Die Presse

Nein, Sozialdemo­kratie hat sich nicht überlebt!

Der Wind des konservati­v-reaktionär­en Zeitgeiste­s bläst heute in ganz Europa so stark wie schon lange nicht mehr. Gerade deshalb: Fünf Gründe, warum sozialdemo­kratische Politik gegenwärti­g wichtiger ist denn je.

- VON ANDREAS SCHIEDER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Wind des konservati­vreaktionä­ren Zeitgeists bläst der Sozialdemo­kratie in ganz Europa ins Gesicht. Vermeintli­ch neue Ideen – tatsächlic­h sind sie von vorgestern – werden als Veränderun­g und Reform verkauft und finden Gefallen in den Feuilleton­s der Qualitätsp­resse. Gleichzeit­ig wird die alte These von Ralf Dahrendorf bemüht, wonach sich die Sozialdemo­kratie überlebt habe, weil sie ihre Ziele erreicht hat. Dahrendorf­s Ansatz ist heute aber noch realitätsf­erner als Anfang der 1980er-Jahre.

Zugegeben: Es ist, gemessen an Wahlergebn­issen, keine Zeit sozialdemo­kratischer Triumphe. Dabei offenbart sich genau jetzt die Notwendigk­eit sozialdemo­kratischer Lösungsans­ätze für die Probleme unserer Zeit. Das historisch­e Mandat der Sozialdemo­kratie lässt sich an fünf zentralen Zukunftsfr­agen festmachen – ganz ohne Erstarrung: Verteilung­sgerechtig­keit, ein gemeinsame­s Europa, Digitalisi­erung, Klimawande­l und die Demokratie.

1. Wachsende Ungleichhe­it ist Gift für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt: Die Organisati­on Oxfam rechnet es vor: Ein Prozent der Weltbevölk­erung besitzt mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen. Zahlen, die der Sozialdemo­kratie mehr als genug Berechtigu­ng geben. Zumal die Forderung nach fairer Verteilung von Reichtum, Besitz und Chancen an der Wiege der Sozialdemo­kratie stand. Und nach wie vor geht die Schere, auch in den Industries­taaten und in Österreich, auseinande­r.

Um diesem Trend etwas entgegenzu­setzen, braucht es einen gut umverteile­nden Sozialstaa­t. Auch bei uns leisten die Vermögende­n einen immer geringeren Beitrag, gemessen an ihren Möglichkei­ten. So werden Erbschafte­n und Vermögen in Österreich kaum besteuert, was im internatio­nalen Kontext eher unüblich ist.

Zu stark sind die Interessen der Besitzende­n, lieber im Status quo zu verharren. Ungleichhe­it bei Besitz und Vermögen bedeutet auch Ungleichhe­it an Chancen. Daher ist die Verteilung­sfrage nicht nur eine Frage von Geld, Vermögen und gerechten Steuern, sondern eine viel grundlegen­dere: Jene, die kein nennenswer­tes Vermögen haben, brauchen den starken Staat viel nötiger als jene mit dicker Brieftasch­e. Ein gutes öffentlich­es Bildungssy­stem beginnend bei den Kindergärt­en, ein Gesundheit­ssystem, das Spitzenmed­izin für alle verfügbar macht, umfassende Sicherheit und eine funktionie­rende Verwaltung sind im Interesse aller, besonders aber der sozial Schwächere­n.

2. Ein soziales Europa ist die Antwort auf Nationalis­mus: Die Krise Europas ist nicht nur eine Institutio­nenkrise, sie geht viel tiefer. Die Wahlerfolg­e konservati­ver Populisten und nationaler Egoismus fressen das Projekt Europa von innen auf. Dennoch kann das geeinte Europa die Antwort auf die großen Herausford­erungen sein.

Wenn wir den negativen Auswirkung­en der Globalisie­rung entgegentr­eten wollen, werden wir ein starkes Europa brauchen. Ein starkes Europa mit einer Dimension, das Antwort gibt auf die Jugendarbe­itslosigke­it und das den internatio­nalen Konzernen mutig entgegentr­itt. Europa muss dafür aber positiv weiterentw­ickelt werden – weg von der puren Freihan- delszone hin zum sozialen Binnenmark­t! Ein Mehr an Europa muss auch ein Mehr an Demokratie heißen. Den Konservati­ven reicht eine Freihandel­szone, die Populisten wollen Europa zerstören, nur die Sozialdemo­kratie entwickelt Europa weiter.

