Wenn sich Rechtsliberale radikalisieren
Ideologie. Kann man die FPÖ und die AfD miteinander vergleichen? Historisch betrachtet auf jeden Fall. Gerade deren Entstehungsgeschichten weisen Parallelen auf.
Die milder gewordene FPÖ. Und die sich radikalisierende AfD. Unter vielen Kommentatoren gilt das dieser Tage als Common Sense: Bei aller Kritik an der FPÖ, aber mit der AfD vergleichen könne man die Freiheitlichen nicht, heißt es da.
Historisch betrachtet kann man das freilich schon. Zumal es augenscheinliche Parallelen in der Entstehungsgeschichte gibt. Es ist die Geschichte zweier ursprünglich rechtsliberaler Bewegungen, die sich radikalisiert haben. Die aus Gründen der Stimmenmaximierung ein Tor offen ließen, das sie danach nicht mehr zubrachten.
Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde 2013 von einer Gruppe um den rechtsliberalen Ökonomieprofessor Bernd Lucke gegründet – gewissermaßen als liberalkonservative Honoratiorenpartei. Sie wandte sich gegen die Euro-Rettung, da dies die europäische Integration gefährde, weil die Unterschiede zwischen den wettbewerbsfähigen und weniger wettbewerbsfähi- gen Euroländern zu groß seien. Sie forderte mehr direkte Demokratie. Und sie wollte eine Steuerreform nach dem Modell von Paul Kirchhof: Der frühere Bundesverfassungsrichter war im Wahlkampf 2005 Teil des „Schattenkabinetts“von CDU-Chefin Angela Merkel gewesen und hatte ein einfacheres, familienfreundlicheres Steuerkonzept propagiert.
Die FPÖ, genauer gesagt deren Vorgängerpartei, der Verband der Unabhängigen (VdU), war von einer Gruppe um den rechtsliberalen Journalisten Herbert Kraus gegründet worden. Sein Motiv war es, bürgerlich-liberalen Wählern eine Alternative jenseits von ÖVP und SPÖ zu bieten. Und die (minderbelasteten) Anhänger der Nationalsozialisten, die erst 1949 wieder wählen durften, in die Demokratie zu integrieren. Immerhin hatten viele von ihnen auch eine persönliche oder familiäre Vorgeschichte in den national-liberalen Parteien, die es davor gegeben hatte. Im 19. Jahrhundert, insbesondere in der Zeit um die Revolution von 1848, waren Liberalismus und Nationalismus noch siamesische Zwillinge gewesen. Demokratie und Deutschnationalismus waren kein Widerspruch. Die Burschenschafter, noch heute das Rückgrat der FPÖ in personeller, zum Teil auch ideologischer Hinsicht, berufen sich auf dieses Erbe.
VdU: 11,6 Prozent, AfD: 12,6 Prozent
Dem VdU gelang 1949 mit 11,6 Prozent der Einzug in das Parlament (der AfD gelang das heuer mit 12,6 Prozent). Aber es kam, was zwangsläufig kommen musste. Liberale und Nationale in einem Sammelbecken zusammenzuführen, das konnte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr funktionieren. Ein liberaler Anstrich nach außen bei gleichzeitigem Werben um die vormaligen Anhänger des NS-Regimes, das ging sich irgendwann nicht mehr aus. Zumal die Liberalen in der Partei dann auch in der Funktionärsschicht in der Minderheit waren, die Nationalen klar in der Mehrheit.
Letztere übernahmen Schritt für Schritt die Partei und benannten sie nach zahlreichen internen Debatten und Querelen 1955 in Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) um. Deren erster Obmann war Anton Reinthaler, ein ehemaliger SS-Offizier und Unterstaatssekretär der nationalsozialistischen Regierung in Berlin. Doch dieser war gesundheitlich angeschlagen, und so folgte ihm 1958 Friedrich Peter nach, auch er ein ehemaliger Nationalsozialist und (Waffen-)SS-Mann, dessen Einheit in Russland Massenerschießungen an Juden durchgeführt hatte.
Auch die Wandlung der AfD ging nach ähnlichem Muster vor sich – peu a` peu, aber doch unaufhaltsam. Zur Gründungsgruppe hatten sich zuerst CDU- und FDP-Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe hinzugesellt. Noch war die AfD grosso modo eine wirtschaftsliberale Anti-Euro-Partei. Die rechtspopulistische Flanke hatte sie nicht offensiv besetzt, aber doch – im Sinn der Stimmenmaximierung – offengelassen. Wer kommen wollte, konnte kommen. Alexander Gauland, der aus der CDU kam, war damals schon ein personelles Angebot an die Wert- bis Nationalkonservativen gewesen. Auch einzelne Burschenschafter zog die Partei mittlerweile an.
Im Windschatten der Pegida-Bewegung und dann später durch die Flüchtlingskrise begann sich das Gesicht der AfD jedoch radikaler zu verändern. Die Partei rückte deutlich nach rechts. Ihr Gründer, Bernd Lucke, verließ sie aus diesem Grund im Jahr 2015. Der nationalkonservative Flügel hatte über den wirtschaftsliberalen Flügel gesiegt.
Wie seinerzeit in der FPÖ. In der Freiheitlichen Partei blieb diese innerparteiliche Auseinandersetzung dann für Jahrzehnte bestehen. Ausgerechnet Friedrich Peter, der sich von seiner Vergangenheit zu distanzieren versuchte und von Bruno Kreisky hofiert wurde, setzte erste Schritte in Richtung Liberalisierung der Freiheitlichen Partei. Die FPÖ galt nun als Honoratiorenpartei der Anwälte, Ärzte, Notare und anderer Freiberufler. Und Norbert Steger als Parteichef führte diese Liberalisierung – nach einer Zwischenphase unter dem nationalen Peter-Nachfolger Alexander Götz – dann fort. Und seine Partei in eine rot-blaue Koalition unter SPÖKanzler Fred Sinowatz. Eingefädelt noch von Bruno Kreisky.
National, liberal, rechtspopulistisch
Nun war es wiederum der nationale Flügel in der FPÖ, der aufbegehrte. Jörg Haider, vom Liberalen als freiheitlicher Studentenvertreter zum Nationalen als Kärntner FPÖChef (rück-)verwandelt, machte sich zu deren Wortführer. Der Rest der Geschichte ist hinlänglich bekannt: Jörg Haider stürzte Norbert Steger und führte seine Partei auf einen Kurs, den man fortan rechtspopulistisch nennen sollte. Einen Kurs, den sein Nachfolger als Anführer im Dritten Lager, Heinz-Christian Strache, beibehalten sollte. Ein Teil der alten Liberalen hatte sich mit dem Liberalen Forum verabschiedet, andere blieben, wie etwa der ehemalige Parteichef Norbert Steger.
Der Weg führt die altersmilde FPÖ nun höchstwahrscheinlich erneut in die Regierung. Der weit jüngeren AfD bleibt dieser versperrt. Sie steckt noch zu sehr in der Radikalisierungsphase.