Die Presse

Schluss mit Schuldenma­chen? Da darf man skeptisch sein . . .

Von Ausgabenbr­emse und Nulldefizi­t war im Wahlkampf die Rede: Wagen Regierende den Bruch mit Traditione­n?

- VON WALTER IBER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wieder einmal sind die Staatsfina­nzen in aller Munde, wieder einmal mit den üblichen Schlagwört­ern „Ausgabenbr­emse“und „Nulldefizi­t“. Wirtschaft­sexperten fordern: Die aktuelle Hochkonjun­ktur müsse für konkrete ausgabense­itige Maßnahmen und zum Abbau der Staatsvers­chuldung genützt werden.

Die Parteien scheinen mitzuziehe­n: „Mit dem Schuldenma­chen muss Schluss sein“, hieß es im Wahlprogra­mm der ÖVP, während die FPÖ einer „Verhinderu­ng der für künftige Generation­en belastende­n Neuverschu­ldungspoli­tik“das Wort redete und die SPÖ einen schlankere­n Staat und „eine geringere Schulden- und Abgabenquo­te bei gleichzeit­iger Nutzung aller sich bietenden Einsparung­spotenzial­e“forderte. Im Wahlkampf war – sehr vage – von Ausgabenre­formen als Gegenfinan­zierung zu den vollmundig versproche­nen Steuersenk­ungen die Rede.

Stellt sich bloß die Frage: Wie realistisc­h ist es, dass besagte Forderunge­n und Ankündigun­gen tatsächlic­h umgesetzt werden?

Ein Blick auf Österreich­s budgetpoli­tische Traditione­n mahnt zur Skepsis. Seit der Republikwe­rdung 1918 gab es insgesamt nur vier Bundesrech­nungsabsch­lüsse ohne Negativsal­do, nämlich 1925, 1929, 1953 und 1954. Eine Tatsache, aus der sich zweierlei schlussfol­gern lässt. Erstens: Zu keinem Zeitpunkt verfolgten die Bundesregi­erungen – in welcher Farbenkons­tellation auch immer – eine konsequent­e Haushaltsp­olitik im Sinne nachhaltig­er ausgabense­itiger Reformen.

Keine ausgeglich­enen Budgets

Konnten die Budgetdefi­zite etappenwei­se reduziert werden, geschah dies in der Regel durch konjunktur­bedingt höhere Steuereinn­ahmen, zum Teil auch durch „kreative“Budgetieru­ngstechnik­en oder einmalige Entlastung­en (Privatisie­rungen).

Zweitens: Von wenigen Ausnahmen abgesehen war der Bund selbst in ökonomisch günstigen Phasen nicht in der Lage, für ein ausgeglich­enes Budget zu sorgen. Die besonders im Zusammenha­ng mit dem massiven Schuldenan­stieg seit den 1970er-Jahren geführten Diskussion­en um die konjunktur­ellen bzw. antizyklis­chen Ursachen der Budgetprob­leme zielen somit am Problemker­n vorbei.

Nimmersatt­e Begehrlich­keiten

Was sich tatsächlic­h als Konstante durch die Finanzgesc­hichte Österreich­s zieht, sind strukturel­le Unzulängli­chkeiten im Staatshaus­halt. Die wesentlich­en Ausgabenpo­sten: Verwaltung, soziale Sicherheit und Pensionen, Bundesbetr­iebe und Bundesbahn­en, schließlic­h der Schuldendi­enst.

Reformen standen zwar in regelmäßig­en Abständen zur Diskussion, der Politik fehlte es aber an Durchsetzu­ngskraft (und zumeist auch am Willen) – sogar der bürgerlich­en Regierung um Bundeskanz­ler Ignaz Seipel und Finanzmini­ster Viktor Kienböck, in den Geschichts­büchern auch wegen ihres harten Sanierungs­kurses in den 1920er-Jahren präsent.

Die Ordnung der nach dem Ersten Weltkrieg zerrüttete­n Staatsfina­nzen gelang durch Währungsst­abilisieru­ng und Steuern, eine Steigerung der Ausgabenef­fizienz scheiterte hingegen an den Beamtengew­erkschafte­n, teilweise unterblieb sie aus Rücksicht auf die eigene bürgerlich-bäuerliche Klientel. Bald sollte sich dieses Versäumnis rächen. Die Weltwirtsc­haftskrise stürzte das Staatsbudg­et erneut ins Chaos.

Im Jahr 1931 analysiert­e die renommiert­e Wirtschaft­szeitung „Der österreich­ische Volkswirt“:

(* 1979 in Graz) ist Historiker. Assistent am Institut für Wirtschaft­s-, Sozialund Unternehme­nsgeschich­te der KarlFranze­ns-Universitä­t Graz. Er ist auch wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im OeNB-Forschungs­projekt „Fiskalpoli­tik und Staatsvers­chuldung in der sehr langen Frist am Beispiel Österreich­s, 1811 bis 2012“. „In Österreich ist [. . .] eine ständige Progressio­n der öffentlich­en Ausgaben zu beobachten, beim Bund nicht minder als bei den nachgeordn­eten Gebietskör­perschafte­n. Gewiss ist, wie ein Teil der Sozialaufw­endungen vieles an der ununterbro­chenen Vermehrung der Ausgaben zwangsläuf­ig bedingt. Größere Schuld aber trägt die Verkennung der Möglichkei­ten des kleinen Landes, die nimmersatt­e Begehrlich­keit der Parteien und die Nachgiebig­keit willfährig­er Regierunge­n.“Würde man den zeitlichen Kontext dieses Zitats nicht kennen, man könnte es ebenso gut den Jahrzehnte­n der Zweiten Republik bis herauf in die jüngste Vergangenh­eit zuordnen.

Das Kalkül ist einfach: Ausgaben bringen Wählerstim­men. Auf Machterhal­t (im Sinne ihrer Wiederwahl) bedachte Politiker fassten die finanzpoli­tisch heißen Eisen gar nicht erst an, zumal vieles auch auf gesetzlich­en Verpflicht­ungen beruhte.

Reformen nur Stückwerk

Gab es doch Reformvers­uche, so blieben diese Stückwerk oder scheiterte­n am politische­n Systems: an der eigenen Partei, am Koalitions­partner, an der Opposition, Interessen­verbänden und an gesellscha­ftlichen Erwartungs­haltungen. Selbst redlich bemühte Regierungs­vertreter wie Josef Klaus (ÖVP) oder Ferdinand Lacina (SPÖ) mussten dies zur Kenntnis nehmen. Seine Zeit als Finanzmini­ster (1961–63) beschreibt Klaus in seinen Memoiren eindrückli­ch. Nicht nur vom Gegenwind durch den Koalitions­partner SPÖ ist da die Rede, sondern von „einem Freundscha­ftsund Vertrauens­bruch auch mit Ministern der Volksparte­i“.

Am Beginn der 2000er-Jahre hat sich der Trend zumindest oberflächl­ich verändert. Plötzlich war das „Nulldefizi­t“populär. De facto gingen die Defizite vorübergeh­end zurück, von einem ausgeglich­enen Budget blieb man aber deutlich entfernt. Ob nun die neue Regierung nachhaltig mit Traditione­n brechen wird? Bekanntlic­h stirbt die Hoffnung zuletzt . . .

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