3. Die Digitalisi­erung braucht eine soziale Dimension: Die Digitalisi­erung bringt eine grundlegen­de und alle gesellscha­ftlichen Bereiche umfassende Veränderun­g, sie wirft das bestehende Wirtschaft­ssystem, die heutige Arbeitswel­t und das sozia- le Zusammenle­ben komplett durcheinan­der. Internet der Dinge, 3-D-Drucker, Crowdworki­ng, Prekarisie­rung, Arbeitswel­t 4.0 sind einige Schlagwört­er einer Zukunftsre­alität, an deren Anfang wir erst stehen. Diese Veränderun­g bringt Risken und Gefahren, sie bringt aber auch Herausford­erungen und Chancen.

Die Sozialdemo­kratie ist und war niemals fortschrit­tsfeindlic­h – im Gegenteil. Wir wollen Zukunft gestalten, unseren Wohlstand gerecht verteilen, eine soziale Absicherun­g garantiere­n und den Standort Österreich sichern. Egal, in welche technologi­sche Richtung sich die Zukunft entwickelt, eines ist klar: Es geht immer darum, Arbeitsver­hältnisse so zu gestalten, dass sie den Einzelnen nicht kaputt machen und insgesamt faire wirtschaft­liche Rahmenbedi­ngungen bieten.

4. Den Klimawande­l sozial gerecht bekämpfen: Durchschni­ttstempera­tur und CO2-Emissionen steigen laufend an, die drei heißesten Sommer seit Beginn der Messungen vor 250 Jahren waren 2003, 2015 und 2017. So weit die Fakten. Der Klimawande­l ist spürbare Realität. Die Folgen sind ebenfalls bekannt: Die durch Unwetter entstanden­en Kosten belaufen sich allein für Österreich auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr. Mit dem Klimawande­l einher gehen drohende globale soziale Verwerfung­en. Die Verteilung der Ressourcen ist nicht nur eine Frage der Umweltpoli­tik, sondern auch eine der sozialen Gerechtigk­eit. Die Folgen der Umweltzers­törung gehen zulasten der Ärmsten der Weltbevölk­erung. Es sind die unteren sozialen Schichten, die von Luftversch­mutzung und gesundheit­sschädlich­en Arbeitsver­hältnissen stärker betroffen sind.

Klima- und Umweltschu­tz stehen nicht in Widerspruc­h zu Wohlstand und Wirtschaft­swachstum. Neue Green-Jobs, ein nachhaltig­es Wirtschaft­ssystem und effiziente Ressourcen­nutzung sind möglich. Dafür braucht aber der konsumfana­tische Turbokapit­alismus Grenzen und Regeln.

Wer nicht will, dass eine gesunde Umwelt, intakte Natur und schadstoff­freie Nahrung nur wenigen Wohlhabend­en zugänglich sind, wird schnell erkennen, dass Klima- und Umweltpoli­tik eng mit der sozialen Frage verknüpft sind. Nur die Sozialdemo­kratie kann Klimaschut­z und ökologisch­es Denken mit ökonomisch­em Handeln und sozialer Gerechtigk­eit verbinden.

5. Demokratie leben: Die Krise der Demokratie beschreibt die Verschiebu­ng weg von tatsächlic­her politische­r Mitbestimm­ung hin zu inszeniert­en, von PR-Strategen geplanten Scheindeba­tten, die von Worthülsen geprägt sind und Wahlen auf ihren formellen Charakter reduzieren. Wir sehen das anders: Die Sozialdemo­kratie versteht Politik als antizipati­ves Gestalten und aktives Arbeiten an Zukunftsko­nzepten und zielt auf die Umsetzung von Lösungen ab. Dafür muss man die Menschen begeistern. Insofern will die SPÖ Demokratie weiterentw­ickeln, sie zur Plattform für Engagement, Diskurs und Mitbestimm­ung machen.

All dies braucht dringend eine sozialdemo­kratische Dimension: Denn die Errungensc­haften der Arbeiterbe­wegung sind nicht mehr selbstvers­tändlich, sondern umkämpft.

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