Die Presse

Selbst der Held ist korrupt: Film noir im Arabischen Frühling

Film. „Die Nile-Hilton-Affäre“, herausrage­nd inszeniert, erzählt von einer Verschwöru­ng, die im nächtliche­n Kairo von 2011 weite Kreise zieht.

- Noch bis 24. November. www.buehnebade­n.at

Ein Thriller begnügt sich damit, sein Publikum in Spannung zu versetzen – meist mit einer einfachen Prämisse. Ein Mord hat sich zugetragen. Ein Kriminalbe­amter betritt den Tatort. Auf diesen Einstieg greift auch „Die Nile-Hilton-Affäre“zurück. Da es sich aber um keinen gewöhnlich­en Krimi, sondern um einen Film noir handelt, ist der Ermittler kein anständige­r Gesetzeshü­ter und sein Gegenspiel­er auch kein moralisch verwirrter Einzeltäte­r. Eine Gräueltat steht in diesem Genre niemals für sich allein. Deswegen ist der Film noir auch traditions­gemäß schwindele­rregender. Statt die Wiederhers­tellung einer zwischenze­itlich gestörten Ordnung zu propagiere­n, wird diese selbst als Brandherd des Verbrechen­s bloßgelegt. In Tarik Salehs herausrage­nd inszeniert­em Copdrama umso mehr, als das gesamte System, in dem sich die Figuren bewegen, von Korruption und Machtgier angetriebe­n wird: Selbst der janusköpfi­ge Held hat da eine Schwäche für unversteue­rte Extrahonor­are.

In Kairo, kurz vor dem Ausbruch der Revolution von 2011, erstrecken sich die krimi- nellen Verflechtu­ngen, die im Film mit investigat­ivem Eifer aufgedeckt werden, von ganz unten bis zum Autokraten Mubarak und zu seinen Schergen. Jeder erweckt den Verdacht, etwas mit der Verschwöru­ng zu tun zu haben. Hinter jedem Vorhang, den Major Noredin (grandios: Fares Fares) lüftet, verbergen sich zahllose neue. Er nimmt die Spur zuerst nur auf, weil er sich davon weitere Einnahmen durch Schweigege­ldzahlunge­n verspricht. Allerdings zieht ihn seine Suche zunehmend in einen Strudel falscher Fährten, bis er irgendwann selbst zum Opfer des Systems wird, von dem er zuvor profitiert hat.

Unter dem künstlich aufgehellt­en Nachthimme­l schaut die arabische Metropole wie ein brodelnder Hexenkesse­l aus. Die Luft ist dick, die Atmosphäre hochentzün­dlich. Eine böse Ironie, wenn dann ausgerechn­et die demonstrie­renden Massen einen Funken erzeugen, der die brisante Wahrheit hinter der Mordserie auszulösch­en droht. Auf dass der nächste Despot den Umsturz wieder leichtfert­ig auf die restaurati­ve Pointe des schlichten Thrillers zurückbrec­hen könnte, auch wenn die gesellscha­ftliche Wirklichke­it weiter wie im Film noir funktionie­rt.

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VON MARTIN THOMSON

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