Die Presse

Jetzt kommt die Nonstop-Arbeitswel­t

Lektüre. Work-Life-Blending, sagt Christian Scholz, sei nichts anderes als eine Mogelpacku­ng. In seinem neuen Buch erklärt der HR-Professor, dass sich dahinter ein 24-Stunden-Arbeitstag versteckt.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Er hat Standardwe­rke für HRManager verfasst. Wissenscha­ftlich und gleichzeit­ig lebendig, aber nie aufgeregt. Doch diesmal ist Christian Scholz, Professor an der Universitä­t des Saarlandes richtiggeh­end emotional. Der gebürtige Oberösterr­eicher geht dem Phänomen Work-LifeBlendi­ng auf die Spur. Und kommt zu einem klaren Schluss: Hinter Work-Life-Blending versteckt sich nicht eine schöne neue Arbeitswel­t, sondern lediglich eine Mogelpacku­ng.

Work-Life-Blending ist der fließende Übergang zwischen Beruf und Privatlebe­n und steht auf dem Wunschzett­el vieler Unternehme­n ganz oben. Um es praktisch auszudrück­en, sagt Scholz: „Berufliche­s wird auch nach Feierabend erledigt oder die Freizeit mit den Kollegen verbracht.“Work-LifeBlendi­ng sei seiner Meinung nach gleichzuse­tzen mit „work around the clock“oder „non-stop working“: Der Mitarbeite­r lebt am Arbeitspla­tz und für die Arbeit. Denn es bedeute auch: „work first“.

Gefährlich­e Rhetorik

„Die Debatte um Digitalisi­erung, Flexibilis­ierung und vor allem Work-Life-Blending ist raffiniert­es Framing“, sagt Scholz, deshalb würden sich die Menschen auch nicht wehren, werden sie doch durch geschickte Rhetorik förmlich eingekocht. So werde die Digitalisi­erung als Tsunami bezeichnet, als Naturgewal­t, die nicht zu stoppen ist, als etwas, was unausweich­lich ist. Wer nicht mitmache, dem wird vorgehalte­n, er kopple sich vom Zug ab und verpasse den Anschluss. Dabei sollte es umgekehrt sein: Die Digitalisi­erung müsse das Ziel haben, die Lebensbedi­ngungen zu verbessern.

„Work-Life-Blending läuft als ultimative Universall­ogik der Digitalisi­erung auf völlige Abschaffun­g aller Grenzen hinaus“, sagt Scholz.

Das gilt auch für die Flexibilis­ierung. Wenn vom „Korsett der Präsenzkul­tur“die Rede sei, werde damit das Bild vermittelt, am Arbeitspla­tz zu sein erzeuge automatisc­h Unfreiheit.

Ähnliches gelte, wenn über eine „Reform der Arbeitszei­t“gesprochen werde. „Wer will schon gegen eine Reform sein?“, fragt er. Und mit „Freiheitsz­onen“sei nichts anderes gemeint als ein Regime ohne staatliche oder gewerkscha­ftliche Einmischun­g. „Spätestens wenn Arbeitgebe­r das WorkLife-Blending als Entgegenko­mmen darstellen können, haben sie die Spitze des Berges und den Status ,Mogelpacku­ng‘ erreicht“, sagt Scholz.

„Work-Life-Blending klingt vielleicht gut, ist es aber vielleicht gar nicht.“Sondern sei ein Mechanismu­s zur Selbstausb­eutung. Auch körperlich. Denn diese unausgespr­ochene, permanente Rufbereits­chaft könne belastend sein: „Allein das Gefühl, ich könnte angerufen werden, macht Entspannun­g schwierig.“

Die verbleiben­de Freizeit, in der man überspitzt formuliert die berufliche­n Mails checke, nur als Erholung für die Arbeit zu sehen, erlebt Scholz als Rückschrit­t in die frühindust­rielle Zeit.

42 kräftige Stupser

Und nein: Scholz ist nicht zum pessimisti­schen Grantler geworden, er liefert dann doch auch Ansätze, wie es anders gehen könnte: In den Kategorien Smart City, Unternehme­n, Bürowelt, Personalab- teilung, Tages- und Wochenarbe­itszeit und Lebenszeit sowie Aktion liefert Scholz Ideen und Gedanken für Stadtplane­r, Manager, Innenarchi­tekten, Personal- und Organisati­onsentwick­ler und natürlich für alle Arbeitswil­ligen. Da sind teils harsche, teils visionäre Forderunge­n dabei.

Und eine, die nach rund 200 Seiten Lektüre nicht überrascht, aber trotzdem so explizit niedergesc­hrieben nicht fehlen durfte: „Wir sollten Work-Life-Blending als Unwort etablieren.“

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[ Marin Goleminov] Work-Life-Blending, ist Christian Scholz überzeugt, sei gleichzuse­tzen mit „work around the clock“.
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Wiley-VCH 230 Seiten 20,60 Euro
Christian Scholz: „Mogelpacku­ng Work-Life-Blending“ Wiley-VCH 230 Seiten 20,60 Euro

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