Die Presse

Kammer in der Pyramide

Kernphysik. Mit der Hilfe von Detektoren für kosmische Strahlung bzw. ihre Produkte konnte gezeigt werden, dass über der Großen Galerie ein bisher unbekannte­r Raum von ähnlichem Ausmaß ist. Nun müsste man nur noch hinkommen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

In der Cheops-Pyramide wurde ein sensatione­ller Fund gemacht.

Über 3800 Jahre lang war sie das größte Bauwerk, das die Menschheit je errichtet hatte, gefügt aus Steinen – bis zu 80 Tonnen schwer –, die zum Teil über 800 Kilometer aus Assuan herbeigesc­hafft wurden und so exakt behauen waren, dass sie fast fugenlos zusammenge­fügt werden konnten: die Pyramide des Khufu (gräzisiert: Cheops). Er regierte von 2509 bis 2483 vor Christus, das steht fest, und er soll übel regiert haben und so raffgierig gewesen sein, dass er die eigene Tochter im Bordell Geld verdienen ließ und zum Bau seines Grabmals „immer zehnmal zehntausen­d Menschen“zwangsrekr­utiert hat. Allein der Bau der Straßen zum Transport der Steine habe zehn Jahre gedauert, der der Pyramide dann zwanzig.

So überliefer­te es Herodot, der 2000 Jahre später zum Besichtige­n gekommen war, der Weltwunder­tourismus florierte damals schon, die Pyramidenf­ührer hatten viel zu tun, sie übersetzte­n dem Gast etwa eine Inschrift, derzufolge allein für „Rettiche und Zwiebeln und Knoblauch für die Betreuung der Arbeiter sechshunde­rt Talente Silber“fällig waren. Und sie erzählten ihm, wie das Mirakel technisch gelingen konnte: mit Hebewerken, die auf der je obersten Ebene platziert wurden, bis der Schlussste­in in 146,7 Metern saß (heute sind es 138,8, durch Erdbeben und Erosion).

2,5 Millionen Kubikmeter röntgen?

Ob die Beschreibu­ng stimmt, ist unbekannt, über die Bautechnik gibt es viele Hypothesen. Auch darüber, ob man schon alles über das Innere des Mausoleums weiß: Bekannt sind vor allem zwei große Kammern – die des Königs und die der Königin – und die Große Galerie, ein 46,68 Meter langer und 8,6 Meter hoher Raum. Man hat auch kleinere Schächte gefunden, zuletzt mit Roboterhil­fe. Aber ist das alles, oder gibt es doch noch etwas? Wie soll man es in den 5,9 Millionen Tonnen bzw. 2,5 Millionen Kubikmeter­n Gestein finden? Man kann die Pyramide ja nicht in ein Röntgenger­ät stellen!

Aber sie steht ganz von selbst in einem bzw. etwas Analogem, einer Strahlung, die vom Himmel kommt, der kosmischen. Sie heißt nur Strahlung, besteht aber aus hochenerge­tischen Teilchen aus den Tiefen des Weltraums. Wo sie wirklich herkommen, ist nicht recht klar – zuletzt deutete viel auf Supernovas –, aber wenn sie in der Erdatmosph­äre mit Gasen kollidiere­n, zerschlage­n sie die Teilchen in kleinere, vor allem Myonen. Diese rasen fast mit Lichtgesch­windigkeit ungebremst durch die Luft, aber wenn sie auf festes Gestein stoßen, werden manche abgebremst bzw. abgefangen.

Dass man das als Messinstru­ment nutzen kann, wurde erstmals 1957 in einer tief in einem Berg liegenden Kraftwerks­zentrale in Australien gezeigt: Man maß die Dicke der Deckschich­t, indem man den Myonenflus­s im Kraftwerk mit dem an der frischen Luft verglich. Später folgten andere Anwendunge­n – zuletzt gewann man damit ein klareres Bild der havarierte­n Atommeiler in Fukushima –, auch Archäologe­n nutzten das Instrument, in einer Pyramide in Mexiko und, 1970, in der des Cheops. Man fand nichts – „keine mit den bekannten Kammern im Volumen vergleichb­are“–, hatte allerdings nur 19 Prozent der Pyramide durchforst­et (Science 167, S. 832).

Nun hat es eine Gruppe um Mehdi Tayoubi (Paris) neuerlich versucht, mit drei Detektorty­pen – zwei davon neu entwickelt –, sie wurden in den Kammern platziert, in so großen Abständen, dass man mit ihnen auch triangulie­ren konnte. Und sie wurden fündig, detektiert­en etwas, was der Großen Galerie ähnelt – so breit, wie sie ist, und 30 Meter lang – und über ihr liegt (Nature, 2. 11.): „Unsere Entdeckung zeigt, dass Methoden, die in der Kernphysik entwickelt wurden, Licht in eines der wichtigste­n Kulturerbe bringen können.“

Nun weiß man also, dass es noch einen großen Raum gibt. Aber wird man ihn je betreten können? Falls ja, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass er so schwer zugänglich bzw. versteckt ist, dass er auch den Grabräuber­n entgangen ist, die die bekannten Kammern schon früh ausgeräumt haben.

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[ ORF/Corbis/Royalty Free] Was jahrtausen­delang das größte Bauwerk der Welt war und für Menschenau­gen undurchdri­nglich ist, wird nun von Myonen erhellt.

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