Glaubensgewissheit, ehern und innig
Musikverein. Das Gewandhausorchester Leipzig spielte Brahms’ „Deutsches Requiem“.
Markig schreiten die Kontrabässe am Anfang in der Tiefe dahin: nicht laut, sondern stark. Kantabel umschlingen einander die sonoren Kantilenen der geteilten Violoncelli und Bratschen im Gewandhausorchester Leipzig. Noch schweigen die Violinen – so bleibt der erste, zarte Lichtstrahl dem Chor vorbehalten: „Selig sind, die da Leid tragen“. Im Wiener Singverein halten sich Legato und Wortdeutlichkeit, feierlicher Ernst und lebendige Textbehandlung stets aufs Schönste die Waage: Niemals lastet über dem Gesang eine alles nivellierende „Andacht“, stets geht es um die Verbindung der musikalischen Linie mit ihrem spirituellen Gehalt.
Das gilt für den ganzen Abend und deshalb auch für den zweiten Satz, diesen Trauermarsch in b-Moll, der sich im langsamen Dreivierteltakt dahinschleppt. Beim großen Crescendo, aus dem einst Otto Klemperer die aufsteigenden Oktaven der Hörner wie Stufen aus dem Verlauf herausgemeißelt hat, sind diese nun vernehmbar und doch organisch in die Steigerungskurve eingebunden – die verzahnten Fanfaren des Blechs im ehernen Schlussteil glänzen dafür desto heller. So sachdienlich bescheiden und zugleich bezwingend klar organisiert klingt Brahms’ „Ein deutsches Requiem“nicht alle Tage: Als würden offene Fragen schon beantwortet, bevor sie sich stellen.
Agil am Pult: Herbert Blomstedt
Das Gewandhausorchester Leipzig ist auf Tournee: Nach London, Paris, Luxemburg, Baden-Baden und vor Budapest war es nun für vier Konzerte im Wiener Musikverein zu Gast; im November stehen weitere sieben Auftritte in elf Tagen an, in Sapporo, Yokohama, Tokio und Taipeh. Das zu bewältigen wäre auch für jüngere Kollegen am Pult ein beachtliches Pensum. Aber Herbert Blomstedt, Ehrendirigent der Leipziger, ist vermutlich der jugendlichste 90-jährige Maestro überhaupt. Und weil er auch die Fußverletzung überwunden hat, die ihn zuletzt zum Sitzen zwang, dirigiert er nun wieder im Stehen – agil, mit wachem Blick, ausdrucks- voll winkenden Händen und eleganten Tempomodifikationen aus den Armen, immer im Gleichklang mit dem Atem der Stimmen wie der Musik selbst: ein Ereignis.
Nach Brahms’ Violinkonzert und Schuberts großer C-Dur-Symphonie, nach Beethovens Tripelkonzert und Bruckners Siebenter stand zum Finale zweimal das Brahms-Requiem auf dem Programm, mit den allerdings nur passablen Solisten Michael Nagy und Hannah Morrison. Mag sein, dass Blomstedts Glaubensgewissheit manchmal über die dramatischen Zuspitzungen des Zweiflers Brahms dominierte, dass im sechsten Satz der Durchbruch nach C-Dur („Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“) nicht wie im Moment errungen wirkte, sondern der Triumph längst ausgemacht schien. Doch zu Recht sah sich das Publikum am Schluss nach ergriffenem Schweigen, in dem man dem letzten Akkord nachlauschte, zu Standing Ovations hingerissen: Das gemeinsame Musizieren in Freundschaft und Hingabe, eine fühlbare Herzensangelegenheit.