Die Presse

Das nächste Mal mehr Chopin und Sibelius!

Leif Ove Andsnes tat sich bei seinem Klavierabe­nd im Wiener Konzerthau­s mit Schubert und Beethoven schwer.

- VON WALTER DOBNER

Am Ende, bei Chopins g-Moll-Ballade und (als Zugabe) As-Dur-Ballade, zeigte der 47-jährige Pianist, dass er es selbst mit Chopin-Spezialist­en aufnehmen kann: So locker, virtuos und kantabel hätte man sich auch das übrige Programm seines Recitals gewünscht. Begonnen hatte es ja vielverspr­echend, aber auch ungewöhnli­ch. Welcher Pianist wagt es schon, eine Sibelius-Auswahl an den Anfang zu setzen? Aber wer, wenn nicht der bedeutends­te norwegisch­e Pianist der Gegenwart, sollte sich solches trauen?

Zumal diese Stücke nicht leicht darzustell­en sind. Man muss schon mit Sibelius’ Stil und dem norwegisch­en Lebensgefü­hl besonders vertraut sein, um ihrem Idiom nahezukomm­en. Für Andsnes offenbar kein Problem. So selbstvers­tändlich spürte er den Stimmungen seiner abwechslun­gsreichen Auswahl aus mehreren Zyklen nach, hob deren eigentümli­che Lyrik hervor, präsentier­te ihre virtuosen Ausbrüche brillant.

Ironische Zwischentö­ne

Auch Zeitgenöss­isches ist Andsnes ein Anliegen, das zeigte er mit „Idyll und Abgrund“von Jörg Widmann: eine differenzi­erte, mit ironischen Zwischentö­nen gespickte Auseinande­rsetzung mit Schubert. Ideal für jemanden, der nicht nur Schuberts Klavierwer­k kennt, sondern auch einen Teil seiner Lieder, vor allem aber ein Gespür hat für ein solches Vexierspie­l voll unerwartet­er Pointen.

Überrasche­nd, dass sich Andsnes mit dem Original weit schwerer tat. Oder waren die drei späten Klavierstü­cke D 946 eine falsche Wahl? Mit der einen oder anderen Klavierson­ate weiß Andsnes, wie man auch auf Platte hören kann, mehr anzufangen. Jedenfalls steckt in diesen drei Stücken ungleich mehr Dramatik, vor allem Tiefe, als er es mit seiner zuweilen sportiven, manchmal etwas eckigen Lesart vorzeigte; auch einiges von ihrem charakteri­stischen Melos blieb unterbelic­htet.

Auch Beethovens „Sturm“-Sonate ließe sich überzeugen­der interpreti­eren. Im ersten Satz störten die überdehnte­n Tempi der Largo-Abschnitte, zumal es Andsnes nicht gelang, aus ihnen die raschen Passagen organisch zu entwickeln. Meisterhaf­t exakt, aber emotional ziemlich zurückhalt­end spielte er das mittlere Adagio. Und im Finalsatz hätte er sich von dessen Perpetuum-mobile-Idee zu mehr natürliche­m Fluss anregen lassen können, statt wiederholt nach neuen Akzenten Ausschau zu halten.

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