„Bei Büchern zeigt sich bei mir die Gier“
Interview. Gerhard Weißgrab ist Präsident der Buddhistischen Gesellschaft. Er erklärt, warum das Geldwesen mehr auf Glauben basiert als der Buddhismus, die Finanzwirtschaft an Gier und Verblendung leidet und viele Buddhisten Fleisch essen.
Die Presse: Bevor Sie Präsident der Österreichischen Buddhistischen Gesellschaft wurden, waren Sie Banker. . . Gerhard Weißgrab: Ich war 45 Jahre im Finanzwesen tätig. Fünf Jahre in der Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsbranche, 20 Jahre in einer kleinen Privatbank, dem Bankhaus Rössler, das bei der Russlandkrise pleitegegangen ist. Die letzten 20 Jahre war ich im Rechnungswesen der Erste Bank, und seit 2013 bin ich in Pension. Hatte das einen Einfluss auf Ihre spirituelle Entwicklung? Im Buddhismus sind die Dinge neutral, es geht darum, was ich damit mache. Das Finanzwesen ist ja nicht a priori der böse Krisenbringer. Mit Geld kann ich ein Tierheim bauen oder Waffen kaufen. Genauso ist es mit der Finanzwirtschaft. Die Entwicklung in den letzten 40 Jahren war aber nicht sehr heilsam.
Haben Sie das auch selbst bemerkt in Ihrem Berufsleben? Ja, sehr. Als ich in den siebziger Jahren angefangen habe, waren die Dinge noch erdiger. Da war Geld noch nicht so sehr Ware. Heute ist Geld Ware, Wette und Glaubenssystem: Bei Kurssteigerungen geht es rein um den Glauben, dass das im nächsten Jahr mehr bringt.
Ist die Finanzwirtschaft auch so etwas wie eine Religion? Ja, das Geldwesen im mitteleuropäischen Verständnis ist mehr Religion als der Buddhismus, der ja kein Glaube, sondern Erkenntnisreligion ist. Im Buddhismus geht es um das Erkennen. Das täte auch der Geldwirtschaft gut.
Wie sind Sie selbst zum Buddhismus gekommen? Mit der Sexualmoral der katholischen Kirche bin ich mit 17 nicht mehr zurande gekommen. Mit 27 bin ich auf einer Reise in Sri Lanka dem Buddhismus begegnet. Der hat mich sofort gefangen genommen, aber ich habe weitere 15 Jahre gebraucht, um in die neue Religion hineinzugehen. Man wechselt nicht vom Christentum zum Buddhismus in drei Wochen.
Sie waren auch vorher religiös? Ich bin im katholischen Weinviertel geboren und war ein aktives Mitglied, vom Ministrant bis zum Vorbeter. Aber nach vielen Jahren des Auseinandersetzens mit Religionen und interreligiösem Dialog weiß ich, dass das keine Spiritualität für mich war, sondern einfach Tradition und Brauchtum, wenn auch ein schönes Brauchtum.
Ist Bankersein mit Katholizismus leichter vereinbar als mit Buddhismus? Wenn man es klischeehaft betrachtet, schon. Wie auch die Jagd oder die Landwirtschaft mit Katholizismus besser vereinbar sind, weil das Tier im Christentum nicht diesen Stellenwert hat. Aber es gibt auch da sehr verschiedene Strömungen.
Geld, Mammon, ist im Christentum oft negativ konnotiert. Ist das im Buddhismus anders? Es gibt im Buddhismus keine spezifische Ethik, sondern eine universelle Ethik und Instrumente, die für alles anwendbar sind. Es geht immer um die drei Gifte: Gier, Hass und Verblendung.
An welchen Giften leidet die Finanzwirtschaft? Jedenfalls an Gier und Verblendung. Die Gier ist aufgelegt. Der Spruch „Geld macht nicht glücklich“ist fürchterlich banal, für die Besitzenden aber absolut gültig, weil das neue Auto sie nur 14 Tage lang befriedigt. Und für die NichtBesitzenden ist der Spruch zynisch. Im Buddhismus geht es darum, den Weg der Mitte zwischen den Extremen zu suchen.
Und inwiefern leidet die Finanzwirtschaft an Verblendung? Da gibt es diese falsche Sicht, diese Erwartungshaltung etwa an die Börsenkurse, dass sie immer weiter steigen. Das ist keine realistische Sicht. Eine wesentliche Frage ist: Handle ich aus einem Heilsamen oder einem Unheilsamen?
