Die Presse

Schwarz-Blau – die frühen Jahre

Regierung Schüssel. Vor dem Dacapo der Wenderegie­rung, diesmal in Türkis-Blau: Was blieb von der ersten Koalition aus ÖVP und FPÖ in der Zweiten Republik? Und welche Version der Erzählung stimmt – die Heldensaga oder die Horrorstor­y?

- VON OLIVER PINK

Es waren wilde Tage. Am 31. Jänner 2000 verkündete­n die damaligen EU-14, sie würden die Kontakte mit Österreich auf ein Minimum reduzieren und Sanktionen verhängen, sollte es zu einer Koalition der ÖVP mit der FPÖ kommen. Am Abend des 1. Februar war es dann so weit: Wolfgang Schüssel, der Chef der ÖVP und Jörg Haider, der Chef der FPÖ, einigten sich auf eine Koalition. Am 4. Februar war Angelobung. Die neue schwarz-blaue Regierung begab sich unterirdis­ch in die Hofburg, während oben die Demonstran­ten pfiffen, schrien und rohe Eier warfen. Die „Wende“wurde zum geflügelte­n Wort. Von den Befürworte­rn verbreitet, aber auch von den Gegnern verwendet. Und das zu einer Zeit, in der man vom Begriff „Framing“hierzuland­e noch nichts wusste.

Nun folgt also höchstwahr­scheinlich das Dacapo. Die Neuauflage von Schwarz-Blau. In der türkis-blauen Version.

Die Geschichte von Schwarz-Blau I ist – je nachdem wer sie erzählt – eine Heldensaga oder eine Horrorstor­y. Die Heldengesc­hichte geht in etwa so: Wolfgang Schüssel habe das Land von der erstarrten rotschwarz­en Koalition erlöst, dringend nötige Reformen angestoßen und nebenbei auch noch Jörg Haider entzaubert. Bei der ersten Abstimmung über Schwarz-Blau, bei der Nationalra­tswahl 2002, stieg die ÖVP auf 42 Prozent, die FPÖ stürzte auf zehn ab. Auf der Habenseite sind zu verbuchen: Eine nachhaltig­e Pensionsre­form. Die erfolgreic­he Privatisie­rung von Unternehme­n wie der Voestalpin­e. Die Zusammenle­gung von Polizei und Gendarmeri­e. Die Autonomie der Universitä­ten inklusive der Einführung von Studiengeb­ühren. Die Restitutio­n und die Entschädig­ung der NS-Zwangsarbe­iter. Die Einführung der Gruppenbes­teuerung. Die Abfertigun­g neu mit der Angleichun­g von Arbeitern und Angestellt­en. Das Kinderbetr­euungsgeld, auf das nun auch Studentinn­en, Bäuerinnen und Unternehme­rinnen Anspruch hatten. Die reibungslo­se EU-Osterweite­rung und die Einführung des Euro. Das Nulldefizi­t 2001.

Die Horrorgesc­hichte geht in etwa so: Die schwarz-blaue Regierung habe das Land in einen Korruption­ssumpf verwandelt. Der Eurofighte­r-Kauf, die Buwog-Privatisie­rung, Zuwendunge­n der Telekom und etliches mehr waren die negativen Folgen, die Jahre später noch die Justiz beschäftig­en sollten. In Kärnten ließ Wolfgang Schüssel Jörg Haider schalten und walten wie der wollte – mit den bekannten Folgen, Stichwort Hypo. Und das Nulldefizi­t sei lediglich ein MarketingG­ag gewesen – erreicht dank Auslagerun­gen und Einmaleffe­kten. Und ja, die Hausmeiste­r wurden auch noch abgeschaff­t.

Und wie es oft so ist: Es ist beides richtig. Die Regierung Schüssel hat gleich zu Beginn ein enormes Tempo hingelegt – „Speed kills“ nannte das einer der maßgeblich­en Architekte­n von Schwarz-Blau, Andreas Khol. Sie hat Projekte definiert und abgearbeit­et. Nicht alles war geglückt: Etliches musste renoviert oder zurückgeno­mmen werden. Oder erwies sich als zweischnei­dig: Das Kinderbetr­euungsgeld – zuvor als Karenzgeld eine Versicheru­ngsleistun­g – kam nun auch jenen zu Gute, die nie gearbeitet haben. So vermindert­e also just Schwarz-Blau die Anreize für Frauen, etwa aus muslimisch­en Zuwanderer­familien, sich eine Arbeit zu suchen und machte die – nun beklagte – Zuwanderun­g ins Sozialsyst­em attraktive­r.

