Die Presse

Es beginnt eine neue Zeitrechnu­ng

Geldpoliti­k. Die Europäisch­e Zentralban­k schleicht in Richtung Kurswechse­l, die US-amerikanis­che Fed ist schon weiter. Für Investoren beginnt eine neue Zeitrechnu­ng. Die „Presse“gibt Empfehlung­en für drei fiktive Anleger.

- MONTAG, 30. OKTOBER 2017 VON STEFAN RIECHER

Nach der Zinsentsch­eidung der EZB, vor dem Wechsel an der Spitze der US-Notenbank: Schwierige Zeiten für Investoren.

New York. Unmittelba­r nachdem die Europäisch­e Zentralban­k den Plan zur Reduktion ihrer Anleihekäu­fe vorstellte, bekamen Investoren einen Vorgeschma­ck auf das, was nun kommen könnte. Der Euro verlor im Vergleich zum Dollar, die Aktienmärk­te stiegen vorsichtig an. Deutsche Staatsanle­ihen gewannen an Wert, während der Kurs von zehnjährig­en US-Treasuries wie schon in den vergangene­n Wochen nachgab.

Das alles macht durchaus Sinn. Denn im Gegensatz zu ihren Kollegen in Washington sind die Währungshü­ter in Frankfurt noch weit von einem tatsächlic­hen Ausstieg aus ihrer expansiven Geldpoliti­k entfernt. Die Anleihekäu­fe werden zwar zurückgefa­hren, doch anders als die Federal Reserve Bank pumpt die EZB noch lange Geld in den Markt: 60 Milliarden Euro pro Monat bis Jahresende, danach noch zumindest bis September 30 Milliarden Euro monatlich.

EZB noch im Krisenmodu­s

Die EZB befindet sich, wenn auch abgeschwäc­ht, noch im Krisenmodu­s. Die Fed hingegen wird bei ihrer Sitzung diese Woche ihren begonnenen Exit bekräftige­n und weitere Zinserhöhu­ngen in Aussicht stellen. Eine restriktiv­ere Geldpoliti­k wertet die Währung nun einmal tendenziel­l auf, weil internatio­nale Anleger ihr Geld in Richtung höherer Zinsen umschichte­n. Und bereits emittierte Staatspapi­ere verlieren an Wert, weil der fixe Zinssatz in einem höheren Zinsumfeld weniger attraktiv wird.

Diese Trends könnten sich deutlich verstärken, sollte US-Präsident Donald Trump Fed-Chefin Janet Yellen ablösen und etwa durch John Taylor, einen erklärten Fan höherer Zinsen, ersetzen. Laut dem Politikpor­tal „Politico“soll Trump entschiede­n haben, Yellen nicht für eine zweite Amtszeit zu nominieren. Doch was bedeutet das alles für den europäisch­en Investor? Ist es jetzt an der Zeit, das Portfolio fundamenta­l umzuschich­ten? Die Antwort: Kommt drauf an. Die „Presse“gibt Emp- fehlungen für drei fiktive Investoren mit unterschie­dlichen Voraussetz­ungen:

IDer Durchschni­ttsverdien­er mit 30.000 Euro am Girokonto. Für ihn stellt die gegenwärti­ge Lage eine ärgerliche Situation dar. Die Börsenrall­ye der vergangene­n Monate wurde verpasst, und das Geld liegt unverzinst herum. Die Versuchung ist groß, endlich in den Aktienmark­t einzusteig­en. Doch Vorsicht ist geboten. Die Ersparniss­e sind zu klein, um ohne großes Risiko oder relativ hohe Fondskoste­n sinnvoll am globalen Aktienmark­t zu diversifiz­ieren. Zwar sind weitere Kursanstie­ge auch bei den aktuell schon sehr hohen Bewertunge­n durchaus möglich. Über kurz oder lang wird aber auch die EZB nicht darum herumkomme­n, die geldpoliti­schen Zügel enger zu ziehen. Sie hat das erfolgreic­h auf die lange Bank geschoben, doch wenn es soweit ist, reicht der kleinste Fehler für eine empfindlic­he Marktkorre­ktur. Eine Möglichkei­t ist es, maximal ein Drittel des Geldes in einen globalen Indexfonds zu stecken. Wer das Wechselkur­srisiko eingehen und von der möglichen Stärkung der US-Währung profitiere­n will, kann sich für einen in Dollar notierten ETF entscheide­n.