Kann man gleichzeitig Investmentbanker und Buddhist sein? Man kann nicht Fleischhauer und Buddhist sein. Investmentbanker schon, denn da kann man auch Heilsames tun. Aber man wird nicht lange Investmentbanker sein in diesem Umfeld. Es gibt ja auch Beispiele von ausgestiegenen Investmentbankern. Denen würde ich, ohne das Wort gebrauchen zu wollen, buddhistisches Denken unterstellen. Die haben angefangen, die Verblendung aufzulösen.
Im derzeitigen Umfeld muss man verblendet sein, um als Investmentbanker durchzuhalten? Ich würde sagen, wir sind alle verblendet. Kaum jemand ist erleuchtet. Wenn ich nie reflektiere, dann bleibe ich in diesem Strudel so drinnen, dass es mich bis zur Pension befriedigt. Ich muss überhaupt nie draufkommen, dass etwas nicht heilsam läuft. Aber das sind komplexe Prozesse ohne schnelle Antworten. Wie beim Umgang mit dem Tier. Die Masttierhaltung ist eine unerträgliche Entwicklung. Aber den Menschen, die davon leben, müssten auch Alternativen geboten werden. Man kann nicht sagen, was sie tun, ist nur schlecht.
Muss man als Buddhist Vegetarier sein? Wenn ich beschließe, den Weg des Buddha zu gehen, bin ich noch kein besserer Mensch. Da beginnt erst die harte Arbeit der Veränderung. Eine logische Konsequenz wäre es, kein Fleisch zu essen. Doch wenn ich auf internationalen Konferenzen bin, wählen gefühlte
(*1952) ist seit 2006 Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft. Im Vorjahr wurde er von der „World Alliance of Buddhist Leaders2mit dem „World Buddhist Outstanding Leader Award 20162 ausgezeichnet. Bis zu seiner Pensionierung 2013 war Weißgra\ in der Finanz\ranche tätig. 60 Prozent der Teilnehmer das nicht-vegetarische Menü.
Sind Sie selbst Vegetarier? Ich bin Teilzeitveganer und erst seit 2010 rein vegetarisch. Ich habe lang mit schlechtem Gewissen Fleisch gegessen, weil die Gier nach dem Fleisch größer war als das schlechte Gewissen. Buddhismus ist keine Gebotsethik, sondern eine Einsichtsethik. Da komme ich auf die Finanzwelt zurück: Da werden Kohorten an Kanzleien beschäftigt, um Gesetzeslücken zu finden – eine klare Gebotsethik. Dass Banken krachen, ist ein Resultat davon, dass die Strukturen so undurchsichtig geworden sind. Hätten wir eine Gesetzgebung, die auf Vernunft und Einsicht setzt, wären diese Szenarien undenkbar.
Gibt es irgendeinen Luxus, auf den Sie nicht verzichten wollen? Rotwein und Bücher (lacht). Bei den Büchern zeigt sich auch bei mir die Gier. Auch mit dem Wissen, dass ich viele ungelesene Bücher zu Hause habe, kann ich oft nicht anders, als trotzdem ein neues zu kaufen. Das ist eine Art von Gier. Ich würde meinen, sie ist relativ harmlos, weil sie andere Wesen kaum schädigt, aber es ist Gier.
Sparen Sie eigentlich Geld? Reserven zurücklegen, ja. Das ist auch eine Frage der Ausgewogenheit. Hilfreich ist hinzuschauen, warum ich so bin. Warum bin ich extrem aufs Horten aus oder extrem großzügig? Das hat immer mit mir zu tun. Aus buddhistischer Perspektive passiert mir nichts, was nicht in irgendeiner Form auf mich selbst zurückzuführen ist.
Bedeutet das nicht: Wenn einer arm ist, ist er selbst schuld? Dieser Schluss ist völlig unzulässig. Die Situation, in der ich jetzt bin, ist aus einer Kette unzähliger Situationen aus der Vergangenheit entstanden. In diesem Rahmen kann ich jetzt Entscheidungen treffen, die in der Zukunft wieder Bedingungen nach sich ziehen, heilsame, unheilsame oder neutrale. Aber Bewertung und Beurteilung sind keine buddhistischen Disziplinen. Der authentische Buddhist geht auch nicht in eine Session, um ein Vorleben zu checken.
Ich kann also nicht sagen: Wenn andere arm sind, hat das nichts mit mir zu tun? Nein, weil Weisheit und Mitgefühl wesentliche Punkte des Buddhismus sind. Ich bin als Teil des Ganzen von den anderen nicht getrennt. Es gibt eine schöne Metapher, „das Netz des Indra“– ein Netz, das voll mit Diamanten ist. Sobald in einem einzigen ein Kratzer passiert, spiegelt sich das in allen anderen wider.