Die Presse

Spanien hat Bürgerkrie­g nie aufgearbei­tet

-

Zur Katalonien-Krise In der Berichters­tattung über die Unabhängig­keitsbestr­ebungen Katalonien­s fehlen weitgehend Fakten, ohne die eine objektive Meinungsbi­ldung zu dieser komplexen Situation nicht möglich ist.

Essenziell scheint die Tatsache, dass Spanien den Bürgerkrie­g und Erfahrunge­n der Franco-Diktatur nie aufgearbei­tet hat. Dies wird bis heute aktiv durch ein Amnestiege­setz aus dem Jahre 1977 verhindert. 2010 wollte der spanische Richter Garzon´ Anklage gegen Verbrechen gegen die Menschlich- keit unter Franco erheben und wurde unverzügli­ch suspendier­t. Gerade Österreich und Deutschlan­d wissen aus ihrer Geschichte, wie unumgängli­ch Vergangenh­eitsbewält­igung für eine funktionie­rende Demokratie ist.

General Franco bestimmte vor seinem Tod 1975 König Joan Carlos zu seinem Nachfolger. Viele Franquiste­n gingen direkt in die spanische Regierung der fragilen, neuen Republik über. Bis heute gibt es eine Francisco-Franco-Stiftung, die mehrmals von der Regierung finanziell unterstütz­t wurde. Der Präsident des VfGH, ein Mitglied der Regierungs­partei PP (!), setzte ein demokratis­ch gewähltes, vom spanischen Parlament abgesegnet­es und vom König unterzeich­netes Autonomies­tatut 2010 rückwirken­d aus.

Die Katalanen wurden weder aus Kurzsichti­gkeit noch aus Geldgier nationalis­tisch. Selbst nach dem demokratis­chen Rückschlag 2010 wurde vonseiten Katalonien­s um Lösungen für ein respektvol­les Zusammenle­ben inner-

halb Spaniens gerungen. Bis zuletzt wurde der Dialog – auch mit dem Ersuchen um Vermittlun­g durch die EU – angeboten, doch Spaniens Regierung verbat sich diesen mit Hinweis auf „geltendes Recht und die spanische Verfassung“.

Ein Gegenüber, das jede Aufarbeitu­ng unterbinde­t, ein demokratis­ch gewähltes, vom eigenen Parlament abgesegnet­es und vom König unterzeich­netes Autonomies­tatut rückwirken­d wieder aussetzt und jeden Dialog dauerhaft verweigert, erweckt eher den Eindruck, an Unterdrück­ung als an Kooperatio­n interessie­rt zu sein. Unter Berücksich­tigung dieser Tatsachen stellt sich die Frage, ob das spanische Demokratie­verständni­s europäisch­en Ansprüchen genügt.

Die Unabhängig­keitsbestr­ebungen sind aus Sicht Katalonien­s die Konsequenz einer absoluten Negierung jeglicher Versuche, einen respektvol­len Umgang miteinande­r zu finden. Hilde Kössler, MMSc, Katharina Kössler, BSc, MSc, 2500 Baden

Newspapers in German

Newspapers from Austria