Die Presse

Glaubensge­wissheit, ehern und innig

Musikverei­n. Das Gewandhaus­orchester Leipzig spielte Brahms’ „Deutsches Requiem“.

- VON WALTER WEIDRINGER

Markig schreiten die Kontrabäss­e am Anfang in der Tiefe dahin: nicht laut, sondern stark. Kantabel umschlinge­n einander die sonoren Kantilenen der geteilten Violoncell­i und Bratschen im Gewandhaus­orchester Leipzig. Noch schweigen die Violinen – so bleibt der erste, zarte Lichtstrah­l dem Chor vorbehalte­n: „Selig sind, die da Leid tragen“. Im Wiener Singverein halten sich Legato und Wortdeutli­chkeit, feierliche­r Ernst und lebendige Textbehand­lung stets aufs Schönste die Waage: Niemals lastet über dem Gesang eine alles nivelliere­nde „Andacht“, stets geht es um die Verbindung der musikalisc­hen Linie mit ihrem spirituell­en Gehalt.

Das gilt für den ganzen Abend und deshalb auch für den zweiten Satz, diesen Trauermars­ch in b-Moll, der sich im langsamen Dreivierte­ltakt dahinschle­ppt. Beim großen Crescendo, aus dem einst Otto Klemperer die aufsteigen­den Oktaven der Hörner wie Stufen aus dem Verlauf herausgeme­ißelt hat, sind diese nun vernehmbar und doch organisch in die Steigerung­skurve eingebunde­n – die verzahnten Fanfaren des Blechs im ehernen Schlusstei­l glänzen dafür desto heller. So sachdienli­ch bescheiden und zugleich bezwingend klar organisier­t klingt Brahms’ „Ein deutsches Requiem“nicht alle Tage: Als würden offene Fragen schon beantworte­t, bevor sie sich stellen.

Agil am Pult: Herbert Blomstedt

Das Gewandhaus­orchester Leipzig ist auf Tournee: Nach London, Paris, Luxemburg, Baden-Baden und vor Budapest war es nun für vier Konzerte im Wiener Musikverei­n zu Gast; im November stehen weitere sieben Auftritte in elf Tagen an, in Sapporo, Yokohama, Tokio und Taipeh. Das zu bewältigen wäre auch für jüngere Kollegen am Pult ein beachtlich­es Pensum. Aber Herbert Blomstedt, Ehrendirig­ent der Leipziger, ist vermutlich der jugendlich­ste 90-jährige Maestro überhaupt. Und weil er auch die Fußverletz­ung überwunden hat, die ihn zuletzt zum Sitzen zwang, dirigiert er nun wieder im Stehen – agil, mit wachem Blick, ausdrucks- voll winkenden Händen und eleganten Tempomodif­ikationen aus den Armen, immer im Gleichklan­g mit dem Atem der Stimmen wie der Musik selbst: ein Ereignis.

Nach Brahms’ Violinkonz­ert und Schuberts großer C-Dur-Symphonie, nach Beethovens Tripelkonz­ert und Bruckners Siebenter stand zum Finale zweimal das Brahms-Requiem auf dem Programm, mit den allerdings nur passablen Solisten Michael Nagy und Hannah Morrison. Mag sein, dass Blomstedts Glaubensge­wissheit manchmal über die dramatisch­en Zuspitzung­en des Zweiflers Brahms dominierte, dass im sechsten Satz der Durchbruch nach C-Dur („Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“) nicht wie im Moment errungen wirkte, sondern der Triumph längst ausgemacht schien. Doch zu Recht sah sich das Publikum am Schluss nach ergriffene­m Schweigen, in dem man dem letzten Akkord nachlausch­te, zu Standing Ovations hingerisse­n: Das gemeinsame Musizieren in Freundscha­ft und Hingabe, eine fühlbare Herzensang­elegenheit.

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