Spekulieren mit der Vergesslichkeit?
Eines muss man dem feministischen Journalismus lassen, er steht zu seinen Überzeugungen, auch wenn alle Fakten dagegen sprechen. Sybille Hamann ist recht zu geben, wenn sie die Schmähungen und Beschimpfungen, die den grünen Frauen nach ihrem Wahlverlust widerfahren, zutiefst verurteilt. Daraus aber abzuleiten, diese Verunglimpfungen seien eine Abrechnung, „stellvertretend für alle Frauen“ist hanebüchen.
Die grünen Frauen haben die Wahlen verloren, nicht, weil sie Frauen sind, sondern, weil ihre Sympathiewerte gegen null gingen und ihr Wahlprogramm realitätsfern am Wähler vorbei ins Leere zielte. Dass die vorherige Parteichefin der Grünen jahrelang recht erfolgreich war, übergeht Frau Hamann geflissentlich, vielleicht auch, weil Eva Glawischnig nicht unbedingt das Idealbild der linken Feministin symbolisiert.
Eine ähnliche journalistische Reaktion fand sich im Übrigen auch nach der Präsidentenwahl in den USA in der „New York Times“, als man die Wählerschaft unter Misogynie-Verdacht stellte. „,Ich hätte das unserem Land gern erspart‘“, 25. 10. Es sei der österreichischen Sozialdemokratie unbenommen, präsumtive Regierungskonstellationen zu kommentieren. Ein Rekurs auf eine schwarze-blaue Koalition aus den 2000er-Jahren gerät hingegen zu einem irrationalen Reflex aus Alarmismus und Larmoyanz einer Partei, der es offenbar schwerfällt, Macht abzugeben.
Der Hinweis von Karl Blecha, wonach die Politik von ÖVP und FPÖ bis heute die Gerichte beschäftige, ist bemerkenswert, weniger des Inhalts, mehr des Hin- weisgebers wegen. Wohl spekuliert Blecha damit, dass sich niemand an einen Innenminister gleichen Namens erinnern kann, der 1989 durch Verwicklungen in Noricumund Lucona-Affären zurücktreten musste und wegen Beweismittelunterdrückung und Urkundenfälschung rechtskräftig zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden ist.
Möge eine neue Regierung an ihren Taten gemessen werden.