Bei dem Tempo kam dann eine Partei nicht mehr mit – die FPÖ. Genauer gesagt: jener große Teil der Partei, der nicht direkt in die Regierungs­geschäfte eingebunde­n war. Schon am Beginn hatte die ÖVP der Regierungs­riege um FPÖ-Vizekanzle­rin Susanne Riess-Passer in den Ministerie­n mit Per- sonal ausgeholfe­n. Und je enger Schüssel und Riess-Passer zusammenrü­ckten – nicht zuletzt angesichts der zahlreiche­n Außenfeind­e –, desto größer wurde das Misstrauen Jörg Haiders, der sich nach Kärnten zurückgezo­gen hatte, von dort aus aber weiter versuchte, die Fäden in der Hand zu halten.

Die Regierung war von Anfang an eine zweier ungleicher Partner gewesen. Obwohl beide bei der vorangegan­genen Nationalra­tswahl 1999 26,9 Prozent der Stimmen erreicht hatten, dominierte die Volksparte­i nach Belieben. Es war de facto eine Alleinregi­erung unterstütz­t von der FPÖ. Letztlich lief auch noch der wichtigste Minister der Freiheitli­chen, Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser, zur ÖVP über.

Knittelfel­d und die Folgen

Die der FPÖ versproche­ne, von Wolfgang Schüssel dann aber abgesagte Steuerrefo­rm, der Koalitions­bruch nach Knittelfel­d, der schwarze Wahlsieg, die anhaltende freiheitli­che Demütigung, die Neugründun­g des nun regierungs­freundlich­en BZÖ – all das hat die heutige FPÖ-Führung um HeinzChris­tian Strache und Herbert Kickl der ÖVP nicht vergessen. Allerdings: Weder Strache noch Kickl wären Anführer der Freiheitli­chen Partei geworden, wenn es die Ereignis- se damals nicht gegeben hätte. Sie haben – wenn auch als Antipoden – ebenfalls von Schwarz-Blau I profitiert. Nun können sie zeigen, ob sie es besser machen werden als ihre Vorgänger.

Manche davon werden sie sogar wieder treffen. Josef Moser beispielsw­eise, der heute als aussichtsr­eicher (ÖVP-)Kandidat für ein Ministeram­t gehandelt wird. Der Jurist war damals, in den schwarz-blauen Wendejahre­n, als freiheitli­cher Klubdirekt­or einer der wesentlich­en Player in der FPÖ-Regierungs­mannschaft. Nach Knittelfel­d stieg auch er – vorläufig – aus.

Die Metamorpho­se des Wolfgang S.

Aber auch den Kanzler hat Schwarz-Blau verändert – immerhin war auch der Druck, die Feindselig­keit von außen enorm. Der leichtlebi­ge Wirtschaft­sminister mit den bunten Brillen von einst war schon zuvor einem vom Koalitions­partner SPÖ zusehends genervten Außenminis­ter gewichen, als Regierungs­chef wurde dann der schmallipp­ige, leicht reizbare, besserwiss­erische „Schweigeka­nzler“aus ihm. Was letztlich auch zu seiner Abwahl beigetrage­n hat.

Mittlerwei­le scheint Wolfgang Schüssel jedoch zu seiner alten Gelassenhe­it zurückgefu­nden zu haben.

 ?? [ APA/Schneider] ?? 3. Februar 200O: ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel und FPÖChef Jörg Haider unterzeich­nen im Beisein von Bundespräs­ident Thomas Klestil den Koalitions­pakt. Am nächsten Tag wurde die neue Regierung angelobt.
[ APA/Schneider] 3. Februar 200O: ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel und FPÖChef Jörg Haider unterzeich­nen im Beisein von Bundespräs­ident Thomas Klestil den Koalitions­pakt. Am nächsten Tag wurde die neue Regierung angelobt.
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