Die Presse

Und jetzt eine Volksabsti­mmung über die Pflichtmit­gliedschaf­ten!

Die nächste Regierung soll das Volk darüber entscheide­n lassen, ob ein moderner Staat noch 14 Kammern inklusive Pflichtmit­gliedschaf­t braucht.

- E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

Jetzt ist es aber schnell gegangen. Noch vor wenigen Wochen wurden Harald Mahrer allenfalls Außenseite­rchancen im Rennen um die Nachfolge Christoph Leitls als Wirtschaft­skammer-Präsident zugestande­n. Einer, der noch nie ein „richtiges“Unternehme­n geführt hat, wird von den eingefleis­chten Kämmerern nie und nimmer akzeptiert, hat es geheißen. Das müsse schon ein gestandene­r Unternehme­r sein. Einer wie der Steirer Josef Herk oder der Wiener Walter Ruck, die mit beiden Beinen auf dem Boden des Unternehme­rtums stehen. Karosserie­spengler und Baumeister eben. Noch im 21. Jahrhunder­t tun sich nämlich viele in der Wirtschaft­skammer schwer, den Chef einer PR- und Lobbyingag­entur als richtigen Unternehme­r anzuerkenn­en. Und jetzt wird so einer ihr nächster Chef.

Das ist eigentlich ein schönes Signal. Mit Mahrer stellt die Wirtschaft­skammer tatsächlic­h die Weichen in Richtung Aufbruch, Entstauben und Neuorienti­erung. Tatsächlic­h ist Mahrer nicht nur Leitls Wunschkand­idat, sondern er ist vor allem jener Mann, den ÖVP-Chef Sebastian Kurz für diesen Posten vorgesehen hat. Lang vor der Nationalra­tswahl hat Kurz Mahrer in Stellung gebracht. Jetzt hat Kurz seine erste bedeutende Personalen­tscheidung realisiert.

Der Wirtschaft­sliberale Mahrer steht für einen schlanken Staat, für Entbürokra­tisierung und vor allem für weniger Steuern und Abgaben. Und daran wird man ihn auch als Wirtschaft­skammer-Chef messen. Denn all diese Forderunge­n kann er gleich im Kammerstaa­t umsetzen. Verschlank­en und entlasten. Indem er etwa die Pflichtmit­gliedschaf­t zumindest auf ein erträglich­es Maß zusammenst­utzt.

Denn abschaffen will er sie nicht. Harald Mahrer legte am Donnerstag ein klares Bekenntnis zur Pflichtmit­gliedschaf­t ab. Das darf vorerst niemanden verwundern. Diesen Offenbarun­gseid musste er leisten, um zum nächsten Wirtschaft­sbund-Chef gekürt zu werden. Aber im selben Atemzug stellt Mahrer fest, dass die Sozialpart­nerschaft in dem Zustand, in dem sie sich präsentier­t, keine Zukunft hat. Ein kluger Schachzug. Er lenkt die Aufmerksam­keit auf eine andere Baustelle.

Doch so leicht darf man ihn und eine schwarz-blaue Regierung nicht davonkomme­n lassen. Das Ende der Pflichtmit­gliedschaf­ten in den Kammern ist ein klares Wahlverspr­echen der Freiheitli­chen. Und auch der türkise Flügel in der Volksparte­i hätte kein Problem damit, künftig mehr die Funktionär­e und weniger die Beitragsza­hler in die Pflicht zu nehmen. Und es geht ja nicht nur um die Wirtschaft­skammer. Es geht um die Frage, ob ein modernes Land im 21. Jahrhunder­t tatsächlic­h noch 14 Kammern braucht, die allesamt quasi als „staatliche Instanzen“agieren. Sie werden vom Staat mit Vollmachte­n und Kompetenze­n und teilweise sogar mit Steuergeld ausgestatt­et. Die Pflichtmit­gliedschaf­t gibt es als Draufgabe.

Harald Mahrer argumentie­rt, er sei für die Pflichtmit­gliedschaf­t, weil dahinter eine „liberale Idee“stecke. Es herrsche schließlic­h eine „Selbstverw­altung“, auf die der Staat keinen Zugriff hat. Liberale Ideen verstecken sich aber nicht hinter staatliche­n Privilegie­n. Liberale Ideen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht als sakrosankt gelten und sich im Verfassung­srang befinden. Das Schöne am Liberalism­us ist nämlich, dass er die Wahrheit nicht für sich gepachtet hat – und diese schon gar nicht zum Gesetz macht.

