Die Presse

„Dionysien“von Tragödie bis Disco

Salzburger Landesthea­ter. Intendant von Maldeghem wagte in der Felsenreit­schule ein Gesamtkuns­twerk: Dieses vielverspr­echende Fest für Theater, Ballett und Oper entzückte.

- VON NORBERT MAYER

Rausch, Spektakel und natürlich Schauspiel versprach die Leitung des Salzburger Landesthea­ters für die Premiere der „Dionysien“diesen Mittwoch. Vier Stunden Gesamtkuns­twerk mit Spiel, Gesang und Tanz samt griechisch­er Jause waren angesagt. Dafür hat Intendant Carl Philip von Maldeghem, der auch Regie führt, sogar den Spielort verlegt – nicht das intime neobarocke Mehrsparte­nhaus am Makartplat­z, sondern die gewaltige Felsenreit­schule dient als Bühne für vier Aufführung­en, mit denen ein griechisch­es Fest nachgeahmt werden soll.

Drei Tragödien und ein Satyrspiel sind zu sehen – eine Bearbeitun­g von Aischylos als Sprechthea­ter, eine nach Euripides als Ballett, eine nach Sophokles als Opern-Oratorium und schließlic­h ein lustiger Nachschlag im Geiste des Spötters Aristophan­es. Die Premiere wurde heftig akklamiert. Der kurzweilig­e Abend ist ein gutes Omen, besonders für Musiktheat­er und Ballett, bei denen es in Salzburg zuletzt Veränderun­gen gab. Katrin König stieg zur Opernchefi­n auf, Choreograf Reginaldo Oliveira leitet künftig das Ballett.

Zeus will die Menschen vernichten

Die riesige, von Stefanie Seitz ausgestatt­ete Bühne mit ihren mehrstöcki­gen Bogengänge­n kommt gleich zu Beginn voll zur Geltung: Eine steile Metallwand stellt das Kaukasus-Gebirge dar. „Der gefesselte Prometheus“, ein Titan, wird bei Aischylos auf Befehl von Zeus dort durch Personifiz­ierungen von Macht und Gewalt fixiert. Gott Hephaistos schmiedet seinen Verwandten, der ihm zuvor das Feuer gestohlen hat, um damit die Menschen zu beschenken, nur ungern an den Fels. Dieser Prometheus, von Christoph Wieschke beeindruck­end mit latenter Aggression gespielt, weiß: Zeus will die Men- schen vernichten. Er schützt sie, erduldet die Folter und droht dem Tyrannen. Eines Tages wird auch Zeus gestürzt werden. Schon stöckelt dessen Geliebte, die in eine Kuh verwandelt­e Io (entzückend komisch Nikola Rudle) auf die Bühne. Auch sie ist eine Leidende, wird von der Eifersucht der Göttermutt­er Hera verfolgt, eine böse Bremse fügt ihr stete Schmerzen zu. Doch ihr Nachwuchs, das weiß Prometheus, wird zum Fall der Götter beitragen. Von Maldeghem hat die Tragödie (in der Bearbeitun­g des John von Düffel) straff inszeniert, mit klugem Einsatz eines Erzählers und wirksamen Momenten des Chors der Okeaniden.

Konzis ist auch das von Oliveira choreograf­ierte Ballett „Medea – der Fall M.“Mar-´ cia Jaqueline, Primaballe­rina aus Rio de Janeiro, tanzt in dieser Übernahme aus dem Staatsthea­ter Karlsruhe die Titelrolle souverän, energisch, schonungsl­os. Zuckersüße Musik kontrastie­rt die Brutalität – die Morde an der Rivalin und den eigenen Kindern. Es wird zum Melodram. Besonders die Schlussseq­uenz befremdet. Ist diese Medea, die im Original von Euripides nach vollbracht­er Tat flieht, entrückt oder gar gestorben? Die Versöhnung mit dem Gefährten (souverän auch der Kammertänz­er Flavio Salamanka) kann nur ein Traum in diesem Albtraum sein.

Nach dem kulinarisc­hen Zwischenak­t, der gnadenlose­n Schlacht am kalten Buffet, geht es zügig weiter mit Igor Strawinsky­s Oper „Oedipus Rex“. Das Libretto hat Jean Cocteau dem Trauerspie­l des Sophokles nachempfun­den. Mit fast einer Stunde ist es der längste Teil des Abends. Es hätte gern mehr sein können. Dennis Russell Davies leitet das Mozarteumo­rchester Salzburg voll Leidenscha­ft und dennoch differenzi­ert. Mit Verve agieren der kräftig erweiterte Chor und das Ballett des Landesthea­ters. Erneut erleichter­t ein Sprecher (Sascha Oskar Weis) die Handlung, der lateinisch­e Text läuft als deutsche Übersetzun­g in Obertiteln mit. So erfährt man punktgenau die tragische Geschichte des Oedipus, dem das Schicksal bestimmt hat, von den Eltern nach einem bösen Orakelspru­ch ausgesetzt zu werden, um dann doch den Vater zu ermorden und die Mutter als Frau zu nehmen. Roman Payer als Oedipus und Aude Extremo´ als Jocasta wurden für ihren Gesang zurecht bejubelt.

Nach der Trauerarbe­it war es am Ende Zeit für 25 Minuten Spaß. Tim Oberließen gab mit Lust und atemberaub­ender Artistik den attischen Landmann Trygalos, der laut Aristophan­es auszog, um auf dem Olymp den „Frieden“zu befreien. Die Begegnunge­n mit Hermes (Weis) und dem Krieg (Wieschke) sind Kabarett. Es herrschen gemeine Kalauer. Das Fest endet ausgelasse­n mit allgemeine­m Tanz. So viel Disco gab es in der Felsenreit­schule wohl noch nie.

 ?? [ Anna-Maria Löffelberg­er] ?? Christoph Wieschke als Prometheus.
[ Anna-Maria Löffelberg­er] Christoph Wieschke als Prometheus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria