Der Kampf ums Herz der Koalition
Deutschland. In den Jamaika-Sondierungsgesprächen bewegt sich inhaltlich nicht viel. Zugleich hat das Postengerangel bereits eingesetzt: Vor allem das Finanzministerium steht im Fokus.
Berlin. Der Sehnsuchtsort der FDP liegt in der Wilhelmstraße 97. Hinter der Fassade aus Naturstein schlägt das haushaltspolitische Herz von Europas größter Industrienation. Hier häuften sich zuletzt Macht und Geld: Während der Eurokrise gewann das Finanzministerium an Einfluss (auf Kosten des Außenministeriums). Zugleich füllten sich die Steuertöpfe.
Der Wirtschaftsmotor brummt. Die Oktoberarbeitslosigkeit fiel erstmals seit der Wiedervereinigung unter 2,4 Millionen. Und die Einnahmen der Bundesländer sprudeln: In den ersten neun Monaten gab es einen Überschuss von 12,7 Milliarden Euro. Das alles eröffnet Spielraum für eine mögliche Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen und für den nächsten Finanzminister, den Nachfolger von Wolfgang Schäuble. Das Vermächtnis des nunmehrigen Bundestagspräsidenten ist die „schwarze Null“, wie sie die Mitarbeiter des Finanzministeriums auch für das Abschiedsfoto formten.
„Nur kein CDU-Finanzminister“
Mantraartig wiederholen die Verhandler, über Posten würde ganz zum Schluss geredet. Der Streit zwischen Union und FDP um das Finanzressort mit seinen 1900 Mitarbeitern fing jedoch schon an, da hatten die Gespräche noch gar nicht begonnen. „Alles wäre besser, als das Finanzministerium in CDU-Händen zu halten“, richtete FDP-Chef Christian Lindner aus. Merkel, so die Botschaft, soll ja in der Europolitik nicht durchregieren können. Das Ressort müsse ein „fachliches Korrektiv“sein, keine „verlängerte Werkbank“des Kanzleramts wie derzeit unter Peter Altmaier, der das Finanzministerium interimistisch führt. In der „Zeit“parierte Altmaier nun Lindners Kritik: „Das Kanzleramt und das Finanzministerium waren in den vergangenen acht Jahren in den Händen derselben Partei, und das waren acht Jahre, in denen wir eine überaus erfolgreiche Finanzpolitik machten.“Der Saarländer ist Merkels „Ein-Mann-Armee“(„Die Welt“). Er taucht immer dort auf, wo gerade Not am Mann ist, ob als Flüchtlingskoordinator oder als Mastermind des Union-Wahlprogramms. Weshalb in den wilden Spekulationen um die Langzeitnachfolge Schäubles unter anderen auch sein Name fällt.
In der FDP irritiert das. Es ist kein Geheimnis, dass Lindner den Verzicht Guido Westerwelles auf das Finanzressort für den Kardinalfehler der FDP in den glücklosen schwarz-gelben Regierungsjahren hält. Die FDP hatte einen Steuersenkungswahlkampf geführt. Und dann nicht geliefert. Diesmal kokettiert die Partei offen mit dem Ressort. FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat entgegen den Usancen öffentlich Interesse angemeldet. Auch Lindner selbst käme infrage.
Migration und Klima vertagt
Die Aussicht auf einen FDP-Finanzminister beunruhigt nicht nur Frankreichs Emmanuel Macron, der die Eurozone gern mit deutlich mehr Geld ausstatten würde, was die FDP ablehnt. „Der Spiegel“berichtete über einen Notfallplan der Union, wonach die Euro-Agenden aus dem Finanz- ins Wirtschaftsministerium wandern könnten. Einem geschlossenen Auftritt auf europäischer Bühne wäre eine solche Kompetenzzersplitterung freilich hinderlich. Auch Altmaier hält nichts von einem Schrumpffinanzressort. So oder so wird das Durchregieren für Merkel schwierig, wenn und falls Jamaika dann einmal kommt.
Gestern wurden im ehemaligen Reichtagspräsidentenpalais die Themen Außen-, Verteidigungs- und Familienpolitik sondiert, während der Streitpunkt Migration vorsichtshalber von der Tagesordnung gestrichen wurde. Das heiße Eisen soll in kleiner Runde angegriffen werden. Es hakt auch bei der Landwirtschaftspolitik. Zum Hickhack in der Klimapolitik bemerkte FDP-Chef Lindner süffisant, die Luft sei „schon so gut“.
Die grüne Forderung nach einer Ausweitung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte nannte er in der „Bild“ein „Konjunkturprogramm für die AfD“. Die grünen Jamaika-Verhandler brachten Lindners „populistische Plattitüden“auf die Palme.