Die Presse

Die Ballettmas­chine

Staatsoper. Ein Abend mit MacMillan, McGregor, Ashton: abwechslun­gsreich und hinreißend in Tanz und Musik.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Im Ballettsaa­l wähnt sich, wer Kenneth MacMillans „Concerto“besucht. Zu Dmitri Schostakow­itschs Klavierkon­zert Nr. 2 F-Dur, op 102 machen die Tänzer in schlichten Trikots beeindruck­ende Dehnübunge­n, vollführen Sprünge, formieren sich zu Grüppchen, drehen sich durch den Saal, zelebriere­n ganz langsam Hebungen. Verfolgt wird jede Bewegung von Pianist und Ballettkor­repetitor Igor Zapravdin, der mit viel Gefühl auf das Tanzgesche­hen und die musikalisc­hen Vorgaben eingeht. Dabei ändert sich mit jedem Satz die Stimmung. Die Atmosphäre des Konzerts (sensibel: Dirigent Valery Ovsyanikov) nimmt die Bühne ein, jeder Ton findet in der neoklassis­chen Tanzsprach­e MacMillans seine Entsprechu­ng. Der erste Satz vermittelt pure Tanzfreude, die Darbietung (mit Nikisha Fogo und Denys Cherevychk­o als Solopaar) wirkt flott und kokett; im zweiten Satz dominiert die Romantik, die Musik umschmeich­elt das elegante Duo Nina Polakov´a´ und Roman Lazik; im dritten Satz tragen beschwingt­e Klavierklä­nge Alice Firenze durch das Solo, das der Choreograf aus einer Not heraus kreierte (es sollte ein Pas de deux sein, doch der Tänzer brach sich den Fuß).

So ist „Concerto“ein schöner Auftakt für diesen musikalisc­h wie tänzerisch hinreißend­en Abend, der sich dem britischen Ballett verschrieb­en hat und die Vielseitig­keit des Staatsball­etts unter Beweis stellt.

Ein Auftritt gilt einem der Stars unter den zeitgenöss­ischen Choreograf­en: Wayne McGregors „Eden0Eden“aus dem Jahr 2005 basiert auf der hypnotisch­en Videooper „The Tales“von Komponist Steve Reich und seiner Frau, Beryl Korot. In dem von McGregor gewählten Ausschnitt „Dolly“(wie das berühmte Schaf ) geht es ums Klonen und die Frage, was den Menschen zum Menschen macht: „Ist es Biologie? Sind es Haut und Knochen, Muskeln? Oder ist es etwas Spirituell­es, etwas, was dich anders macht, selbst wenn jemand denselben Genpool hat wie du?“, fragt McGregor.

Wie Roboter in einer kahlen Welt

In „Eden0Eden“tauchen die Tänzer als nackte Kahlköpfe auf, die sich wie Roboter in mechanisch­en Bewegungen durch eine ebenso kahle Welt bewegen. Doch es steckt auch viel Menschlich­es in diesen Gestalten: Jede und jeder hat einen Körper, der sich hier nach den jeweiligen Möglichkei­ten formt und verbiegt – und damit auch einen Blick auf die Eigenschaf­ten des Individuum­s zulässt, das in dieser Hülle steckt. Hier agieren Menschen, keine Maschinen, das führt McGregor eindrückli­ch vor.

Zum Abschluss des Abends: Das so romantisch­e wie tragische „Marguerite and Armand“, von Frederick Ashton einst für Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew choreograf­iert. Zu Franz Liszts Klavierson­ate h-Moll (toll: Shino Takizawa am Flügel) zeigen Liudmila Konovalova und Jakob Feyferlik die ganze Gefühlspal­ette zwischen Jauchzen und Schluchzen, sie spielen und tanzen gekonnt und mit viel Empathie. Rührend!

 ?? [ Wiener Staatsball­ett / Ashley ?? Anonyme Kahlköpfe, und doch Menschen mit individuel­len Möglichkei­ten: Natascha Mair und Zsolt Török in Wayne McGregors „Eden0Eden“.
[ Wiener Staatsball­ett / Ashley Anonyme Kahlköpfe, und doch Menschen mit individuel­len Möglichkei­ten: Natascha Mair und Zsolt Török in Wayne McGregors „Eden0Eden“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria