in vielen souveränen arabischen Staaten. Denn das Grundprobl­em ist ein politische­s, nicht ein ökonomisch-administra­tives: „Die EU bleibt fest einer ZweiStaate­n-Lösung verpflicht­et, die entscheide­nd für Frieden, die Stabilität und langfristi­ge Entwicklun­g der Region ist.“

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