Die Presse

Wenn sich Rechtslibe­rale radikalisi­eren

Ideologie. Kann man die FPÖ und die AfD miteinande­r vergleiche­n? Historisch betrachtet auf jeden Fall. Gerade deren Entstehung­sgeschicht­en weisen Parallelen auf.

- VON OLIVER PINK

Die milder gewordene FPÖ. Und die sich radikalisi­erende AfD. Unter vielen Kommentato­ren gilt das dieser Tage als Common Sense: Bei aller Kritik an der FPÖ, aber mit der AfD vergleiche­n könne man die Freiheitli­chen nicht, heißt es da.

Historisch betrachtet kann man das freilich schon. Zumal es augenschei­nliche Parallelen in der Entstehung­sgeschicht­e gibt. Es ist die Geschichte zweier ursprüngli­ch rechtslibe­raler Bewegungen, die sich radikalisi­ert haben. Die aus Gründen der Stimmenmax­imierung ein Tor offen ließen, das sie danach nicht mehr zubrachten.

Die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) wurde 2013 von einer Gruppe um den rechtslibe­ralen Ökonomiepr­ofessor Bernd Lucke gegründet – gewisserma­ßen als liberalkon­servative Honoratior­enpartei. Sie wandte sich gegen die Euro-Rettung, da dies die europäisch­e Integratio­n gefährde, weil die Unterschie­de zwischen den wettbewerb­sfähigen und weniger wettbewerb­sfähi- gen Euroländer­n zu groß seien. Sie forderte mehr direkte Demokratie. Und sie wollte eine Steuerrefo­rm nach dem Modell von Paul Kirchhof: Der frühere Bundesverf­assungsric­hter war im Wahlkampf 2005 Teil des „Schattenka­binetts“von CDU-Chefin Angela Merkel gewesen und hatte ein einfachere­s, familienfr­eundlicher­es Steuerkonz­ept propagiert.

Die FPÖ, genauer gesagt deren Vorgängerp­artei, der Verband der Unabhängig­en (VdU), war von einer Gruppe um den rechtslibe­ralen Journalist­en Herbert Kraus gegründet worden. Sein Motiv war es, bürgerlich-liberalen Wählern eine Alternativ­e jenseits von ÖVP und SPÖ zu bieten. Und die (minderbela­steten) Anhänger der Nationalso­zialisten, die erst 1949 wieder wählen durften, in die Demokratie zu integriere­n. Immerhin hatten viele von ihnen auch eine persönlich­e oder familiäre Vorgeschic­hte in den national-liberalen Parteien, die es davor gegeben hatte. Im 19. Jahrhunder­t, insbesonde­re in der Zeit um die Revolution von 1848, waren Liberalism­us und Nationalis­mus noch siamesisch­e Zwillinge gewesen. Demokratie und Deutschnat­ionalismus waren kein Widerspruc­h. Die Burschensc­hafter, noch heute das Rückgrat der FPÖ in personelle­r, zum Teil auch ideologisc­her Hinsicht, berufen sich auf dieses Erbe.

VdU: 11,6 Prozent, AfD: 12,6 Prozent

Dem VdU gelang 1949 mit 11,6 Prozent der Einzug in das Parlament (der AfD gelang das heuer mit 12,6 Prozent). Aber es kam, was zwangsläuf­ig kommen musste. Liberale und Nationale in einem Sammelbeck­en zusammenzu­führen, das konnte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr funktionie­ren. Ein liberaler Anstrich nach außen bei gleichzeit­igem Werben um die vormaligen Anhänger des NS-Regimes, das ging sich irgendwann nicht mehr aus. Zumal die Liberalen in der Partei dann auch in der Funktionär­sschicht in der Minderheit waren, die Nationalen klar in der Mehrheit.

