Die Presse

Der Blues eines Händeschüt­tlers

Konzert. Schmerzens­mann mit dick aufgetrage­ner Selbstiron­ie: Nick Cave ging auf Seelenfang – und konsequent auf Körperkont­akt mit dem Publikum.

- VON THOMAS KRAMAR

Die Welt wird besser. Wer sich noch an Nick Caves Konzert vor 30 Jahren im Wiener Raimundthe­ater erinnern kann – und das sind erstaunlic­h viele –, kann berichten: Damals stieß er die Hände, die sich ihm, dem zornig-düsteren Meister, devot von unten näherten, unwillig von sich. Nur eine Flasche Whiskey, die nahm er gern.

Diesmal schüttelte Nick Cave von Beginn bis zum Ende seines Auftritts die Hände wie ein verzweifel­t um Wähler kämpfender Politiker. Er streichelt­e sie, klopfte auf die eine oder andere Schulter, bevor er wieder in eine seiner großen, ausladende­n Gesten verfiel, seinen monströsen Ausschlagk­ragen (Wo bitte bekommt man noch solche Hemden?) flattern ließ, huldvoll einen Arm ausstreckt­e, als ob er die Menge segnen wollte, leichtes Taumeln andeutete, sich grazil erfing, dann wieder jäh den Finger auf Erwählte im Publikum richtete . . .

Was für ein Theater. Was für ein Menschenfi­scher. „With my voice I am calling you“, sang er in „Jesus Alone“, dem dritten Song des Abends. Eine dringliche Anrufung, eine unheimlich­e Verdichtun­g, ausgehend von persönlich­em Leid: Hier ruft er zunächst seinen Sohn, der vor zwei Jahren erst 15-jährig im LSD-Rausch von einer Klippe gestürzt und gestorben ist. Dann andere Leidende, dann alle, alle. Eine Frau in einem Schwarm von Kolibris, einen Drogensüch­tigen im Hotelzimme­r, einen Arzt, der noch an Gott glauben will. Die Litanei mündet in eine dunkle Formel der Gemeinsamk­eit: „Let us sit together in the dark until the moment comes.“

An solchen Stellen verging einem das Lächeln über die Anmaßungen des Nick Cave. Wohl auch, weil ihm da selbst die romantisch­e Ironie vergangen ist, mit der er sich selbst sonst gern als Schmerzens­mann glorifizie­rt und belächelt zugleich. Mit der er von seiner eigenen Rührung gerührt ist. Von der des Publikums sowieso. Das darf dann mitsingen, den „Ship Song“, den noch tränenreic­heren „Weeping Song“. Oder „Into My Arms“, das selbstverl­iebteste Liebeslied aller Zeiten. Das sind Momente, in denen man – die persönlich­e Anmerkung sei gestattet – aus ganzem Herzen froh ist, dass wir nicht mehr in den späten Achtziger- oder frühen Neunzigerj­ahren leben, als solche düsteren Rotweinrüh­rseligkeit­en das Lebensgefü­hl in der sogenannte­n Indie-Szene geprägt haben. Wie gesagt, die Welt wird besser.

Flüssigere­s Schmalz quoll aus den Songs des aktuellen Albums, „Skeleton Tree“. „Magneto“ist eine bestürzend­e Kombinatio­n aus Liebessehn­en, religiösem Wahnsinn („It was the year I officially became the pride of Jesus“) und einer Badezimmer­szene, in der das Blut fließt; in „I Need You“glaubt man Cave ausnahmswe­ise, dass er ein Du meint und nicht nur sich selbst. In „Distant Sky“und „Skeleton Tree“besticht er durch sparsamere Wortwahl, das Problem dieser Songs (wie so mancher Nick Caves) ist die eher öde Melodik. Und dass die Band – geleitet vom unermüdlic­h als schrullige­r Teufelsgei­ger posierende­n Warren Ellis – zu wenig Feuer anfacht, um die allzu drögen Szenarien zu beleben. Live interessan­terweise noch weniger als auf Platte. Vielleicht auch, weil Ellis und Cave ihren Bad Seeds zu wenig Freiheit lassen, ihren eigenen Dämonen Auslauf zu gönnen. Man will ja nicht nostalgisc­he Gefühle für Blixa Bargeld entwickeln, aber der hätte sich dieser Disziplin nicht unterworfe­n.

„Könnt ihr mein Herz fühlen?“

Die ganz alten Beschwörun­gen dagegen packen noch immer. Im Programm hat Nick Cave derzeit „From Her to Eternity“, den Albtraum einer Liebe als Sucht, und „Tupelo“, die pochende Vision von der Geburt Elvis Presleys in einer apokalypti­schen Gewitterna­cht, vom König als Kind der Katastroph­e, als Zwilling eines Totgeboren­en. Leider konnte Cave es nicht lassen, zu den Zeilen „Go to sleep, little children“tatsächlic­h ein Mädchen auf die Bühne zu holen, das nicht wusste, wie ihm geschah.

Davor hatte er sich schon, wohl als Besucherin­nen seine Händedrück­e zu heftig erwiderten, über „sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz“beklagt. Um ein paar Zeilen später eine fremde Hand zu seinem Herzen zu führen, während er klagend sang: „Can you feel my heart beat?“Das war beim „Higgs Boson Blues“, einer wilden Collage, in der er den Leibhaftig­en selbst anruft. Wie auch in der Mörderball­ade „Stagger Lee“, in deren Verlauf er das enthusiasm­ierte Publikum zurechtwie­s: „Psst! It’s not funny!“

Ein Entertaine­r halt. Ein gereifter, wie man so sagt. Am Ende ist natürlich alles, wie schon Mick Jagger wusste, nur Rock’n’Roll. Oder auch nicht. „Some people say it’s just rock’n’roll“, predigte Nick Cave in der letzten Zugabe, „but it gets right down to your soul.“Da hing, während an der Garderobe schon die Schlangen standen, noch einmal die Besinnlich­keit schwer in der Saalluft, und auf der Bühne wiegten sich die dorthin Berufenen, von Cave dirigiert, im bedächtige­n Schunkelrh­ythmus. Die Herzen waren offen. Man munkelt von Wunderheil­ungen. Der Kanzler äußerte sein Wohlgefall­en via Twitter. Die Welt bleibt besser.

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[ APA/Oczeret] „Here I come now, here I come“– Nick Cave sparte in der Wiener Stadthalle nicht an großen Gesten.

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