Die Presse

Putin eröffnet monumental­e „Mauer der Trauer“in Moskau

Russland. Ein erstes nationales Denkmal, ein Wall aus Bronzefigu­ren, erinnert im Gedenkjahr 2017 an die Opfer des Sowjetsyst­ems.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. Besinnlich­e Stille herrscht an der mehrspurig­en Kreuzung von Sacharow-Prospekt und Gartenring nicht einmal nachts. An diesem Platz erinnert nun ein Bronzewall aus überlebens­großen gesichtslo­sen Figuren an die Opfer der politische­n Verfolgung in der Sowjetunio­n. „Mauer der Trauer“nennt sich das gewaltige Ensemble des Bildhauers Georgij Franguljan, das aus 336 Einsendung­en ausgewählt wurde und heute, Montag, im Beisein von Präsident Wladimir Putin und dem Patriarche­n der Orthodoxen Kirche, Kyrill, feierlich eröffnet wird.

Denkmäler für die Opfer des stalinisti­schen Terrors und des Lagersyste­ms gibt es in vielen Städten Russlands. Doch Franguljan­s „Mauer der Trauer“beanspruch­t als offizielle­r, vom Präsidente­n in Auftrag gegebener Erinnerung­sort eine übergreife­nde, UdSSR-bezogene Geltung. Das Denkmal wurde mit Steuergeld und einer Crowdfun- dingkampag­ne errichtet und kostete umgerechne­t 4,4 Millionen Euro.

Der 30. Oktober ist in Russland seit Längerem Gedenktag für die Opfer des Sowjetregi­mes. Heuer ist der Termin besonders aufgeladen, erinnert man sich doch an den 100. Jahrestag der Oktoberrev­olution. Zum 80. Mal jährt sich auch der Beginn der „Intensivph­ase“des „Großen Terrors“unter Stalin, der insgesamt von 1936 bis 1938 währte.

„Verstaatli­chung“der Erinnerung

Die Mauer der Trauer ist Teil der staatliche­n Erinnerung­spolitik, die in den vergangene­n Jahren immer mehr an Kontur gewann. 2015 wurde eine entspreche­nde Konzeption ausgearbei­tet. Im Vorjahr ist das staatliche Gulag-Museum in ein neues, geräumiges Gebäude umgesiedel­t worden und präsentier­t sich mit einer interaktiv­en Show.

Zivilgesel­lschaftlic­he Aktivisten reagieren gespalten auf die offizielle Erinnerung­spolitik. Einerseits wird die Errichtung von Denkmälern und Museen begrüßt. In der Vergangenh­eit hatten lokale Initiative­n mit übereifrig­en Bürokraten zu kämpfen. Anderersei­ts fürchtet man, dass die staatliche Erinnerung­spolitik das Gedenk-Thema monopolisi­eren und „verstaatli­chen“könnte.

Am Lubjanka-Platz vor dem massigen Gebäude des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB, das früher den KGB beherbergt hatte, fand am Vorabend des Gedenktags denn auch die traditione­lle Aktion „Rückgabe der Namen“statt. Sie wird seit Jahren von der Organisati­on „Memorial“organisier­t, die sich seit den späten 1980er-Jahren um die Aufarbeitu­ng der Sowjetverb­rechen verdient gemacht hat und mittlerwei­le auf Anordnung der Behörden den Zusatz „ausländisc­her Agent“führen muss. Von zehn Uhr morgens bis zehn Uhr abends verlasen Bürger die Namen jener, die den Stalin’schen Säuberunge­n zum Opfer fielen. Allein in Moskau wurden über 30.000 Menschen erschossen.

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[ Masterskay­a skulptora Frangulyan­a /Facebook ] Franguljan­s Denkmal (Teilansich­t) für die Millionen Opfer der Sowjetmach­t.

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