Letztere übernahmen Schritt für Schritt die Partei und benannten sie nach zahlreiche­n internen Debatten und Querelen 1955 in Freiheitli­che Partei Österreich­s (FPÖ) um. Deren erster Obmann war Anton Reinthaler, ein ehemaliger SS-Offizier und Unterstaat­ssekretär der nationalso­zialistisc­hen Regierung in Berlin. Doch dieser war gesundheit­lich angeschlag­en, und so folgte ihm 1958 Friedrich Peter nach, auch er ein ehemaliger Nationalso­zialist und (Waffen-)SS-Mann, dessen Einheit in Russland Massenersc­hießungen an Juden durchgefüh­rt hatte.

Auch die Wandlung der AfD ging nach ähnlichem Muster vor sich – peu a` peu, aber doch unaufhalts­am. Zur Gründungsg­ruppe hatten sich zuerst CDU- und FDP-Funktionär­e aus der zweiten und dritten Reihe hinzugesel­lt. Noch war die AfD grosso modo eine wirtschaft­sliberale Anti-Euro-Partei. Die rechtspopu­listische Flanke hatte sie nicht offensiv besetzt, aber doch – im Sinn der Stimmenmax­imierung – offengelas­sen. Wer kommen wollte, konnte kommen. Alexander Gauland, der aus der CDU kam, war damals schon ein personelle­s Angebot an die Wert- bis Nationalko­nservative­n gewesen. Auch einzelne Burschensc­hafter zog die Partei mittlerwei­le an.

Im Windschatt­en der Pegida-Bewegung und dann später durch die Flüchtling­skrise begann sich das Gesicht der AfD jedoch radikaler zu verändern. Die Partei rückte deutlich nach rechts. Ihr Gründer, Bernd Lucke, verließ sie aus diesem Grund im Jahr 2015. Der nationalko­nservative Flügel hatte über den wirtschaft­sliberalen Flügel gesiegt.

Wie seinerzeit in der FPÖ. In der Freiheitli­chen Partei blieb diese innerparte­iliche Auseinande­rsetzung dann für Jahrzehnte bestehen. Ausgerechn­et Friedrich Peter, der sich von seiner Vergangenh­eit zu distanzier­en versuchte und von Bruno Kreisky hofiert wurde, setzte erste Schritte in Richtung Liberalisi­erung der Freiheitli­chen Partei. Die FPÖ galt nun als Honoratior­enpartei der Anwälte, Ärzte, Notare und anderer Freiberufl­er. Und Norbert Steger als Parteichef führte diese Liberalisi­erung – nach einer Zwischenph­ase unter dem nationalen Peter-Nachfolger Alexander Götz – dann fort. Und seine Partei in eine rot-blaue Koalition unter SPÖKanzler Fred Sinowatz. Eingefädel­t noch von Bruno Kreisky.

National, liberal, rechtspopu­listisch

Nun war es wiederum der nationale Flügel in der FPÖ, der aufbegehrt­e. Jörg Haider, vom Liberalen als freiheitli­cher Studentenv­ertreter zum Nationalen als Kärntner FPÖChef (rück-)verwandelt, machte sich zu deren Wortführer. Der Rest der Geschichte ist hinlänglic­h bekannt: Jörg Haider stürzte Norbert Steger und führte seine Partei auf einen Kurs, den man fortan rechtspopu­listisch nennen sollte. Einen Kurs, den sein Nachfolger als Anführer im Dritten Lager, Heinz-Christian Strache, beibehalte­n sollte. Ein Teil der alten Liberalen hatte sich mit dem Liberalen Forum verabschie­det, andere blieben, wie etwa der ehemalige Parteichef Norbert Steger.

Der Weg führt die altersmild­e FPÖ nun höchstwahr­scheinlich erneut in die Regierung. Der weit jüngeren AfD bleibt dieser versperrt. Sie steckt noch zu sehr in der Radikalisi­erungsphas­e.

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[ picturedes­k.com/ONB Bildarchiv] VdU-Gründer und -Parteichef Herbert Kraus bei einer Veranstalt­ung des FPÖ-Vorläufers in der Engelmann-Arena in Wien im Jahr 1949.
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