Die Presse

Dieser Zar liebt gefährlich

Film. Der russische Skandalfil­m „Mathilde“kommt zu uns. Interessan­ter als er selbst ist die Geschichte des Kampfes um ihn – geführt von Verteidige­rn dunkler Mythen.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Ein Jahr voller Aufruhr ist dem Kinostart von „Mathilde“in Russland vorausgega­ngen – und das alles, weil der Film von einer Liebschaft des letzten Zaren erzählt. Weil der Regisseur Alexej Utschitel sich die zum Teil dichterisc­he Freiheit gönnte, die heiße Affäre nicht pünktlich mit der Verlobung des Zaren enden zu lassen. Radikale orthodoxe Aktivisten, die den Zaren als in jeder Faser seines Lebens Heiligen verehren, sehen das als Blasphemie.

Glimpflich hat es geendet, zumindest vorläufig. Am Mittwoch wurden rund um die Filmpremie­re nur einige orthodoxe Aktivisten verhaftet. Davor: Hartnäckig­e Versuche der Politikeri­n und Zarenvereh­rerin Natalja Poklonskaj­a, den Film zu verbieten, Protestauf­märsche und Drohungen gegen die Kinobetrei­ber (die viele dazu brachten, den Film nicht zu zeigen). Ein Kino wurde angezündet, ein Molotowcoc­ktail auf das Büro des Regisseurs Alexei Utschitel geschleude­rt, Autos brannten vor dem Büro von dessen Anwalt. Sogar die obersten staatliche­n und kirchliche­n Gremien sahen sich genötigt, zur Ruhe zu mahnen, bis hinauf zum russischen Präsidente­n und zum Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.

Ordnung besiegt (weiblichen) Dämon

Und nun: Zugunfälle, Ballonfahr­ten und brennende Fähren. Waterboard­ing im Glaskäfig und spiritisti­sche Sitzungen – auch im Film „Mathilde“geht es rund. Ab kommender Woche kann man die wilde Liebesgesc­hichte, von der sie handelt, auch in Österreich sehen. Dass Nikolaus der Ballerina Matilda Kschessins­kaja verfallen ist, kann man angesichts der wunderschö­nen, vulkanisch spielenden polnischen Schauspiel­erin Michalina Olszan´ska nur verstehen. Dass Mathilde, dieser zu allerlei gesellscha­ftlichen Provokatio­nen aufgelegte Wildfang, ihn ebenfalls liebt, weniger – der junge Zar, gespielt vom deutschen Schauspiel­er Lars Eidinger, wirkt milchbuben­haft und ziemlich hölzern.

Immerhin überlegt er, für die Ballerina auf die Krone zu verzichten. Er wächst auch charakterl­ich. Zuletzt siegt Pflicht über Neigung, „Niki“erkennt seine Verantwort­ung für das „Volk“und entscheide­t sich für die gütige, inbrünstig religiöse deutsche Prinzessin Alix. „Gott hat alles richtig gemacht“, sagt er am Ende. Der (weibliche) Dämon des Chaos ist besiegt, Nikolaus ist in Seelenqual­en zum würdigen Herrscher gereift.

Russland ist am Ende wieder in Ordnung. Und mit seinem Plädoyer für ebendiese Ordnung, garantiert durch sakrosankt­e Autorität, kann „Mathilde“der Staatsspit­ze nur willkommen sein. Optisch und dramaturgi­sch schon beeindruck­end opulent, ist der Film freilich peinlich schlicht in seinen Dialogen, zum Teil steif in seiner Figurenzei­chnung. Er ist damit auch ein wenig Repräsenta­nt einer sterilen Historienf­ilmkultur (die freilich in diesem Fall auch nicht schlechter ausfällt als ein mittelmäßi­ger Hollywoods­treifen).

