Es beginnt eine neue Zeitrechnung
Geldpolitik. Die Europäische Zentralbank schleicht in Richtung Kurswechsel, die US-amerikanische Fed ist schon weiter. Für Investoren beginnt eine neue Zeitrechnung. Die „Presse“gibt Empfehlungen für drei fiktive Anleger.
Nach der Zinsentscheidung der EZB, vor dem Wechsel an der Spitze der US-Notenbank: Schwierige Zeiten für Investoren.
New York. Unmittelbar nachdem die Europäische Zentralbank den Plan zur Reduktion ihrer Anleihekäufe vorstellte, bekamen Investoren einen Vorgeschmack auf das, was nun kommen könnte. Der Euro verlor im Vergleich zum Dollar, die Aktienmärkte stiegen vorsichtig an. Deutsche Staatsanleihen gewannen an Wert, während der Kurs von zehnjährigen US-Treasuries wie schon in den vergangenen Wochen nachgab.
Das alles macht durchaus Sinn. Denn im Gegensatz zu ihren Kollegen in Washington sind die Währungshüter in Frankfurt noch weit von einem tatsächlichen Ausstieg aus ihrer expansiven Geldpolitik entfernt. Die Anleihekäufe werden zwar zurückgefahren, doch anders als die Federal Reserve Bank pumpt die EZB noch lange Geld in den Markt: 60 Milliarden Euro pro Monat bis Jahresende, danach noch zumindest bis September 30 Milliarden Euro monatlich.
EZB noch im Krisenmodus
Die EZB befindet sich, wenn auch abgeschwächt, noch im Krisenmodus. Die Fed hingegen wird bei ihrer Sitzung diese Woche ihren begonnenen Exit bekräftigen und weitere Zinserhöhungen in Aussicht stellen. Eine restriktivere Geldpolitik wertet die Währung nun einmal tendenziell auf, weil internationale Anleger ihr Geld in Richtung höherer Zinsen umschichten. Und bereits emittierte Staatspapiere verlieren an Wert, weil der fixe Zinssatz in einem höheren Zinsumfeld weniger attraktiv wird.
Diese Trends könnten sich deutlich verstärken, sollte US-Präsident Donald Trump Fed-Chefin Janet Yellen ablösen und etwa durch John Taylor, einen erklärten Fan höherer Zinsen, ersetzen. Laut dem Politikportal „Politico“soll Trump entschieden haben, Yellen nicht für eine zweite Amtszeit zu nominieren. Doch was bedeutet das alles für den europäischen Investor? Ist es jetzt an der Zeit, das Portfolio fundamental umzuschichten? Die Antwort: Kommt drauf an. Die „Presse“gibt Emp- fehlungen für drei fiktive Investoren mit unterschiedlichen Voraussetzungen:
IDer Durchschnittsverdiener mit 30.000 Euro am Girokonto. Für ihn stellt die gegenwärtige Lage eine ärgerliche Situation dar. Die Börsenrallye der vergangenen Monate wurde verpasst, und das Geld liegt unverzinst herum. Die Versuchung ist groß, endlich in den Aktienmarkt einzusteigen. Doch Vorsicht ist geboten. Die Ersparnisse sind zu klein, um ohne großes Risiko oder relativ hohe Fondskosten sinnvoll am globalen Aktienmarkt zu diversifizieren. Zwar sind weitere Kursanstiege auch bei den aktuell schon sehr hohen Bewertungen durchaus möglich. Über kurz oder lang wird aber auch die EZB nicht darum herumkommen, die geldpolitischen Zügel enger zu ziehen. Sie hat das erfolgreich auf die lange Bank geschoben, doch wenn es soweit ist, reicht der kleinste Fehler für eine empfindliche Marktkorrektur. Eine Möglichkeit ist es, maximal ein Drittel des Geldes in einen globalen Indexfonds zu stecken. Wer das Wechselkursrisiko eingehen und von der möglichen Stärkung der US-Währung profitieren will, kann sich für einen in Dollar notierten ETF entscheiden.
Voraussetzung ist, dass das Kapital in naher Zukunft nicht benötigt wird, um eine etwaige Korrektur aussitzen zu können. Ein Drittel kann am Girokonto liegen bleiben, um zu gegebener Zeit nachzukaufen. Der Rest kann gering verzinst auf ein Sparbuch gelegt werden oder teilweise kurz- bis mittelfristig in südeuropäische Staatspapiere gesteckt werden. Diese bringen zwar auch nur überschaubare Zinsen, doch sie werden in den kommenden Monaten eher nicht an Wert verlieren – solange die EZB ihre schützende Hand darüber hält.
IDie 300.000 Euro schwere Wohnungskäuferin. Sie haben 300.000 Euro am Aktienmarkt investiert und planen, damit in einem Jahr eine Wohnung zu kaufen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, langsam, aber sicher, auszusteigen. Das Risiko einer Korrektur ist zu groß, die etwaigen Kursverluste könnten bis zum Wohnungskauf möglicherweise nicht wettgemacht werden. Besser einen weiteren Kursanstieg verpassen, als sich die geplante Wohnung nicht mehr leisten können.
Ein guter Teil der 300.000 Euro kann für ein Jahr festverzinst auf ein Sparbuch gelegt werden. Ein Bruchteil des Geldes kann unter Umständen in sicheren Blue Chips mit Aussicht auf Dividende, etwa Nestle,´ investiert bleiben. Und ein weiterer Teil beispielsweise in einen günstigen Indexfonds für Anleihen angelegt werden. Klingt langweilig, Ihnen fehlt der Kick? Stecken Sie 5000 Euro in hochspekulative Bitcoin. Den möglichen Totalverlust könnten Sie verkraften, und wer weiß, wenn es gut geht, können Sie sich eine größere Wohnung leisten.
IDer langfristig denkende Millionär. Sie sind Mitte 40, haben ein paar Millionen Euro auf der Kante und brauchen das Geld bis zur Pension nicht? Gratuliere. Es spricht wenig dagegen, auch jetzt mit einem Gutteil im Aktienmarkt investiert zu bleiben. Langfristig haben die wichtigsten Indizes immer noch an Wert gewonnen. Jede Wette, dass der S&P 500 in fünfzehn Jahren höher als heute notiert. Daran können hoffentlich auch Mario Draghi, Donald Trump, Janet Yellen oder John Taylor nichts ändern.
Allerdings: Es macht momentan Sinn, zumindest zum Teil breit gestreutes „Stock Picking“zu betreiben, also vielversprechende Einzeltitel einem Indexfonds vorzuziehen. Solide globale Firmen werden einen Börsencrash besser überstehen als überbewertete Technologiewerte. Einen Teil Ihres Vermögens können Sie vorübergehend auch in Cash halten, um nach einer Korrektur entsprechend zuzukaufen. Und falls Sie kein absoluter Experte sind, sollten Sie sich nach einem guten Vermögensberater umsehen, sofern Sie noch keinen haben.
Natürlich sind alle genannten Empfehlungen mit Vorsicht zu genießen. Jeder Tipp kann nach hinten losgehen. Etwa im Falle einer erneuten europäischen Schuldenkrise oder einer Eskalation des Konflikts zwischen den USA und Nordkorea. Die vorgezeichnete neue Zeitrechnung der wichtigsten Zentralbanken wäre in diesen Fällen aber ohnehin abgeblasen.