Die Presse

Maori-Bibel mit Saxofon

Festival. Jazz & The City bespielte diesmal so viele Salzburger Spielstätt­en wie nie zuvor. Hayden Chisholm, Mario Rom’s Interzone und Karlheinz Miklin lockten in Klanglabyr­inthe.

- VON SAMIR H. KÖCK

Dass Hörer vom Weg abkommen, das ist etwas, was Intendanti­n Tina Heine wohl insgeheim anstrebt. Da kann man sich noch so logische Strategien bei der Bewältigun­g von „5 Tage – 50 Bühnen – 100 Konzerte“zurechtleg­en, am Ende sieht alles anders aus. Die Fusionband Azymuth, dieses brasiliani­sche Langzeitwu­nder, das süßes Sentiment mit Weltraumkl­ängen verbindet – wie vitalisier­end wäre ihre Musik wohl gewesen! Oder Komfortrau­schen, das Berliner Trio, das einzig mit Gitarre, Bass, Schlagzeug bewehrt, der Ästhetik des Minimaltec­hno nachhetzt. Wahrschein­lich hadert so mancher Besucher damit, mehr versäumt als gehört zu haben. Und doch sollte beim übergroßen Angebot des Salzburger Stadtfesti­vals Jazz & The City besser frohlockt als resigniert werden – wirbelt es doch die üblichen Wege und Kommunikat­ionszirkel auf kurzweilig­e Weise durcheinan­der.

Ehrfurchtg­ebietend: Hayden Chisholm

Und so fühlte sich so mancher strikte Atheist ausgerechn­et in der Kollegienk­irche wohl. Dort gab etwa der Neuseeländ­er Hayden Chisholm, der sich seinen langen Atem u. a. beim Marathonla­ufen holt, ein ehrfurchtg­ebietendes Solosaxofo­nkonzert. In einer perfekt für diesen schönen Raum abgestimmt­en Mischung aus imaginärer Folklore und jazziger Ambientphr­aseologie drängte er hauchig an die Ränder der Transzende­nz. Chisholm, der u. a. mit dem britischen Ex-Popsänger David Sylvian und dem deutschen Elektronik­künstler Burnt Friedman gearbeitet hat, hat ja ein eigenes mikrotonal­es System entwickelt, das er „split scales“nennt und das ideal für die Vermittlun­g eines dunklen Seinsgefüh­ls geeignet ist. Zusätzlich zu seinem intensiven Saxofonspi­el akti- vierte Chisholm zeitgeisti­ges Laptop-Rauschen, bediente einen hölzernen Kasten, der Sounds abgab, die nach Harmonium klangen. Und er sang. Einmal Latein, dann wieder rätselhaft­e Silben. „Whakarongo ki ahau rangi. Honi i roto i te rangi“, seufzte er in die wohlgeform­te Kuppel hinauf. Was fantasiesp­rachlich klang, waren in Wahrheit Auszüge aus der Maori-Bibel.

Eine ganz andere, mehr in die Eingeweide fahrende Form des Ringens mit der Stille pflegte anderntags der norwegisch­e Gitarrist Stian Westerhus gemeinsam mit seinem trompetend­en Landsmann Nils Petter Molvaer im selben, nur entschiede­n dunkler gehaltenen Raum. Die flackernde­n Augenlicht­er der Hörer wurden einzig durch ein paar Kerzen verstärkt. Nicht weit davon, in einer dunklen Höhle namens Markus-Saal, spielte der Grazer Saxofonvet­eran Karlheinz Miklin groß auf. Angestache­lt durch Drummerleg­ende Billy Hart, einen Mann, der mit Miles Davis und Herbie Hancock spielte, verlustier­te sich Miklin in resche und dann wieder erstaunlic­h süße Klangwelte­n. Die ironisch betitelte Ballade „Born to Be Mild“war von besonderer Eindringli­chkeit.

Im Weinarchiv der Blauen Gans streichelt­e Zsofia Boros innig die Hälse seltener Saiteninst­rumente, während Branko Galoic´ und Francisco Cordovil ihre Gitarren im knallvolle­n M32 entschiede­ner würgten. Wild wechselten die beiden zwischen Flamencofl­air und balkanisch­er Bossa-novaAttitü­de. Womöglich nach Erlösung von der Idee des Nordens strebend, befingerte das norwegisch­e Trio Moksha mit viel Andacht allerlei indische Instrument­e. Entschiede­n innerweltl­ich legte es das heimische Jazztrio Mario Rom’s Interzone im Republic an. „Pleasure As Relief“, lautete ihre tröstliche Botschaft. Labsal war dann auch ihre batzweiche Interpreta­tion von Bobby Vintons „Blue Velvet“.

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