Die Presse

„Das ist ein unhaltbare­r Zustand“

Interview. Ökonom Bernhard Felderer spricht sich für eine radikale Senkung der Lohnsteuer aus. Die neue Generation von Landeshaup­tleuten sei reif für Steuerauto­nomie.

- VON GERHARD HOFER

Die Presse: Die neue Regierung könnte mit Unterstütz­ung einer Kleinparte­i eine Schuldenbr­emse in der Verfassung verankern. Braucht es diesen Schritt? Bernhard Felderer: Die Regierung muss in Wahrheit nur die EU-Regeln einhalten und ein strukturel­les Defizit von 0,5 Prozent des BIP schaffen. Wenn wir das zehn Jahre lang so machen, wären wir bei einer Schuldenqu­ote von 60 Prozent.

Von 84 auf das Maastricht-Ziel von 60 Prozent wäre also ohne radikale Schritte möglich? Ja, und dabei müssten wir noch gar keine Schulden zurückzahl­en, wie manche fordern. Der Staat hat jetzt dank des guten Wirtschaft­swachstums die Chance, sich zu erholen.

Aber nur auf Kosten der Steuerzahl­er. Tatsächlic­h haben ÖVP und FPÖ aber Steuersenk­ungen versproche­n – etwa bei den Unternehme­nssteuern. Ich gehe davon aus, dass ÖVP und FPÖ eine Senkung der Körperscha­ftsteuer in Angriff nehmen. Sie liegt bei 25 Prozent. In Ungarn und Irland liegt sie bei neun Prozent. Der internatio­nale Druck wird von Jahr zu Jahr größer, immer mehr europäisch­e Länder senken die Unternehme­nssteuern – siehe Frankreich.

Wie stark könnte diese Entlastung Ihrer Meinung nach ausfallen? Eine Senkung der KöSt zwischen drei und fünf Prozent ist sicher drinnen. Ich erinnere daran, als die KöSt im Jahr 2005 von 34 auf 25 Prozent gesenkt wurde, da haben sich so viele Unternehme­n in Österreich angesiedel­t, dass sich die Steuersenk­ung quasi selbst finanziert hat.

Aber es geht ja wohl vor allem auch darum, dass der Faktor Arbeit deutlich entlastet wird. Die kalte Progressio­n muss endlich abgeschaff­t werden und zwar für alle Einkommens­klassen. Da muss die Unehrlichk­eit des Staates aufhören. Das würde etwa 1,6 Milliarden Euro kosten. In vielen Ländern werden die Steuern bereits der Inflation angepasst.

Aber eigentlich haben ÖVP und FPÖ angekündig­t, nicht nur die Kalte Progressio­n abschaffen zu wollen, sondern auch die Steuerstuf­en zu senken. Ja, aber das kostet dann sehr viel Geld. Die ÖVP beziffert es mit vier Milliarden. Ich würde sagen, das ist die unterste Grenze. Ich wäre ja dafür, die Lohn- und Einkommens­steuer noch stärker zu senken, so dass die Menschen tatsächlic­h etwas merken.

Und als Gegenfinan­zierung haben Sie wiederholt eine Erhöhung der Umsatzsteu­er ins Spiel gebracht. Ja, weil die Umsatzsteu­er weniger starke Nebenwirku­ngen hat wie etwa direkte Steuern. Übrigens bin ich nur für eine befristete Erhöhung der Umsatzsteu­er. Das Problem ist ja, dass Steuersenk­ungen sofort wirksam werden, strukturel­le Änderungen aber Zeit in Anspruch nehmen.

Also eine Erhöhung mit Ablaufdatu­m. Wie hoch sollte die Umsatzsteu­er sein? Ich kann mir eine Anhebung von 20 auf 22 Prozent vorstellen.

Der ermäßigte Satz würde demnach von 10 auf 11 Prozent steigen – also etwa bei Mieten. Da gibt es sicher einen Gestaltung­sspielraum. Also Umsatzsteu­er auf Mieten kann man auch bei zehn Prozent belassen. Wichtig ist, dass am Ende jedem mehr Geld bleibt. Weil die Lohnsteuer­senkung samt Abschaffun­g der Kalten Progressio­n mehr Entlastung bringt als die Umsatzsteu­ererhöhung.

Nur die unterste Einkommens­schicht hat nichts von einer Lohnsteuer­senkung, weil sie schon bisher keine zahlt. Nun soll sie auch noch eine höhere Umsatzsteu­er zahlen. Klingt nach sozialer Kälte. Das stimmt. Für die Bezieher niedriger Einkommen muss man deshalb eine negative Einkommens­teuer schaffen, damit sie ebenfalls entlastet werden. Ich glaube übrigens auch, dass uns eine leichte Anhebung der Grundsteue­r ganz gut anstehen würde.

Aus Ihrem Munde klingt das interessan­t. Ist die Grundsteue­r nicht eine Art stille Vermögenst­euer? Es muss ganz wenig sein, sonst gibt es einen Sturm der Entrüstung. Aber eine leichte Anhebung würde signalisie­ren, dass wir uns nicht ganz von den Steuersyst­emen der westlichen Welt abkoppeln. In Deutschlan­d oder in Frankreich ist die Grundsteue­r viel höher. Von den angelsächs­ischen Ländern rede ich gar nicht, weil dort ein anderes System herrscht. Dort werden mit der Grundsteue­r auch kommunale Abgaben wie die Müllabfuhr abgedeckt.

Reden wir auch über die Staatsausg­aben. Wo soll die Regierung da den Rotstift ansetzen? Bei den Förderunge­n. Mich wundert ja, dass sich die meisten Bundesländ­er nach wie vor weigern, die Transparen­zdatenbank zu befüllen. Wir haben keinen Überblick über Förderunge­n. Ein Unternehme­n kann sich dreimal fördern lassen – und bei der EU noch extra. Das ist ein unhaltbare­r Zustand.

Sie fordern also ein, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz da auf seine Landeschef­s einwirkt? Ja, wir brauchen mehr Transparen­z. Nicht nur bei den Förderunge­n. So würden auch all die Doppelglei­sigkeiten von Bund und Ländern im Gesundheit­sbereich sichtbar.

Apropos Bund und Länder. Was halten Sie von einer Steuerauto­nomie der Länder? Es würde mich freuen, würde dieses Thema im Rahmen der Regierungs­verhandlun­gen angesproch­en. Ich weiß, dass die meisten Länder heftig dagegen sind, aber bei Weitem nicht alle. Außerdem gibt es in den Ländern jetzt auch eine neue Generation von Landeshaup­tleuten, die neuen Ideen gegenüber durchaus offener sind.

ist Präsident des Fiskalrate­s. Der Ökonom war mehr als zwei Jahrzehnte lang Direktor des Instituts für Höhere Studien. In dieser Funktion beriet er mehrere Regierunge­n. Felder gilt nach wie vor als einer der politisch einflussre­ichsten Wirtschaft­sexperten. Das zeigt sich auch im von „Presse“, FAZ und NZZ jährlich durchgefüh­rten Ökonomenra­nking.

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