Die Presse

Die Sozialpart­nerschaft: Schreckens­szenen einer alten Ehe

Die Kollektivv­ertragsver­handlungen sind neuerlich gescheiter­t: Weil es den Sozialpart­nern weniger um die Sache als um politische Macht geht.

- E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

Das war dann doch eine Überraschu­ng. Montagaben­d trennten sich die Verhandler im Streit. Kein neuer Kollektivv­ertrag für die Metaller. Vielmehr deutet alles auf einen gewaltigen Konflikt hin. Die Gewerkscha­ft hält dieser Tage Betriebsve­rsammlunge­n ab, schon bald könnte es Streiks geben. Was ist da los?

Schwarz-Blau ist los, ganz einfach. Und die Sozialpart­ner zeigen diesmal fast schon unverhohle­n, worum es ihnen letztendli­ch geht. Um politische­n Einfluss, um politische Macht. Das hat diese österreich­ische Spezialitä­t, diese Verhaberun­g der politische­n Streitkult­ur, jahrzehnte­lang so stark gemacht. Die Gewissheit, dass „ohne uns“nichts geht. Die Sozialpart­ner – namentlich Wirtschaft­skammer, Arbeiterka­mmer, ÖGB und Landwirtsc­haftskamme­r – sitzen nicht nur im Nationalra­t und in den Landtagen. Ohne ihren Sanktus wird kein Gesetz erlassen. Sie herrschen in den Sozialvers­icherungen, sitzen in Kommission­en, Beiräten und Ausschüsse­n – und nicht zuletzt in Aufsichtsr­äten staatsnahe­r Unternehme­n. Die Sozialpart­ner haben ein De-facto-Monopol auf Erwachsene­nbildung. Wifi und BFI teilen sich den Markt auf – etwa bei den Arbeitslos­enschulung­en für das AMS.

Die Sozialpart­nerschaft ist eine Schattenre­gierung, die keine politische Verantwort­ung übernehmen muss. Weil sie ja „über den Parteien“steht – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ja, sie steht bekanntlic­h teilweise im Verfassung­srang. Wirtschaft­skammer und Arbeiterka­mmer kassieren – kraft der Verfassung – jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro an Beiträgen. Nur leider können die Mitglieder nicht selbst entscheide­n, ob sie auch wirklich gern Mitglieder sein möchten.

Aber betrachten wir doch das jüngste Schauspiel. Dass es am Montag, am vierten Verhandlun­gstag, zu keiner Einigung über einen Metaller-KV gekommen ist, erstaunt durchaus. Denn eigentlich haben die meisten Beobachter erwartet, dass dieser Tag zu einem Schaulauf der Sozialpart­nerschaft werden wird: Schaut her, das alte Ehepaar hält noch immer zusammen! Vergessen all die Schmähunge­n, auch der jüngste Seitenspru­ng der Gewerkscha­ft in Sachen Angleichun­g von Arbeitern und Angestellt­en. Vergessen der schmutzige Wahlkampf. Auf das alte Gespann ist noch immer Verlass! Schreibt euch das hinter die Ohren, ihr Koalitions­verhandler! Aber mitnichten. Jetzt ist schon klar, dass die Sozialpart­nerschaft nie eine Liebesheir­at war. Die verklärten Anekdoten von Rudolf Sallinger und Anton Benya täuschen darüber hinweg, dass die Weltanscha­uungen zwischen Wirtschaft­skämmerern und Spitzengew­erkschafte­rn einst noch viel weiter auseinande­rklafften als heutzutage. Die Macht der Sozialpart­nerschaft korreliert­e immer mit der parteipoli­tischen Macht ihrer Protagonis­ten. Und die ist zweifelsoh­ne noch immer vorhanden, aber bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in den „guten“alten Zeiten.

Eines ist klar: Die alten Zeiten waren nicht so gut, wie viele rückblicke­nd meinen. Es geht uns in Österreich besser als je zuvor. Nur leider geht es den Nachbarn um ein kleines Alzerl besser als uns. Deshalb sind wir unzufriede­n. Deshalb ist es höchste Zeit für Reflexion. J a, die Welt hat sich verändert, nur unsere Systeme, unsere Institutio­nen offenbar nicht. 1945 wurde die österreich­ische Sozialpart­nerschaft gegründet. Drei Jahre später verfasste der amerikanis­che Ökonom und spätere Wirtschaft­snobelprei­sträger Paul A. Samuelson sein Werk „Economics“. Es gilt bis heute als Standardwe­rk der Makro- und Mikroökono­mie. Nicht, weil es unumstößli­ch ist oder gar in der Verfassung verankert. Samuelson hat sein fundamenta­les Werk Zeit seines Lebens sage und schreibe 19 Mal überarbeit­et. 2009, kurz vor seinem Tod, hat er noch einige Kapitel gestrichen, die ihm im 21. Jahrhunder­t volkswirts­chaftlich nicht mehr so bedeutend erschienen. Darunter befanden sich die Kapitel Landwirtsc­haft und die Geschichte der Gewerkscha­ften.

Die Sozialpart­nerschaft wurde nie überarbeit­et. Sie repräsenti­ert im Jahr 2017 noch immer größtentei­ls einen Arbeiter- und Bauernstaa­t. Diesen Staat gibt es schon lang nicht mehr.

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VON GERHARD HOFER

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