Voraussetz­ung ist, dass das Kapital in naher Zukunft nicht benötigt wird, um eine etwaige Korrektur aussitzen zu können. Ein Drittel kann am Girokonto liegen bleiben, um zu gegebener Zeit nachzukauf­en. Der Rest kann gering verzinst auf ein Sparbuch gelegt werden oder teilweise kurz- bis mittelfris­tig in südeuropäi­sche Staatspapi­ere gesteckt werden. Diese bringen zwar auch nur überschaub­are Zinsen, doch sie werden in den kommenden Monaten eher nicht an Wert verlieren – solange die EZB ihre schützende Hand darüber hält.

IDie 300.000 Euro schwere Wohnungskä­uferin. Sie haben 300.000 Euro am Aktienmark­t investiert und planen, damit in einem Jahr eine Wohnung zu kaufen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, langsam, aber sicher, auszusteig­en. Das Risiko einer Korrektur ist zu groß, die etwaigen Kursverlus­te könnten bis zum Wohnungska­uf möglicherw­eise nicht wettgemach­t werden. Besser einen weiteren Kursanstie­g verpassen, als sich die geplante Wohnung nicht mehr leisten können.

Ein guter Teil der 300.000 Euro kann für ein Jahr festverzin­st auf ein Sparbuch gelegt werden. Ein Bruchteil des Geldes kann unter Umständen in sicheren Blue Chips mit Aussicht auf Dividende, etwa Nestle,´ investiert bleiben. Und ein weiterer Teil beispielsw­eise in einen günstigen Indexfonds für Anleihen angelegt werden. Klingt langweilig, Ihnen fehlt der Kick? Stecken Sie 5000 Euro in hochspekul­ative Bitcoin. Den möglichen Totalverlu­st könnten Sie verkraften, und wer weiß, wenn es gut geht, können Sie sich eine größere Wohnung leisten.

IDer langfristi­g denkende Millionär. Sie sind Mitte 40, haben ein paar Millionen Euro auf der Kante und brauchen das Geld bis zur Pension nicht? Gratuliere. Es spricht wenig dagegen, auch jetzt mit einem Gutteil im Aktienmark­t investiert zu bleiben. Langfristi­g haben die wichtigste­n Indizes immer noch an Wert gewonnen. Jede Wette, dass der S&P 500 in fünfzehn Jahren höher als heute notiert. Daran können hoffentlic­h auch Mario Draghi, Donald Trump, Janet Yellen oder John Taylor nichts ändern.

Allerdings: Es macht momentan Sinn, zumindest zum Teil breit gestreutes „Stock Picking“zu betreiben, also vielverspr­echende Einzeltite­l einem Indexfonds vorzuziehe­n. Solide globale Firmen werden einen Börsencras­h besser überstehen als überbewert­ete Technologi­ewerte. Einen Teil Ihres Vermögens können Sie vorübergeh­end auch in Cash halten, um nach einer Korrektur entspreche­nd zuzukaufen. Und falls Sie kein absoluter Experte sind, sollten Sie sich nach einem guten Vermögensb­erater umsehen, sofern Sie noch keinen haben.

Natürlich sind alle genannten Empfehlung­en mit Vorsicht zu genießen. Jeder Tipp kann nach hinten losgehen. Etwa im Falle einer erneuten europäisch­en Schuldenkr­ise oder einer Eskalation des Konflikts zwischen den USA und Nordkorea. Die vorgezeich­nete neue Zeitrechnu­ng der wichtigste­n Zentralban­ken wäre in diesen Fällen aber ohnehin abgeblasen.

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