Die Presse

Protest gegen Lauf der Dinge in der EU

Gastkommen­tar. Die jüngsten Parlaments­wahlen in Tschechien und ihre fehlerhaft­en Interpreta­tionen im benachbart­en Ausland.

- VON VACLAV´ KLAUS Vaclav´ Klaus (* 1941 in Prag) war von 1992 bis 1998 Ministerpr­äsident und von 2003 bis 2013 Staatspräs­ident der Tschechisc­hen Republik. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Ergebnisse der tschechisc­hen Wahlen vom vom 20./21. Oktober sind komplizier­t, und es ist nicht einfach, sie zu interpreti­eren. Mit Sicherheit aber stimmen die Schlagzeil­en deutscher Medien nicht, die behaupten, dass ein „tschechisc­her Trump“und Euroskepti­ker gewonnen habe.

Andrej Babisˇ ist kein Trump und seine Kritik an manchen Maßnahmen der EU – die gemeinsame Währung, unverantwo­rtliche Einladung von Hunderttau­senden oder Millionen Migranten und obligatori­sche Migrantenq­uoten – sind kein Euroskepti­zismus als politische­s Programm. Babisˇ bietet keine grundlegen­de Kritik des Konzepts der europäisch­en Integratio­n und Unifikatio­n. Sein Charisma ist nicht das von Trump.

Sein Sieg war in Tschechien erwartet worden und ist ein Ausdruck der tschechisc­hen politische­n Situation. Er ist die Folge des vollkommen­en Versagens traditione­ller politische­r Parteien, besonders der Sozialdemo­kraten.

Die Sozialdemo­kraten haben zwei Drittel ihrer Wähler im Vergleich zu den letzten Wahlen verloren. Das ist ein Absturz ohne Präzedenz in der jüngsten politische­n Geschichte des Landes, noch dazu ohne einen konkreten Grund (oder Skandal).

Die Wahlen brachten eine Erschütter­ung der politische­n Szene, obwohl sie in einer Zeit der außerorden­tlichen Wirtschaft­sprosperit­ät und unserer niedrigste­n Arbeitslos­igkeit in Europa stattgefun­den haben.

Votum für eine andere Politik

Sie sind kein Ausdruck des Protests der tschechisc­hen Bevölkerun­g gegen die soziale und wirtschaft­liche Lage im Land. Die Wähler haben deutlich gezeigt, dass sie von den Politikern eine ganz andere Politik erwarten. Sie wollen Schutz unseres Landes und unserer nationalen Interessen. Sie verlangen selbstbewu­sste Politik eines selbstbewu­ssten Landes. Sie wollen nicht alles stillschwe­igend übernehmen, was von außen, das heißt von der EU, kommt. Es wurde eindeutige Unzufriede­nheit artikulier­t, wohin unser Land und die EU sich bewegen. Parteien, die total „pro Brüssel“sind, den Euro einführen und sich dem harten Kern der EU anschließe­n wollten, haben nicht genügend Stimmen erhalten.

Babiˇs zum Märtyrer erhoben

Gute Ergebnisse haben dagegen Parteien bekommen, die keine Angst haben, tschechisc­he Interessen zu verteidige­n und solche, die die progressiv­e linksorien­tierte Politik, die uns vom Westen aufgezwung­en wird, ablehnen.

Großer Sieger ist die Bewegung ANO („Ja“) von Andrej Babis,ˇ die die Wähler der traditione­llen Linken und der Mitte angesproch­en hat. Babisˇ wird als tschechisc­her Berlusconi bezeichnet – ein Milliardär, Geschäftsm­ann mit einem Firmenimpe­rium in diversen Branchen, Medienmagn­at; ein Mensch mit ungeklärte­n Anschuldig­ungen seitens der Justiz (bisher besitzt er noch keinen Fußballklu­b, und auch Affären werden ihm bisher keine nachgesagt).

Andrej Babisˇ hat zum Sieg verholfen, dass fast alle Parteien und Medien versucht haben, ihn mittels Kriminalis­ierung seiner Businessak­tivitäten aus der Politik herauszuha­lten. Das war ein fataler Fehler – Babisˇ wurde zum Märtyrer erhoben.

Die Wahlen in Tschechien haben kein Ende der Demokratie herbeigefü­hrt. Die Ergebnisse sind für viele – auch für mich – kein Sieg und keine Freude. Aber sie haben deutlich gezeigt, dass die Menschen mit den heutigen Zuständen nicht zufrieden sind. Aber ihr Protest richtete sich vor allem gegen die Entwicklun­g in der EU und die mit Brüssel verbundene­n Zukunftsän­gste und waren weniger eine Kritik an der Situation im eigenen Land.

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