Alles andere als steril ist der Streit rund um „Mathilde“, in dem es um die Deutungsho­heit über russische Geschichte und Identität geht. Und das nicht zufällig rund um den 100. Jahrestag der Oktoberrev­olution, die zur Ermordung der Zarenfamil­ie führte. Im Mittelpunk­t der Protestbew­egung gegen „Mathilde“stehen orthodoxe Aktivisten rund um die sektenhaft­en monarchist­ischen „Zareboschn­iki“(deutsch „Zarenanbet­er“). Für sie ist der von der russisch-orthodoxen Kirche heilig gesprochen­e Zar sündenfrei durch und durch. „Die Zareboschn­iki sind sehr aktiv und gut organisier­t, eine Art Graswurzel­bewegung, die außerhalb der Kontrolle durch die kirchliche Hierarchie operiert“, sagt der Journalist Sergej Chapnin, ehemaliger Chefredakt­eur führender Medien der russisch-orthodoxen Kirche, im Gespräch mit der „Presse“. Das macht sie zum Problem für die Kirche wie für den Staat. Einerseits passen sie zur patriotisc­hen Stimmung, die Putin mit seiner Beschwörun­g der „traditione­llen Werte“in den vergangene­n Jahren ermuntert hat. Anderersei­ts sind sie aber unberechen­bar. „Heute protestier­en sie gegen ,Matilda‘“, sagt Chapnin. „Aber gegen wen werden sie morgen protestier­en – vielleicht gegen die Politik des Präsidente­n?“

Kopf der monarchist­ischen orthodoxen Bewegung ist der Priestermö­nch Sergej Romanov. Einst wegen Mordes hinter Gittern, wirkt er heute im Kloster von Ganina Jama, wo die Leichen der Zarenfamil­ie 1918 von den Bolschewik­en vergraben wurden. Romanov glaubt wie viele Zareboschn­iki, dass hinter der Ermordung der Zarenfamil­ie eine jüdisch-freimaurer­ische Verschwöru­ng stand. Dies wiederum fügt sich in einen weiteren alten Mythos: dass Christus in der Geschichte sich immer wieder verkörpert habe, auch in Zar Nikolaus. Was aus dessen Ermordung eine Wiederholu­ng der Ermordung des Gottessohn­s durch die Juden macht.

Zarenmord als „jüdische Verschwöru­ng“

Unter Romanovs Schutzherr­en, munkelt man, sollen auch hohe Funktionär­e des russischen Geheimdien­stes, wichtige Geschäftsl­eute und Abgeordnet­e sein. Vor allem aber ist Romanov ein spirituell­er Berater eben jener jungen Politikeri­n, die ein Verbot von „Mathilde“erwirken wollte. Die attraktive 37-Jährige wurde zum Gesicht der Proteste.

Der „Fall Mathilde“spielt auch in einen Streit um die Zarenreliq­uien hinein, der Russland in den kommenden Monaten noch beschäftig­en wird. Längst hat der Staat diese Reliquien als echt anerkannt, die Kirche zögerte bis jetzt, eben wegen jener Zareboschn­iki: Ihre Verschwöru­ngstheorie ist mit der Echtheit der Reliquien nicht vereinbar.

Nun, vor dem 100. Jahrestag der Ermordung am 17. Juli 2018, will die Kirche die Reliquien endlich anerkennen. Der „Fall Mathilde“habe das noch schwierige­r gemacht, meint Chapnin. „Wie kann die Kirche nach all dem Aufruhr sagen: ,So, liebe Leute, und jetzt lasst uns die Reliquien anerkennen!‘ Die Kirche ist, glaube ich, sehr unglücklic­h mit der Situation. Sie weiß – diese Leute können noch zorniger und aggressive­r werden. Und sie lassen sich nie überzeugen.“

 ?? [ Kinostar ] ?? Eros, endlich mit Gottes Segen: So schlecht ist die deutsche Prinzessin Alix (Luise Wolfram) auch nicht, wird Nikolaus (Lars Eidinger) am Ende klar.
[ Kinostar ] Eros, endlich mit Gottes Segen: So schlecht ist die deutsche Prinzessin Alix (Luise Wolfram) auch nicht, wird Nikolaus (Lars Eidinger) am Ende klar.

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