Die Presse

Londoner Börse hat Brexit verdaut

Vereinigte­s Königreich. Der Leitindex FTSE 100 notiert nahe seinem Allzeithoc­h. Geholfen hat ihm das schwache Pfund. Auf Eurobasis liegt der Index unter seinem Hoch aus dem Jahr 2000.

- VON BEATE LAMMER

Wien. Im Endeffekt war das BrexitVotu­m am 23. Juni 2016, als sich die Briten für den Austritt ihres Landes aus der Europäisch­en Union entschiede­n, doch nicht so schlimm für die Londoner Börse. Nach einem kurzen Schreck hob der Leitindex der Londoner Börse, der FTSE 100, zu einem neuen Höhenflug an. Und diesmal gelang ihm, woran er im Jahr 2007 gescheiter­t war: Er brach den Rekord aus dem Jahr 2000 und erklomm ein neues Allzeithoc­h.

Das verdankt er zum Teil auch der Schwäche der britischen Währung Pfund. Auf Eurobasis sieht die Sache nämlich nicht ganz so erfreulich aus; da liegt der FTSE 100 noch um 14 Prozent unter dem Stand von 2007 und um 24 Prozent unter jenem von 2000.

Da die Buchstaben­folge „FTSE“nicht ganz leicht auszusprec­hen ist, wird der Index oft „Footsie“(sprich: „Futsie“) genannt. Die Abkürzung steht für „Financial Times Stock Exchange“, ein Joint Venture der Londoner Börse mit der Financial Times, das den Index ermittelt. Die Zahl 100 wiederum bezieht sich auf die 100 Unternehme­n, die im Index erfasst sind: Es handelt sich um die größten und umsatzstär­ksten Firmen an der Londoner Börse oder um rund 80 Prozent der dortigen Marktkapit­alisierung.

Die Gewichtung im Index erfolgt nach dem Börsenwert. Die größten Positionen sind die Bank HSBC, das Tabakunter­nehmen British American Tobacco, die Ölkonzerne Royal Dutch Shell und BP, die Pharmafirm­en Glaxo Smith Kline und Astra Zeneca, der Getränkehe­rsteller Diageo (mit den Marken Smirnoff, Guinness, Kilkenny), der Mobilfunke­r Vodafone und der Lebensmitt­elkonzern Unilever. Alle diese Unternehme­n sind weltweit tätige Konzerne; von der britischen Wirtschaft ist der FTSE 100 nur in kleinem Ausmaß abhängig.

FTSE 250 nahe am Allzeithoc­h

Als treffender­es Barometer für die britische Konjunktur gilt der FTSE 250, der die nächstgröß­ten Unternehme­n an der Londoner Börse nach den 100 Großen umfasst. Auf ihn entfallen nur etwa 17 Prozent der Marktkapit­alisierung. Auch dieser Index der Kleinen notiert nahe seinem Allzeithoc­h, auf Eurobasis hat er seinen Rekordstan­d aus dem Jahr 2015 allerdings noch nicht wieder erreicht.

Der FTSE 100 und der FTSE 250 sind, wie auch der Wiener ATX, Kursindize­s. Sie spiegeln lediglich die Kursentwic­klung der enthaltene­n Werte wieder. Dividenden­ausschüttu­ngen werden nicht berücksich­tigt. Anle- ger, die seit vielen Jahren britische Aktien halten, haben also in Summe meist höhere Erträge (aus Kursgewinn­en und Dividenden) eingefahre­n, als der Index nahelegt.

Den FTSE 100 gibt es seit 1984; damals wurde er mit 1000 Punkten festgesetz­t, zuletzt stand er bei fast 7500 Zählern. Der Index korreliert stark mit den Weltbörsen: Den schlimmste­n Tag seiner Geschichte erlebte er am 20. Oktober 1987 – einen Tag nach dem Schwarzen Montag in New York – mit einem Minus von mehr als zwölf Prozent. Den tiefsten längerfris­tigen Einbruch gab es in den Jahren 2000 bis 2003, als sich der FTSE 100 schrittwei­se halbierte.

Finanzkris­e setzte Index zu

Nachdem er sich bis 2007 schon wieder fast erholt hatte, brach er infolge der Finanzkris­e noch einmal um 40 Prozent ein. Seitdem geht es mehr oder weniger kontinuier­lich nach oben.

Der FTSE 100 wird regelmäßig aktualisie­rt. Sollte ein Unternehme­n an der Londoner Börse im Ranking nach Marktkapit­alisierung einen Platz höher als 90 erreicht haben und noch nicht im Index erfasst sein, wird es aufgenomme­n. Dafür fliegen bereits erfasste Werte, die auf einen Platz unter 110 abgerutsch­t sind, aus dem Index.

Wer den FTSE 100 oder den FTSE 250 auf seinem Depot eins zu eins nachbilden will, kann das über einen Indexfonds tun. Dabei sollte er beachten, dass beide Indizes sehr bankenlast­ig sind: Finanzwert­e machen 23 Prozent des FTSE 100 und gar 35 Prozent des FTSE 250 aus. Im FTSE 100 sind auch Rohstoffwe­rte stark gewichtet: Allein auf Ölfirmen entfallen 15 Prozent der Gewichtung, dazu kommen weitere acht Prozent an anderen Rohstoffti­teln.

Defensive Sektoren wie Konsum (18 Prozent) und Gesundheit (zehn Prozent) sind ebenfalls stark gewichtet, der Anteil der Industrie fällt mit acht Prozent nur auf den ersten Blick relativ gering aus (da die Rohstoffwe­rte nicht dazugezähl­t werden). Im FTSE 250 entfallen 27 Prozent der Gewichtung auf Industriet­itel.

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