Die Ballettmaschine
Staatsoper. Ein Abend mit MacMillan, McGregor, Ashton: abwechslungsreich und hinreißend in Tanz und Musik.
Im Ballettsaal wähnt sich, wer Kenneth MacMillans „Concerto“besucht. Zu Dmitri Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur, op 102 machen die Tänzer in schlichten Trikots beeindruckende Dehnübungen, vollführen Sprünge, formieren sich zu Grüppchen, drehen sich durch den Saal, zelebrieren ganz langsam Hebungen. Verfolgt wird jede Bewegung von Pianist und Ballettkorrepetitor Igor Zapravdin, der mit viel Gefühl auf das Tanzgeschehen und die musikalischen Vorgaben eingeht. Dabei ändert sich mit jedem Satz die Stimmung. Die Atmosphäre des Konzerts (sensibel: Dirigent Valery Ovsyanikov) nimmt die Bühne ein, jeder Ton findet in der neoklassischen Tanzsprache MacMillans seine Entsprechung. Der erste Satz vermittelt pure Tanzfreude, die Darbietung (mit Nikisha Fogo und Denys Cherevychko als Solopaar) wirkt flott und kokett; im zweiten Satz dominiert die Romantik, die Musik umschmeichelt das elegante Duo Nina Polakov´a´ und Roman Lazik; im dritten Satz tragen beschwingte Klavierklänge Alice Firenze durch das Solo, das der Choreograf aus einer Not heraus kreierte (es sollte ein Pas de deux sein, doch der Tänzer brach sich den Fuß).
So ist „Concerto“ein schöner Auftakt für diesen musikalisch wie tänzerisch hinreißenden Abend, der sich dem britischen Ballett verschrieben hat und die Vielseitigkeit des Staatsballetts unter Beweis stellt.
Ein Auftritt gilt einem der Stars unter den zeitgenössischen Choreografen: Wayne McGregors „Eden0Eden“aus dem Jahr 2005 basiert auf der hypnotischen Videooper „The Tales“von Komponist Steve Reich und seiner Frau, Beryl Korot. In dem von McGregor gewählten Ausschnitt „Dolly“(wie das berühmte Schaf ) geht es ums Klonen und die Frage, was den Menschen zum Menschen macht: „Ist es Biologie? Sind es Haut und Knochen, Muskeln? Oder ist es etwas Spirituelles, etwas, was dich anders macht, selbst wenn jemand denselben Genpool hat wie du?“, fragt McGregor.
Wie Roboter in einer kahlen Welt
In „Eden0Eden“tauchen die Tänzer als nackte Kahlköpfe auf, die sich wie Roboter in mechanischen Bewegungen durch eine ebenso kahle Welt bewegen. Doch es steckt auch viel Menschliches in diesen Gestalten: Jede und jeder hat einen Körper, der sich hier nach den jeweiligen Möglichkeiten formt und verbiegt – und damit auch einen Blick auf die Eigenschaften des Individuums zulässt, das in dieser Hülle steckt. Hier agieren Menschen, keine Maschinen, das führt McGregor eindrücklich vor.
Zum Abschluss des Abends: Das so romantische wie tragische „Marguerite and Armand“, von Frederick Ashton einst für Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew choreografiert. Zu Franz Liszts Klaviersonate h-Moll (toll: Shino Takizawa am Flügel) zeigen Liudmila Konovalova und Jakob Feyferlik die ganze Gefühlspalette zwischen Jauchzen und Schluchzen, sie spielen und tanzen gekonnt und mit viel Empathie. Rührend!