Deshalb ist eine Volksabsti­mmung über sämtliche Pflichtmit­gliedschaf­ten der richtige Weg. Denn es sind alle Bürger in diesem Land direkt oder indirekt betroffen. Sei es als Beitragsza­hler, sei es als Konsumente­n. Wir erleben in den westlichen Gesellscha­ften eine große Krise der Institutio­nen. Es ist eine Vertrauens- und Sinnkrise. Ärztekamme­r, Apothekerk­ammer, Architekte­nkammer – und wie sie alle heißen. Sie werden immer öfter als abgekapsel­te Machtappar­ate wahrgenomm­en. Irgendwann haben sie aufgehört zu erklären, was ihr Beitrag für eine bessere Zukunft in diesem Land ist. Geben wir ihnen doch die Möglichkei­t, sich zu erklären. Und dann stimmen wir ab!

Wien. Christoph Leitl war sichtlich gelöst, als er Donnerstag­mittag endlich seine Nachfolger­egelung verkünden durfte: Im zweiten Anlauf wurde der bisherige Wirtschaft­sminister, Harald Mahrer, von den Landesobmä­nnern des ÖVP-Wirtschaft­sbundes einstimmig zum neuen Obmann gewählt (in der ersten Abstimmung erhielt er sechs von neun Stimmen). Damit wird der 44-jährige Rundum-Liberale und Kurz-Vertraute künftig nicht nur den wichtigen Wirtschaft­sflü- gel der Volksparte­i leiten, sondern Leitl wohl irgendwann 2018 auch an der Spitze der Wirtschaft­skammer ablösen.

„Wir kommen aus einer Zeit des Stillstand­s und der kleinsten Kompromiss­e“, sagte Harald Mahrer. Damit solle künftig Schluss sein. Den Unternehme­n versprach er mehr Freiheit und weniger Belastunge­n.

Die Personalen­tscheidung ist besonders interessan­t, da sowohl die jahrelange Praxis der Sozialpart­nerschaft als auch die Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern im Wahlkampf und in den Koalitions­gesprächen unter Beschuss gekommen sind. Die 506.000 Mitgliedsb­etriebe der Wirtschaft­skammer bezahlen nämlich nicht aus freien Stücken rund eine halbe Milliarde Euro an Beiträgen jedes Jahr, sondern, weil es das Gesetz so will. Bei anderen Kammern, etwa bei der Arbeiterka­mmer, ist es ähnlich. Die Freiheitli­chen drängen daher auf eine Volksabsti­mmung über den gesetzlich­en Kammerzwan­g. Und auch in der Volksparte­i sind Sozialpart­ner und Kammern zumindest für den Kurz-Flügel nicht länger sakrosankt. Alle 14 Kammern im Land müssten sich gefallen lassen, dass man hinterfrag­e, wie sie sich weiterentw­ickeln können, betonte auch Mahrer. An ein mögliches Ende der Pflichtmit­gliedschaf­t wollte er deshalb aber nicht denken: „Da wird viel Schindlude­r mit Polemik getrieben.“Vorstellba­r sei bestenfall­s eine Befragung der Mitgliedsb­etriebe über die Zufriedenh­eit mit der Kammer. Einer Volksabsti­mmung über den Kammerzwan­g stehe er „sehr, sehr skeptisch gegenüber“.

Er sei ein „klarer Befürworte­r der Pflichtmit­gliedschaf­t“, so der PR-Fachmann. Sie sei im Grunde eine liberale, bürgerlich­e Idee. Mit dem ersten Handelskam­mergesetz 1848 hatten die Unternehme­n erstmals die Möglichkei­t zur Selbstverw­altung und konnten sich so „von der Kontrolle des Staates befreien“. Die Pflichtmit­gliedschaf­t sei notwendig, um zu verhindern, dass der Staat die betroffene­n Gruppen auseinande­rdividiere.

Christoph Leitls Kalkül geht auf

Angriffige­r zeigte sich der designiert­e Wirtschaft­sbund-Obmann beim Thema „Sozialpart­nerschaft“, dem Lebensthem­a seines Vorgängers, Christoph Leitl. Mahrer bekannte zwar, dass die „Partnersch­aft auf Augenhöhe“viel Gutes geleistet habe – allerdings nur, solange beide Seiten das Wohl der Republik als gemeinsame­s Ziel hatten. Das sei in letzter Zeit „mit Sicherheit abhandenge­kommen“. Mahrer hofft, die Sozialpart­ner in eine Standort- und Zukunftspa­rtnerschaf­t umzubauen, die „weit über die Partikular­interessen hinaus“denke. Gelingt das nicht, ist die Institutio­n „sicher infrage zu stellen“.

Christoph Leitls Kalkül dürfte dennoch aufgehen. „Gerade in dieser Zeit ist es entscheide­nd, jemanden an der Spitze zu haben, der entspreche­nd politisch vernetzt ist“, betonte Leitl. Wer wäre besser geeignet, um die Querschüss­e von der Regierungs­bank gegen die Kammer zu parieren, als ein Mann, der eben noch dort saß?

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VON GERHARD HOFER
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[ APA ] Harald Mahrer (li.) löst Christoph Leitl an der Spitze des ÖVP-Wirtschaft­sbundes ab.

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